Einleitung
Georg Simmel, einer der Gründerväter der Soziologie behaupte 1908 in seinem Buch Soziolo-gie, Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, dass die Soziologie ein Problem habe. Das Problem bestehe darin, dass die Soziologie keinen eigenen Forschungsgegenstand hat. Forschungsergebnisse anderer Wissensgebiete werden zusammengeworfen und mit dem Etikett „Soziologie“ versehen. Das Resultat sei, dass die Soziologie selbst nicht weiß, woran sie forscht und daher eine neue Theorie hermuss, welche den Gegenstandsbereich der Soziolo-gie definiert 5:04 1(Simmel, 1983, S. 1–3).
Etwa 80 Jahre später schreibt Niklas Luhmann nochmal dasselbe. „Die Soziologie steckt in einer Theoriekrise. Eine im ganzen recht erfolgreiche empirische Forschung hat unser Wissen vermehrt, hat aber nicht zur Bildung einer facheinheitlichen Theorie geführt. Als empirische Wissenschaft kann die Soziologie den Anspruch nicht aufgeben, ihre Aussagen an Hand von Daten zu überprüfen, die der Realität abgewonnen sind, wie immer alt oder neu die Schläuche sein mögen, in die man das Gewonnene abfüllt. Sie kann gerade mit diesem Prinzip jedoch die Besonderheit ihres Gegenstandsbereiches und ihre eigene Einheit als wissenschaftliche Diszip-lin nicht begründen. Die Resignation geht so weit, daß man dies gar nicht mehr versucht“ (Luhmann, 1991, S. 7).
In beiden Fällen ist die Problemstellung wesentlich nuancierter als sie auf den ersten Blick erscheint. Es wird nicht einfach ein Sachverhalt beschrieben. Das Problem ist nämlich so for-muliert, sodass die eigene Theorie dieses Problem lösen kann. So meint auch Luhmann, dass eine facheinheitliche Theorie nötig ist und schlägt als solches seine Systemtheorie vor. Die Systemtheorie sei eine Supertheorie, den sie hat einen Universalitätsanspruch. Sie sei auch eine besonders eindrucksvolle Supertheorie, denn sie schafft es, damit fertig zu werden, dass sie als ihr eigener Gegenstand vorkommt. Sie könnte sich daher als eine solche facheinheitliche The-orie eignen (Luhmann, 1991, S. 7–9, 19).
Nun sehen wir allerdings aus heutiger Sicht, dass die Soziologie an Simmels Theorie der Ver-gesellschaftung nicht stehengeblieben ist. Und genauso ist sie nicht an der Systemtheorie von Luhmann stehengeblieben. Wir müssen keinen Fortschritt darin vermuten. Wir sehen aller-dings, dass in den letzten 10-20 Jahren ein Bedarf danach entstanden ist, über die Systemtheorie von Luhmann hinauszugehen. Wir sehen es zum Beispiel an dem immer weiter fortschreitenden ontological turn, welcher sich radikal gegen das konstruktivistische Programm der Systemthe-orie wendet.
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Damit verbunden sehen wir auch, dass ebenfalls ein höheres Interesse daran entsteht, nicht mehr Luhmann, sondern die Quellen zu rezipieren, auf welche sich Luhmann stützte. Die wichtigste dieser Quellen ist George Spencer-Brown und sein Buch Laws of Form. Das steigende Interesse merken wir unter anderem daran, dass Einführungen für dieses Buch erscheinen. Die älteste Einführung in die Laws of Form ist erst 2004 erschienen. Die andere 2005. Genauso wurde das Buch erst 1997 ins Deutsche übersetzt. Wir sehen auch, wie neue Versuche entstehen die Laws of Form zu rezipieren und in der Soziologie anzuwenden.
Die Laws of Form sind dabei kein unbekanntes Buch. Generell sind sie heute vor allem durch Luhmann bekannt. Jeder, der sich mit der Systemtheorie beschäftigt hat, wurde früher oder später mit dem Namen George Spencer-Brown konfrontiert. Das liegt daran, dass Luhmann Spencer-Brown in den Kern seines Theorieansatzes stellte. Was er mit diesem Verweis begrün-den meinte, ist seine Unterscheidungslogik. Sogar Luhmanns bekannter Satz, dass das System die Differenz von System und Umwelt sei, ist an Spencer-Brown angelehnt. Insbesondere sticht die Denkfigur des Re-Entry hervor. So wie Luhmann es darstellt, beschreibt dieser die Wieder-einführung der Unterscheidung in die Unterscheidung, welche die Autopoesis des Systems dar-stellt. Daneben wird auch der Begriff des Sinns durch einen Verweis auf Spencer-Brown be-gründet. Die Laws of Form sind aus der Systemtheorie daher nicht rauszudenken.
Beschäftigt man sich allerdings etwas mehr damit, so merkt man, dass dort was ganz anderes drin steht, als Luhmann behauptet. Das ist nicht nur unsere Meinung. Thomas Hölscher, einer der Autoren der Einführung in die Laws of Form beschreibt Luhmanns Rezeption als ein pro-duktives Missverstehen (Hölscher, 2009, S. 259). Der Soziologe Walter L. Bühl (2000, S. 4) schreibt auch über die Leseart Luhmanns: „Nicht ganz so einfach ist es, ein Zitat tatsächlich zu benennen und seinen Inhalt ins Gegenteil seines ursprünglichen Aussagegehalts zu verkehren. Aber auch das ist möglich, wenn man nur einen Ausschnitt wählt (etwa einen einzelnen Begriff oder den Einleitungssatz einer langen Schlußkette), der klein genug ist, um durch seine fort-währende Repetition vollkommen dekontexturiert zu werden. Drei dieser auf diese Weise im-mer wieder zitierten Autoritäten sind Husserl, Spencer Brown und Günther, die alle drei im Grunde das Gleiche zu sagen scheinen, obwohl doch alle drei höchst Unterschiedliches sagen, und keiner das, was Luhmann uns glauben machen möchte“. Auch der Philosoph Boris Henning meint, dass die Laws of Form nichts mit der soziologischen Systemtheorie zu tun haben schei-nen (Hennig, 2000, S. 157).
Das sollte den Luhmann-Leser alarmieren, denn dieser Sachverhalt weckt gleich mehrere Fra-gen auf. Was steht in den Laws of Form? Was hat Luhmann an den Laws of Form
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missverstanden? Und was wollte Luhmann überhaupt damit? Es ist nämlich so, dass, weil Luh-mann weite Teile seiner Systemtheorie durch einen Verweis auf Spencer-Brown begründet, die Systemtheorie auf einmal unbegründet erscheint. Erkennt man das, lässt sich die Theorie nicht mehr mit der gleichen Sicherheit anwenden. Der Luhmann-Leser sollte daher den natürlichen Drang verspüren, sich nun selbst mit den Laws of Form auseinanderzusetzen.
Wir machen es hier vor. Was in den Laws of Form steht, soll im Rahmen dieser Abschlussarbeit verständlich gemacht werden. Obwohl die Laws of Form an sich kein schweres Buch sind, hat man sich damit sehr schwer getan. Das liegt nicht so sehr am Inhalt, sondern an der Schreib-weise des Buches. Das Buch bedient sich einer bestimmten Sprechart, wobei die Regeln dieser Sprechart erst im Buch selbst entwickelt werden. Das Buch besteht fast ausschließlich aus Be-fehlen und lehrt den Leser durch Befehle diese Befehlssprache zu sprechen. Um es kurz zu fassen, können wir an der Stelle sagen, dass die Laws of Form eine Art Grammatik der Befehls-sprache sind. Genauso beruht die gesamte Konstruktion und Funktionsweise des darin entwi-ckelten mathematischen Formalismus auf der im Buch entwickelten Befehlssprache.
Diese Tatsache scheint der gesamten Forschung um Spencer-Brown ein blinder Fleck geblieben zu sein. In der Einführungsliteratur findet man eher, dass es sich bei der Verwendung der Be-fehlssprache lediglich um eine erkenntnistheoretische Position handelt (Schönwelder-Kuntze, Wille, & Hölscher, 2009, S. 32–35). Genauso findet man nirgendwo in der systemtheoretischen Literatur, dass diese Verwendung der Befehlssprache eingesetzt wurde. Weder als Forschungs-perspektive noch in der Theoriekonstruktion. Das hatte zur Folge, dass die Laws of Form nicht als das erkannt wurden, was sie eigentlich sind. Sie sind nämlich Sprachphilosophie. Diese Sprachphilosophie ist der von Ludwig Wittgenstein sehr ähnlich. Das ist auch kein Zufall, denn die beiden sollen in den Jahren 1950-1951 eine nahe Beziehung geführt haben. Im Allgemeinen sind die Laws of Form der Logisch-Philosophischen Abhandlung strukturell sehr ähnlich. Sie verfolgen ein ähnliches Ziel, schreiben sich selbst eine therapeutische Wirkung zu und am Ende ergibt sich, dass die ganze Auseinandersetzung unnötig gewesen ist. Inhaltlich stehen sie dage-gen den Philosophischen Untersuchungen nahe. Der Begriff der Form ist dem Begriff des Sprachspiels sehr ähnlich. Es geht um verschiedene Verwendungen der Sprache, anstatt nur um Beschreibungen und es wird ein großer Fokus auf Regeln der Sprachverwendung gesetzt.
Das Indikationskalkül sowie die gesamte Mathematik der Laws of Form entstehen als Konse-quenz aus den entwickelten Regeln der Befehlssprache. Es ist daher ebenfalls vergeblich die Laws of Form als nur ein mathematisches Buch zu lesen. Tut man das, übersieht man die da-hinterstehende Sprachphilosophie. Dieses Problem ist dabei nicht zuletzt Spencer-Brown selbst
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verschuldet. Obwohl er nie eine Mathematische Ausbildung abgeschlossen hatte und wie er selbst schreibt, außer den Schulkenntnissen keine Ahnung von Mathematik hatte, als er die Laws of Form schrieb, präsentierte er sich gerne als Mathematiker. In Wirklichkeit, wie er auch wieder selbst schreibt, fing er erst nach den Laws of Form an, sich mit Mathematik zu beschäf-tigen. In zusätzlichen Anhängen zu den Laws of Form meinte er damit einige der bisher unge-lösten mathematischen Probleme gelöst zu haben (Spencer-Brown, 2008, S. vii–ix). In der Ma-thematik wurde das jedoch nicht ernst genommen (Meguire, 2003, S. 71–72). Der Vorteil für uns ist, dass wir ebenfalls keine weiteren Kenntnisse über die Mathematik brauchen werden, um die Laws of Form zu verstehen.
Wollen wir dem Leser die Annäherung an das Werk von Spencer-Brown also ermöglichen, so muss Spencer-Brown der Pathos der Mathematik genommen werden. Wir müssen die Laws of Form daher richtig kontextualisieren, damit der Zugang möglich wird. Es reicht daher nicht die Laws of Form einfach nachzusprechen, wie es die bisher erschienenen Einführungen tun. Wir müssen aufzeigen woher die Denkfiguren kommen, die in den Laws of Form verwendet werden. Dafür müssen wir vor allem ihre Entstehungsgeschichte darlegen und werden auch auf einige biographische Momente von Spencer-Brown zurückgreifen müssen. Genauso müssen wir ge-nau nachverfolgen was Spencer-Brown eigentlich meint, wenn er sein Werk als mathematisch bezeichnet.
Wir gehen die Laws of Form daher zwei Mal durch. Wir schildern die Laws of Form einmal aus einer philosophischen bzw. theoretischen Perspektive und einmal schildern wir die Funkti-onsweise des Indikationskalküls. Die erste Schilderung ist dazu da um die Laws of Form zu kontextualisieren. Wie schon gesagt, handelt es sich bei den Laws of Form um eine Sprachphi-losophie, welche sich mit der Befehlssprache beschäftigt. Diese ist für uns interessant, denn sie steht konträr zur systemtheoretischen Forschungsperspektive, in welcher es um Beschreibun-gen um Selbstbeschreibungen geht. Wir stellen uns daher die Frage ob damit vielleicht ein Ge-genentwurf möglich wäre. Das Ziel von dieser ersten Beschäftigung mit den Laws of Form besteht darin, dem Leser diese Sprachphilosophie verständlich zu machen. Wir wollen dem Leser damit die Möglichkeit geben die Laws of Form überhaupt lesen zu können, denn wie schon gesagt, wird deren Schreibweise, erst in den Laws of Form selbst verständlich gemacht. Erst danach beschäftigen wir uns mit dem Buch direkt. Wir wollen nämlich auch aufzeigen, wie das Indikationskalkül funktioniert, denn wir wollen diesen auch später für uns nutzbar ma-chen.
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Wir werden auch stets Vergleiche zur Systemtheorie und zur systemtheoretischen Rezeption der Laws of Form ziehen, sodass wir bereits vieles vorwegnehmen werden, was an der Laws of Form missverstanden wurde. Was Luhmann allerdings damit anfangen wollte, werden wir erst im Nachhinein besprechen, denn diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Wir müssen die Frage daher umformulieren. Wir wollen die Frage beantworten, für welches Problem in der Systemtheorie Spencer-Brown die Lösung sein sollte, sodass Luhmann diesen ins Zentrum sei-ner Theorie gestellt hat. Das erfordert, dass wir die gleiche Genealogie auch mit der Systemthe-orie betreiben müssen. Wir werden uns daher ebenfalls mit der ursprünglichen Systemtheorie von Heinz von Foerster, Humberto Maturana und Francisco Varela beschäftigen. Wir wollen dabei nicht nur darstellen worum es da ging, und aufzeigen was Luhmann daraus übernahm. Wir wollen vor allem aufzeigen welche Rolle dabei Spencer-Brown spielte, welcher heute als einer der Grundpfeiler des konstruktivistischen Denkens gilt. An die Frage, was Luhmann mit Spencer-Brown wollte schließen wir daher die Frage an, was generell in der Systemtheorie generell damit gewollt war.
Nun ist auch die soziologische Rezeption der Laws of Form nicht an Luhmann stehen geblieben. Wir sehen zum Beispiel auch an Dirk Baecker, dass momentan neue Versuche entstehen die Laws of Form und vor allem deren mathematischen Formalismus für die Soziologie nutzbar zu machen. Damit werden wir uns auch beschäftigen. Dazu sind unter anderem die Bücher Kalkül der Form und Probleme der Form erschienen, in denen verschiedene soziologische oder philo-sophische Ansätze diskutiert werden, in denen es versucht wird, die Laws of Form für Geistes-wissenschaften zu plausibilisieren und Probleme dieser diskutiert werden. Der Soziologe Thomas J. Fararo (2022, S. 307) schreibt dazu in seinem Review: „It came as no surprise, then, to learn that Spencer-Brown’s calculus has played no role in later treatments of the foundations of mathematics and logic, whatever significance it may yet have for the formalization of Luh-mann’s theory. What is the upshot of all this? Marginal figures producing works of genius are not unknown. Experts can be too conservative in their judgments. A cult can have good reason to admire a neglected figure. Serious scholars, such as those contributing to Problems of Form, can ignore obscure elements and con- centrate on conceptual insights. And yet, the combination of dense prose that conveys Luhmann’s complex theory and a formal calculus with dubious internal validity do not sound like a good bet for a future breakthrough in mathematical social theory“.
Wir haben nun die These aufgestellt, dass die Laws of Form verschwindend wenig damit ge-mein haben, was Luhmann von ihnen behauptet. Wir meinten nun auch, dass die Laws of Form
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mit dem systemtheoretischen Denken gar inkompatibel erscheinen. Das und die oben geäußerte Kritik von Fararo zwingt uns die Frage zu stellen, ob sich die Beschäftigung damit überhaupt lohnt. Oder anders formuliert, ob mit den Laws of Form sich überhaupt etwas anfangen lässt.
Wir meinen die Frage bejahen zu können. Unserer Meinung nach stellt Spencer-Brown alle Werkzeuge dazu bereit, seinen Indikationskalkül praktisch anzuwenden. Die Möglichkeit der praktischen Anwendung wird in den Laws of Form als Interpretation bezeichnet. Spencer-Brown macht es vor, in dem er seinen Indikationskalkül als Logik interpretiert und somit die Logik als einen besonderen Fall der Laws of Form ableitet. Kann man diese Vorgehensweise reproduzieren, so kann man das Indikationskalkül auch für die Soziologie nutzbar machen. Wir wollen dem Leser darlegen, wie eine solche soziologische Interpretation des Indikationskalküls aussehen könnte und was damit möglich wäre. Wir wollen dazu genau das einfangen, was Spencer-Brown gerade erst interessant macht, und zwar die bereits erwähnte Sprachphilosophie und den mathematischen Formalismus, und genau das ist der soziologischen Rezeption bisher nicht gelungen.
Bevor mit der Beantwortung der gestellten Fragen anfangen, möchten wir jedoch dem Leser einen Ratschlag zur Lesehaltung geben. Wie schon gesagt ist die richtige Kontextualisierung der Schlüssen für das Verständnis der Laws of Form und somit auch der Themen, die in dieser Abschlussarbeit besprochen werden. Es ist daher sehr wichtig, dass der Leser nicht in die Ge-fahr läuft in die zu besprechenden Konzepte Sachen hineinzuinterpretieren, die in diese Kon-zepte unserer Meinung nach nicht reingehören. Wir raten daher dem Leser die systemtheoreti-sche Rezeption von Spencer-Brown erstmal zu vergessen und beiseitezulassen. Insbesondere gilt das für die Begriffe System, Beobachtung und Kommunikation. Denn wie es sich ergeben wird, sind die Laws of Form weder eine Phänomenologie noch eine Kommunikationstheorie. Genauso wird sich ergeben, dass der Begriff des Systems in keinster Weise mit den Laws of Form vereinbar ist. Der Leser ist umso mehr im Vorteil, desto weniger er über die Laws of Form weiß. Warum das so ist, wird der Leser verstehen, wenn wir die Schreibweise des Buchs besprechen. Wie schon gesagt, liegt es uns viel daran das Buch nicht nur nachzusprechen, son-dern dem Leser die Schreibweise des Buchs verständlich zu machen. Genauso ersparen wir dem Leser die mathematische Rechnerei und zeigen stattdessen auf, wie die Mathematik der Laws of Form funktioniert. Wir empfehlen dem Leser daher beim Lesen eine Kopie des Buchs dabei zu haben. Zum selben Zweck haben wir auch den Index of Forms, eine Art Kurzzusammenfas-sung aus den Laws of Form selbst, in den Anhang dieser Abschlussarbeit getan.
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- Kontextualisierung der Laws of Form
Wie bereits erwähnt, besteht das Ziel dieses Abschnitts darin, dem Leser die Annäherung an das Werk von Spencer-Brown zu ermöglichen. Um dieses Werk zu verstehen, muss Spencer-Brown der Pathos der Mathematik genommen werden. Damit wollen wir nicht meinen, dass Spencer-Brown kein Mathematiker war. Wir wollen aber auch nicht meinen, dass er einer war. Wir wollen stattdessen verständlich machen, was Spencer-Brown meinte, wenn er sich selbst als Mathematiker und sein Werk als mathematisch bezeichnete. Um dieses zu leisten, müssen wir mit dem Anfang anfangen und schauen in welchem Kontext die Laws of Form entstanden sind. Daher müssen wir zuerst auf seine Biografie zurückgreifen.
1.1 Die Anfänge der Laws of Form
„One of many reasons why the book1 is so famous is because I did not know any math, apart from school stuff, when I began to write it“ (Spencer-Brown, 2008, S. ix).
Der 1923 geborene George Spencer Brown2 hat nie eine mathematische Ausbildung abge-schlossen. Ursprünglich wollte er Pianist werden, doch als der zweite Weltkrieg anfing, kam er zum Militär und diente als Funker und Kommunikationsingenieur (Watson, 2020, S. 162–163). Nach dem Kriegsende wurde ihm eine Ausbildung in Cambridge finanziert und er entschied sich für ein Medizinstudium. Nach vier Jahren, wurde ihm gesagt, dass ihm sein Medizinstu-dium nicht weiter finanziert werden kann, die Einrichtung war aber bereit, ihm einen weiteren Kurs zu finanzieren, und er entschied sich für Philosophie (Heidingsfelder, 2013, S. 16). In Cambridge lernte er vor allem Bertrand Russell und Ludwig Wittgenstein kennen. Mit Witt-genstein ging er dabei eine nähere Beziehung ein (1950-1951) (Beer, 2019; Whitaker, 2001).
1952 nahm er an einem Forschungsprojekt teil an der Society for Psychical Research zum Thema Telepathie und Wahrscheinlichkeit, also darüber, wie Würfelwürfe, Karten und sonstige Zufallsexperimente durch Telepathie manipuliert werden können. Sein Forschungsinteresse be-stand darin zu zeigen, wie es statistisch so aussieht, als ob die Experimente Erfolg hätten. Seine Lösung bestand darin, dass die Generation von Zufallszahlen für die Statistik retroaktiv mani-puliert wird, sodass die Ergebnisse zum Forschungsvorhaben passten (Spencer-Brown, 1997a, Abschn. 1:10:17-1:21:56).
1 Laws of Form
2 Hier ohne den Bindestrich zwischen Spencer und Brown. Spencer ist eigentlich der Mittelname, welchen er später mit seinem Familiennamen verbunden hat, um in Bibliothekverzeichnissen besser erkennbar zu sein (Luhmann, 2004, S. 70).
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Später wechselte er nach Oxford und versuchte mit dem Thema zu promovieren. Zu der Pro-motion kam es allerdings nicht, da sein Stipendium auslief (Heidingsfelder, 2013, S. 17–18). In der Zeit arbeitete als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und hielt Tutorien in Logik (Spencer-Brown, 1973a).
Obwohl die Promotion nicht gelang, veröffentlichte er sein Forschungsvorhaben 1957 als Mo-nographie unter dem Namen Probability and Scientific Inference3. Der Inhalt des Buchs bestand darin, die Begriffe Wahrscheinlichkeit und Zufälligkeit kritisch zu analysieren. Der Hauptpunkt der Kritik besteht darin, dass eine Zufallsfolge, nur als Zufallsfolge erscheint, wenn man sie als solches erwartet und das Konzept der Zufälligkeit daher nur in Bezug auf einen Beobachter sinnvoll ist, welcher die Zufälligkeit der Zufallsfolge als zufällig einschätzt. Daher ist es dem Experimentator möglich durch die Veränderung der Zufallsfolge die statistische Signifikanz der Ergebnisse zu beeinflussen (Schönwelder-Kuntze et al., 2009, S. 13; Spencer Brown, 1957, S. 105).
„The essence of randomness has been taken to be absence of pattern. But what has not hitherto been faced is that the absence of one pattern logically demands the presence of another. It is a mathematical contradiction to say that a series has no pattern; the most we can say is that it has no pattern that anyone is likely to look for. The concept of randomness bears meaning only in relation to the observer; if two observers habitually look for different kinds of pattern they are bound to disagree upon the series which they call random“ (Spencer Brown, 1957, S. 105). Ludwig Wittgenstein (1958, PU 213, 214) formulierte einen ähnlichen Gedanken in den Philo-sophischen Untersuchungen, in denen er meinte, dass eine Fortführung einer Zahlenreihe von den Regeln des Sprachspiels abhängt.
In dem Buch formuliert er auch eine erste Kritik an Wittgenstein. Die Kritik bestand darin, dass wenn Wittgenstein (1922) in der Logisch-Philosophischen Abhandlung meinte, „Wir machen uns Bilder der Tatsachen“ (TLP 2.1), so meinte er, dass es eine Differenz gibt zwischen dem Modell, dem Bild und dem, was dieses Modell repräsentiert, der Tatsache. Dazu meint Spencer-Brown (1997a, Abschn. 1:08:02-1:10:00; 1957, S. 12–13), dass diese Beziehung nicht einseitig ist und dass auch die Tatsache, das Bild repräsentieren kann, sodass diese Unterscheidung nicht gemacht werden kann und dieser Satz eigentlich tautologisch ist, was wiederum durch den Satz „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ (TLP 7), verboten wird. Die Tautologie besteht darin, dass die Tatsache ja nur eine Vorstellung von der Welt sein kann und
3 Wahrscheinlichkeit und Wissenschaft in deutscher Übersetzung
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somit auch ein Modell, sodass ein Modell ein anderes repräsentiert. Wie sich später zeigen wird, ist das der Ausgangsgedanke der Laws of Form.
1.2 Die Entstehungsgeschichte der Laws of Form. Teil 1
Nach dem das Stipendium ausgelaufen ist, stand er ohne Abschluss da und musste Arbeit fin-den. Durch einen Bekannten bekam er eine Stelle in der Firma Mullard Equipment, Ltd, welche sich mit der Konstruktion von elektrischen Schaltkreisen beschäftigte (Heidingsfelder, 2013, S. 19–20). Die Stelle bekam er deswegen, weil er zuvor Logiktutorien in Oxford geführt hat. So wurde er zum Ingenieur. Dort entdeckte er zum ersten Mal, dass (philosophische) Logik, so wie sie in Universitäten gelehrt wurde, sich für das Entwerfen von Schaltkreisen, wie für z.B. Zäh-ler- und Rechnermaschinen als unzureichend erwies. Das Problem dabei waren Feedbacks, also Rekursionen und Selbstreferenzialität, welche auch noch in der heutigen Logik verboten sind, aber problemlos in elektrischen Schaltungen verwendet werden (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Mathematics and Logic).
Mit Logik meint er hier vor allem die Boolesche Algebra, welche zusammen mit der Mengen-lehre, in der sogenannten Prädikatenlogik verwendet wird und welche auch heute als die Grund-lage der Mathematik gilt. In der Philosophie wird sie als Aussagenlogik verwendet. Die Ver-wendung selbstreferentieller Ausdrücke ist dort tatsächlich verboten, da diese, unter anderem, Paradoxien formulierbar machen. Die Lösung, die Spencer-Brown (1973a, Teil Mathematics and Logic) sah, bestand in der Einführung von imaginären Werten. An der Stelle ist ein Exkurs nötig um die Laws of Form weiter zu kontextualisieren.
1.2.1 Exkurs: Die logischen Grundlagen der Mathematik
Bei den Grundlagen der Mathematik handelt es sich um eine über mehrere Tausend Jahre an-haltende Debatte darüber, wodurch Mathematik begründet wird. Das Problem, welches die Ant-wort auf diese Frage lösen soll, ist das Problem des Beweisens. Mit einem Beweis sollen aus Axiomen, (notwendig) wahre Sätze schlussfolgert werden. Demnach gilt das als mathematisch wahr, was aus Axiomen ableitbar ist. Sind die Axiome anders, so sind auch die Wahrheiten anders (Lambek, 2017).
Im antiken Griechenland wurde Mathematik durch Geometrie begründet. Wahr war das, was man zeichnen konnte. Im weiteren geschichtlichen Verlauf merkte man, dass natürliche Zahlen nicht ausreichen, sodass man die Null, gebrochene Zahlen, dann negative Zahlen und usw. ein-geführt werden mussten. Diese neuen Zahlen waren aber in der Geometrie nicht mehr
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darstellbar. Anschließend merkte man, dass auch mehrere geometrische Systeme möglich sind, sodass man merkte, dass die Mathematik eine neue Grundlage braucht (Lambek, 2017).
Daraufhin unternahm der englische Logiker Bertrand Russell zusammen mit Alfred North Whi-tehead den Versuch die Mathematik aus der Mengenlehre und somit aus der Logik zu begrün-den. Mit dem Ziel wurde 1913 das Buch Principia Mathematica geschrieben. Dort fand Russell ein Paradox in der Mengenlehre selbst, die sogenannte Russellsֹche Antinomie. Diese lässt sich
etwa wie folgt formulieren: Man stelle sich eine Menge vor, die alle Mengen enthält, welche sich nicht selbst enthalten. Enthält sich die Menge selbst? Wenn ja, dann nein und wenn nein, dann ja. Es ist eine Paradoxie. Gelöst wurde sie dadurch, dass Russell in seiner Typentheorie ein Axiom einführte, welche es Mengen verbietet sich selbst zu enthalten (Lambek, 2017).
Diese Paradoxie, sowie auch das Lügner-Paradox entspringen der Selbstreferenz. Dazu Spencer-Brown: „When you do this peculiar thing of making something self-referential that is making the answer go back into the expression out of which the answer comes, you now auto-matically produce this set of possibilities which are well-known in numerical mathematics and of which everyone’s been terrified of looking at in Boolean mathematics And Russell/Whi-tehead were so frightened of these, that they just had a rule with no justification whatsoever that we Just don’t allow it, we don’t even allow people to think about this. Now what nobody saw was that in numerical mathematics we had this going for years.“ (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Degree of Equations and the Theory of Types). Mit dem letzteren referiert er auf ima-ginäre Zahlen. Hierzu ist ein weiterer Exkurs nötig, vor allem deswegen, weil wir sie an einer anderen Stelle brauchen werden.
1.2.2 Exkurs: Imaginäre und komplexe Zahlen
Schon aus der Schule kennt man, dass Zahlen in bestimmten Zahlenbereichen gegeben sind. Man beginnt normalerweise mit natürlichen Zahlen (ganze Zahlen ohne 0). Rechnet man z.B. 2+2, so zeigt man auf die 2, verschiebt den Zeiger um zwei Positionen nach rechts und landet auf der Zahl 4. Die Antwort ist also 4 (Bosch, 2018, S. 6–7).
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Abbildung 1: Natürliche Zahlen Quelle: Eigene Darstellung
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Im geschichtlichen Verlauf merkten die Mathematiker, dass der Zahlenbereich der natürlichen Zahlen nicht ausreicht, sodass man zuerst die 0, dann negative Zahlen, dann Bruchzahlen usw. einführte und somit den Zahlenbereich erweitern musste, bis man bei reelen Zahlen ankam.
Doch das reichte irgendwann auch nicht aus, und man entdeckte, dass man noch einen weiteren Zahlenbereich einführen musste. Betrachten wir dazu die folgende Gleichung: 𝑥2+1=0
Löst man nach x2 auf, so entsteht 𝑥2=−1
Und durch x geteilt entsteht 𝑥=−1𝑥
Setzt man für x, 1 ein, so entsteht +1=−1+1=−1
In dieser Gleichung gibt es keine Lösung für x, soweit man sich im Zahlenbereich der reelen Zahlen befindet. In der Mathematik löste man dieses Problem, indem man einen weiteren Zah-lenbereich einführte, den Bereich der imaginären Zahlen (Bosch, 2018, S. 60–61). Genau darin sah Spencer-Brown die Lösung für logische Paradoxe. Er zieht dabei einen direkten Vergleich zwischen dieser Gleichung und dem Lügner-Paradox (Spencer-Brown, 2008, S. xi).
Man löste dieses Problem in der Mathematik, in dem man 𝑥2=−1, nach x auflöste, sodass: 𝑥=√−1
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Abbildung 2: Reele Zahlen Quelle: Eigene Darstellung
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Man definierte dann √−1 als i, was für imaginär steht und erweiterte den Zahlenbereich noch-mal. Als eine komplexe Zahl, wird eine Zahl bezeichnet, welche aus einem reelen und imagi-närem Anteil besteht, z.B.: 3+2i.
1.3 Die Entstehungsgeschichte der Laws of Form. Teil 2
Die Exkurse sind hier zu Ende und wir kehren zurück zur Entstehungsgeschichte der Laws of Form zurück. Wir fassen die Ergebnisse der Exkurse nochmal kurz zusammen. Spencer-Brown sah, dass Paradoxien aus selbstreferentiellen Ausdrücken entstehen, wobei selbstreferentielle Ausdrücke sowohl in der philosophischen Aussagelogik als auch in der mathematischen Logik verboten sind. Und das obwohl selbstreferentielle Ausdrücke problemlos in elektrischen Schal-tungen, als auch in numerischer Mathematik verwendet werden. In elektrischen Schaltungen werden sie unter anderem in Zählermaschinen gebraucht und in numerischer Mathematik wer-den selbstreferentielle Ausdrücke durch imaginäre Werte möglich gemacht. Daher meinte er, dass die zweiwertige Boolesche Algebra, welche in der Logik verwendet wird, nicht ausreicht und daher durch imaginäre Werte erweitert werden muss. Das würde zugleich eine mathemati-sche Basis für elektrische Schaltungen liefern und gleichzeitig die Probleme der Paradoxie in der Aussagenlogik lösen (Spencer-Brown, 1973a, 2008, S. x–xii).
In der Booleschen Algebra haben Ausdrücke die Wahrheitswerte wahr und falsch und überall, wo das nicht zutrifft, wird der Ausdruck als unentscheidbar bewertet. Nun meint Spencer-Brown (2008, Abschn. x–xii), dass Paradoxien und andere selbstreferentielle Ausdrücke nicht
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3+2i
3+2i
Abbildung 3: Komplexe Zahlen Quelle: Eigene Darstellung
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unentscheidbar sind, sondern imaginär4. Paradoxien und andere selbstreferentielle Ausdrücke sind entscheidbar, sobald man Zeit hinzudenkt. Spencer-Brown (1973a, Abschn. Degree of Equations and the Theory of Types) unterscheidet dabei zwischen Oszillation und Gedächtnis-fähigkeit5. Der Lügner-Paradox ist dabei ein Fall der Oszillation, wobei der Wahrheitswert zwi-schen wahr und falsch oszilliert, also eine Folge: wahr-falsch-wahr-falsch… bildet, also erst wahr, dann falsch, dann wahr usw. was er wiederrum mit der Gleichung +1=−1+1=−1 und das wiederrum mit dem Aufbau einer elektrischen Klingel vergleicht, welche eine Folge: Ding-Pause-Ding-Pause… bildet und meint daher, dass sowohl die Aussagenlogik als auch die Schaltungslogik auf einer und derselben Mathematik basieren. Diese Mathematik sei die Laws of Form.
Die Idee dahinter ist nochmal die, dass es nicht die Logik sei, welche die Mathematik begründet, sondern es die Mathematik ist, welche Logik begründet. Das stellt einen Gegenentwurf zu Rus-sell dar, welcher die Mathematik aus der Logik zu begründen versuchte. Dazu Spencer Brown: „The Principia Mathematica is three volumes of rubbish. Nobody reads it. I tell you what’s wrong with it. I got rid of logic and philosophy by producing a mathematics of which logic is a practical application. You can’t do the thing the other way round, which was what Russell tried to do. He tried to develop mathematics out of logic“ (in. Heidingsfelder, 2013, S. 8). Russell und seine Typentheorie kritisiert er deswegen, da er meint, dass durch den Verbot der selbstre-ferentiellen Ausdrücke, das Obenbeschriebene unmöglich macht.
1.4 Das „Mathematische“ der Laws of Form
1.4.1 Injunktive Sprache
Das ursprüngliche Ziel des Buchs Laws of Form war daher die Begründung der Logik durch Mathematik. Was meint er aber unter Mathematik?
„It may be helpful at this stage to realize that the primary form of mathematical communication is not description, but injunction. In this respect it is comparable with practical art forms like cookery, in which the taste of a cake, although literally indescribable, can be conveyed to a reader in the form of a set of injunctions called a recipe. Music is a similar art form, the com-poser does not even attempt to describe the set of sounds he has in mind, much less the set of
4 Das ist wichtig, denn wie wir später sehen werden, wurde in der Systemtheorie vom Gegenteil ausgegangen, was sich dann auch bei Luhmann in der Metapher des Blinden Flecks äußert.
5 Wir gehen darauf später noch mal ein. Es hier lediglich wichtig zu wissen, dass Paradoxie nicht die einzige Form der Selbstreferenz ist (und auch nicht die wichtigste).
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feelings occasioned through them, but writes down a calculus which, if they are obeyed by the reader, can result in a reproduction, to the reader, of the composer’s original experience.
Where Wittgenstein says [4, proposition 7]:
where of one cannot speak there of one must be silent
he seems to be considering descriptive speech only. He notes elsewhere that the mathematician, descriptively speaking, says nothing. The same may be said of the composer, who, if he were to attempt a description (i.e. a limitation) of the set of ecstasies apparent through (i.e. unlimited by) his composition, would fail miserably and necessarily. But neither the composer nor the mathematician must, for this reason, be silent“ (Spencer-Brown, 2008, S. 64).
Wie hier zu sehen, entspringt die Bezeichnung „Mathematik“ wieder einer Kritik der Logisch-Philosophischen Abhandlung Wittgensteins. Als „mathematisch“ wird konkret eine Art der Sprachverwendung bezeichnet, und zwar die injunktive Verwendung der Sprache. Unter injunk-tiv ist Befehlssprache gemeint. Dabei vergleicht er Mathematik mit Musik, sowie mit einem Kochrezept. Dieser Vergleich umfasst gleich mehrere Sachen, auf die wir getrennt eingehen müssen.
1.4.2 Repräsentationslosigkeit
Befehle beschreiben nicht und somit repräsentieren sie nichts. Wir kennen aus der Logisch-Philosophischen Abhandlung Wittgensteins (1922), dass die Welt alles ist, was der Fall ist und dass die Welt die Gesamtheit der Tatsachen und nicht der Dinge ist (TLP 1, 1.1). Eine Tatsache ist dabei ein Sachverhalt, bei welchem es sich so-und-so verhält und es verhält sich so-und-so nur insofern die Tatsache der Wirklichkeit entspricht (TLP 2.1-2.16). Wahrheit und Falschheit sind dabei das Maß dieser Repräsentation. Entspricht sie der Wirklichkeit, so ist sie wahr. Ent-spricht sie nicht der Wirklichkeit, so ist sie falsch. Die Repräsentation der Wirklichkeit ist der Sinn einer jeden Aussage. Ist eine Aussage so formuliert, sodass sie die Wirklichkeit nicht re-präsentieren kann, so ist sie sinnlos. Alle sinnhaften Sätze sagen etwas über die Welt aus, wäh-rend alle sinnlosen Sätze Tautologien sind, da Wahrheit nur als Bezug zur Welt entstehen kann und alle wahrheitsunfähigen Sätze nur übereinander Aussagen machen (TLP 2.17-2.225). Ge-nauso sind Kontradiktionen (und Paradoxien) sinnlos, da sie nichts repräsentieren (TLP 4.46, 4.461). Sinnvoll sind daher nur Sätze der Naturwissenschaften, soweit sie wahrheitsfähig sind. Philosophie und Mathematik sind sinnlos, aber nur so weit sinnig, wie sie der Naturwissen-schaft helfen wahrheitsfähige Sätze zu formulieren, also insofern sie Logik sind (TLP 4.112, 4.0031, 5.43). Die restlichen philosophischen Sätze seien sinnlos, stiften nur Verwirrung und
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müssen daher überwunden werden. Daher muss darüber, wovon nicht gesprochen werden kann, geschwiegen werden (TLP 6.5, 7).
Befehle seien demnach ebenfalls sinnlos und sollten nicht ausgesprochen werden und daher müsste, wie Spencer-Brown (2008, S. 64) meint, der Musiker, sowie der Mathematiker schwei-gen, worauf er entgegnet, dass Musik und Mathematik somit unmöglich wären. Dazu Spencer-Brown:
„Q: What is your writing about?
A: It is not about anything. Perhaps you will begin to see the sense of my answer if you imagine you had asked, ‘What is Mozart’s music about?’ Music is just itself. It is written down, and bears a superficial reseinblance to literature, as a set of instructions how to perform it, but all it really is is itself: it doesn’t mean anything, other than what it is“ (Spencer-Brown & Emlein, 1995, S. 1).
Da Befehlssprache nichts repräsentiert (und mit nichts korrespondiert), spricht sie über nichts. Sie hat keine Referenz und weil sie keine Referenz hat, kann diese auch nicht nach dem Maß der Repräsentanz überprüft werden, sodass auch der Begriff der Wahrheit auf sie nicht zutrifft. Genauso sei Musik weder wahr noch falsch.
Wir können das nochmal an einer anderen Analogie zeigen, wenn wir uns Computerprogramme anschauen. Programmierung erfolgt durch Befehle. Wir schauen uns dazu ein Programm an, welches dreidimensionale graphische Objekte erstellt, wie z.B. Blender. Der Designer möchte z.B. ein dreidimensionales Modell einer Kaffeetasse haben. Dazu gibt er in das Programm Be-fehle ein, wie zum Beispiel: Zeichne einen Zylinder, lass die obere Seite des Zylinders weg, mach an die Seite eine gekrümmte Leiste dran usw. Die Software rendert6 diese Befehle zu einem dreidimensionalem Objekt. Dieses Objekt ist aber keine Repräsentation der Kaffeetasse, denn es ist dem Computer absolut gleichgültig, was eine Kaffeetasse ist und wie sie aussieht. Das Modell der Kaffeetasse ist nur die Konsequenz der zuvor eingegebenen Befehle. Die Ver-arbeitung der Befehle ist also auch weder wahr noch falsch. Sie kann aber korrekt oder inkorrekt sein gegenüber dem, was befohlen wurde. Die Repräsentativität dieses Modells kann nur von einem außenstehenden Beobachter eingeschätzt werden, welcher dieses Modell, mit seiner Vor-stellung von der Kaffeetasse vergleicht und somit mit einem anderen Modell, sodass wir wieder bei der zuvor-formulierten Wittgenstein-Kritik von Spencer-Brown ankommen7.
6 Bildsynthese auf Deutsch.
7 Siehe Seite 3
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„Like written music, written mathematics is just instructions. And instructions cannot be true or false, though of course they can be intelligent or dull, imaginative or trite, liberating or bin-ding, enlightening or confusing, and above all, correct or incorrect, just like music. In fact, since music is one of the forms that mathematics can take, and we don’t expect music to mean any-thing but itself, I am going to suggest you think of mathematics as music for the next few mi-nutes, just to get used to the idea that it has no misleading connexions with the “true” and “false” expectations of ordinary literature. For the true-false criterion applies only to the descriptive or representative function of communication, the most trivial and the most misleading. Far more important is the instructive or effective function, where the only criterion, within the intended effect, is correct or incorrect: the language of poets, musicians, animals, and gods: the language that cannot be used to tell lies“ (Spencer-Brown & Emlein, 1995, S. 3).
1.4.3 Injunktion und Wissen
Spencer-Brown ist aber kein Relativist. Im Gegenteil behauptet er, dass Wissen allein durch eine Befolgung von Befehlen möglich ist. „Knowledge is attained by following instructions“ (Spencer-Brown, 1997a, Abschn. 0:11:35-0:11:42). Dazu unterscheidet er in einem Beispiel das Multiplizieren von dem Kennen der Multiplikationstabelle. Die Multiplikationstabelle kann z.B. falsch gedruckt sein, genauso wie der Schullehrer sich irren oder sogar lügen kann. Wenn man aber weiß, wie man multipliziert, kommt man dennoch zur richtigen Antwort. Und man kommt zur richtigen Antwort deswegen, weil man beim Multiplizieren bestimmte Anweisun-gen befolgt (Spencer-Brown, 1997a, Abschn. 0:8:00-0:9:26).
Die Verwendung der injunktiven Sprache ist dabei keine einfache Rhetorik (Lau, 2005, S. 23–29), es handelt sich dabei um eine erkenntnistheoretische Position, wobei diese, die Verwen-dung dieser Sprachart nicht ausschöpft (Schönwelder-Kuntze et al., 2009, S. 32–35). Die Laws of Form sind selbst in imperativer Form geschrieben und setzen die Befehlssprache als Opera-tion ein, worauf wir später genauer eingehen werden.
Wie gesagt, wird in den Laws of Form nichts beschrieben. „In the text of Laws of Form I do not describe anything. I just give instructions. When you have followed them you will have experienced the “world” they create. A piece of music is exactly similar. It is not a description of anything. It is simply a set of exact instructions telling you what note to play with which instrument when. Russell and Wittgenstein, in common with all other philosophers, were men-tally blind to the injunctive use of language, and thus completely ignorant of the real nature of mathematics. And totally unaware of the nature of other injunctive disciplines such as music“
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(Spencer-Brown & Emlein, 1995, S. 1–2). Und genauso heißt es, dass der Inhalt der Laws of Form keine Meinungen enthält.
1.4.4 De-Ontologisierung
Wie schon gesagt, enthält deskriptive Sprache, dadurch, dass sie etwas beschreibt, die Implika-tion dessen, dass das, was beschrieben wurde vor der Tatsache der Beschreibung existiert hat. Bei der Verwendung der injunktiven Sprache ist dies nicht gegeben. „One of the major difficu-lties in discussing all this is the fact that every language we use, except mathematical language that is entirely hypothethical, is constructed on the assumption of disenlightenment among its users. It is built on the assumption that the ‚things‘ it names were actually ‚there‘ before we named them“ (Spencer-Brown & Emlein, 1995, S. 5).
Stattdessen erlaubt die Verwendung der Befehlssprache Gegenstände zu konstruieren, die erst im Moment ihrer Konstruktion entstehen8. Die Benennung eines Gegenstandes kreiert den Ge-genstand. Anstelle des Wortes „ist“, was eine Beschreibung ist, rückt der Befehl „Tu so als ob!“ (Schönwelder-Kuntze et al., 2009, S. 34).
Die Reduktion jeder Beschreibung auf eine Annahme, welche dabei als ein Befehl angesehen wird, so zu tun, als ob, führt zu einer vollständigen De-Ontologisierung jeglichen Wissensbe-standes. Bei jedem Wissensbestand handelt es sich dabei in Wirklichkeit über nichts, da jeder Wissensbestand auf Annahmen basiert, welche als Befehle angesehen werden, welche nichts repräsentieren. Die Schlüsse dieser Wissensbestände sind dabei lediglich Konsequenzen dieser Annahmen (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Origins).
In genau der gleichen Weise, wie Wittgenstein (1922, S. 160–162) in seiner Logisch-Philoso-phischen Abhandlung behauptete, dass Verwirrung durch eine inkorrekte Verwendung der Sprache entsteht, behauptet Spencer-Brown, dass deskriptive Sprache zur Verwirrung9 führt, da durch die Beschreibung behauptet wird, dass das was beschrieben wurde tatsächlich da war (Spencer-Brown, 1973c, Abschn. 0:35:24-0:35:30). „Of course if you play wrong notes, or use words inaccurately, they create an illusion as if there was something there. A wrong note, or a false use of words, creates pain, and pain creates an illusion that there must have been something there to cause it. But correct the false note, or the wrong word, and what a relief! What you
8 Auch Kant behauptete das Gleiche von der Mathematik „Die Urteile (Sätze) der Mathematik sind nun laut Kant sogar durch a priori gegenstandsbezogene Begriffe ausgezeichnet. Den Begriffen der Mathematik können nämlich Gegenstände a priori durch Konstruktion beigefügt werden“ (Hiltscher, 2016, S. 21).
9 Und genauso schreibt er seiner Mathematik eine therapeutische Wirkung zu.
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thought was causing the pain has disappeared. And what has taken its place? Nothing!“ (Spencer-Brown & Emlein, 1995, S. 3).
Diese Ansicht bezeichnet Spencer-Brown als Erleuchtung. Erleuchtet sei dabei der, wer es ver-steht, Beschreibungen auf Annahmen und somit auf Befehle zurückzuführen und somit auf das Nichts, aus welchem dieser Befehl kommt. Dadurch weiß er, dass die Welt zusammen mit der Äußerung des Befehls entsteht: „All disenlightenment is a belief that there somehow exists a world that is permanent and independent of the imagined ‚beings’ who are supposed to ‚expe-rience‘ it. All enlighteniment is a result of knowing that the world is formally identical with the beings who experience it, and that its only permanence is its constant capacity for re-creation according to the laws of what is possible. Science fiction is a result of ‚inventing‘ what is im-possible. True science is merely the invention of the possible.“ (Spencer-Brown & Emlein, 1995, S. 3).
Man merkt an der Stelle, dass Spencer-Brown sich von Buddhistischer Erkenntnisleere inspi-rieren ließ (Hennig, 2000, S. 194–195), wobei nicht ganz klar war, ob er diese Inspiration vor seiner Mathematik gewesen ist oder ob er, wie er an einer anderen Stelle behauptet, erst im Nachhinein eine Ähnlichkeit sah (Spencer-Brown, 1997b, Abschn. 0:58:24-1:01:48). Er be-hauptet auch, dass es Laws of Form waren, die ihn dazu brachten, alles was er davor wusste zu verlernen, wobei, wie schon behauptet, das Ziel, mit welchem das Buch geschrieben wurde, ein ganz anderes gewesen ist: „I was conned into writing it by thinking that it would have an enti-rely different effect from what it did have; and, in completing it, I unlearned what I learned, the kind of values that present-day civilization inculcates into us soon after we are born. And I learned that it was all the same anyway, whichever state one went into. It is only by assuming that some states, or that a state, one State, may be better than another, that the universe comes into being. The universe, as I then discovered, is simply the result of if it could be that some state had a different value from some other state“ (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Mathematics and Logic).
Wir können an der Stelle etwas vorgreifen und sagen, dass Unterscheidungen keine Ontologie haben und dass, die Unterscheidung nicht der Anfang ist, wie Luhmann (2004a, S. 73) behaup-tet, sondern der Befehl die Unterscheidung zu treffen. Der Anfang ist demnach nicht die Un-terscheidung, sondern die Einheit. Unterscheidungen sind das was wäre, wenn es möglich wäre, dass ein Befehl geäußert werden könnte. Auch anders gesagt: Es gibt keine Unterscheidungen.
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1.4.5 Injunktion als Sprachspiel
Die Formulierung: „Y ist das, was wäre, wenn X“ ist eine wichtige Formulierung, die Spencer-Brown oft verwendet. Sie ist daher wichtig, da sie im oben-beschriebenen Sinne de-ontologisch ist. Mit dem Satz wird keine Ontologie behauptet, weder von Y noch von X. Es wird aber ein Erklärungszusammenhang aufgestellt in welchem, X die Annahme ist und Y der Kontext ist, in welchem sich diese Annahme, die als Befehl verstanden wird, äußert.
An der Stelle wird eine weitere Ähnlichkeit zu Philosophie Wittgensteins (1958), und zwar zum Begriff des Sprachspiels ersichtlich. Als Sprachspiele werden Regeln bezeichnet, welche die Verwendung von Worten bestimmen (PU 7). Die Worte einer Sprache werden dabei als Be-zeichnungen für Gegenstände der Wirklichkeit verstanden. Eine Sprache wird dadurch beige-bracht, dass auf Gegenstände gezeigt wird und der Name dazu genannt wird. Dabei wird die Regel aufgestellt, dass der Name auf den Gegenstand zeigt (PU 85). Die Regel selbst ist keine Beschreibung, sondern ein Befehl (PU 206). „Das Lehren der Sprache ist hier kein Erklären, sondern ein Abrichten.“ (Wittgenstein, 1958, S. 4) (PU 5). Die Bedeutung der Worte wird von der Bezeichnung nicht ausgeschöpft. Je nach Sprachspiel, werden Worte unterschiedlich ver-wendet, sodass Namen z.B. auch als Befehle verwendet werden können. Als Verwendung der Sprache wird daher nicht der Name verstanden, sondern das, was passiert, wenn der Name ge-äußert wurde (PU 19).
Der wichtige Unterschied dazu ist, dass bei Wittgenstein die Bezeichnung stets ostensiv, also durch Zeigen auf Gegenstände der Wirklichkeit erfolgt. Hier kommt wieder die oben-formu-lierte Kritik auf, dass Spencer-Brown meint, dass der Gegenstand ja nur eine Vorstellung sei, sodass ein Modell, das Wort, auf ein anderes Modell, die Vorstellung vom Gegenstand zeigt, indem sie ihn bezeichnet. Das Lösungskonzept, welches Spencer-Brown bietet ist die Asym-metrierung dieser zwei Modelle dadurch, dass eine Regel ausgesprochen wird, sodass das ein Modell auf das andere zeigen soll10. Um den Unterschied zwischen Spencer-Brown und Witt-genstein klar zu formulieren, können wir also sagen, dass bei Wittgenstein die Gegenstände vor der Regel der Bezeichnung da waren und bei Spencer-Brown sie erst mit dieser Regel entstehen. Gegenstände sind somit Konsequenzen von Befehlen.
1.4.6 Die Form
Die Regel, welche diese beiden Modelle unterscheidet, sowie festlegt, dass das eine Modell auf das andere zeigen soll, indem es dieses benennt, bezeichnet Spencer-Brown (1995, S. 9–10) als
10 Das finden wir später wieder den Laws of Form in dem Unterkapitel Name (Spencer-Brown, 2008, S. 4)
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Formalität und dann als Form. Woher der Begriff Form stammt, ist dabei nicht ganz bekannt. Unsere Vermutung ist aber, dass dieser an ein ähnliches Konzept aus der Buddhistischen Phi-losophie entlehnt ist und zwar an den Begriff Nāmarūpa, welches ins Englische als name-form übersetzt wird und in etwa Erscheinung durch/als Bezeichnung bedeutet (Olalde, 2017, S. 1–5, 14).
Wir zeichnen das für ein besseres Verständnis noch mal ein:
Die Form, als Regel für dieses Sprachspiel regelt, dass die Verwendung des Namens (das Be-zeichnende) auf das Benannte (das Bezeichnete) zeigt. Damit das Zeigen aber möglich ist, muss das Benannte von dem abgetrennt werden, was nicht benannt ist. Die Benennung erfordert da-her das Ziehen einer Unterscheidung, zwischen dem, was benannt und dem was nicht benannt wurde. Die Form ist daher die Form einer Unterscheidung (Spencer-Brown, 2008, S. 1).
Wir können an der Stelle schon vorwegnehmen, dass die mehrmalige Verwendung des Namens (als Benennung) immer auf die gleiche Seite der Unterscheidung zeigt. Die Verwendung eines Namens ist das Rufen (calling) des Namens. Wird der Name nicht verwendet, so wird auf die unbenannte Seite gezeigt. Das finden wir später als das Law of Calling wieder in den Laws of Form (Spencer-Brown, 2008, S. 1).
Und genauso wie Wittgenstein (1958) sagt, dass Namen, sobald definiert, nicht nur als Benen-nungen, sondern auch als Befehle verwendet werden können (PU 19, 20), meint auch Spencer-Brown, dass die Verwendung des Namens auch als ein Befehl fungieren kann. Die Form, als Regel des Sprachspiels definiert diese Verwendung so, dass der Name, wenn er als Befehl ver-wendet wird, befiehlt die Grenze der Unterscheidung zu überqueren (crossing), wobei definiert
Modell 1
Modell 1
Modell 2
Modell 2
Name
Name
Benanntes
Benanntes
Abbildung 4: Form als Sprachspiel Quelle: Eigene Darstellung
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wird, dass die Überquerung die Seite anzeigt, in welche überquert wurde11 (Spencer-Brown, 2008, S. 4–5). Wir können an der Stelle das Law of Crossing antizipieren in dem wir meinen, dass wenn man dem Befehl zweimal folgt und die Grenze erst hin und dann zurück überquert, dieselbe Seite anzeigt, auf der man angefangen hat (Spencer-Brown, 2008, S. 2).
Diese beiden Gesetze sind die Gesetze der Form. Es ist wichtig zu verstehen, dass das keine Naturgesetze sind, sondern explizit Regeln der Verwendung von Zeichen sind, aus welchen, die restliche Konstruktion folgt. Die Gesetze der Form beschreiben nichts, sondern befehlen dem Leser den Regeln dieses Sprachspiels zu folgen.
Wichtig ist nochmal auch, dass die Form keine Beobachtung ist, wie Luhmann (1993a, S. 203–204) sie definiert. Die Form, da sie eine Regel ist, lässt keine Selektion und somit keine Reduk-tion der Komplexität zu. Sie ist ein Resultat des Befehls, welchem man zwar folgt oder nicht folgt, aber keine Wahl darüber hat, wie man ihm folgt. Dazu auch Wittgenstein (1958) „Wenn ich der Regel folge, wähle ich nicht. Ich folge der Regel blind.“ (PU 219).
1.4.7 Die Unterscheidung
Die Unterscheidung für sich genommen ist dabei nichts anderes als das:
11 Wir sehen das auch in der Unterscheidung zwischen cross und cross!
Abbildung 5: Kaninchen und Ente Quelle: Die Abbildung entstammt (Hengeler, 1892) und ist lizenziert gemäß CC BY-SA
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Wittgenstein (1958, S. 193–229) kommentiert dazu im zweiten Teil der Philosophischen Un-tersuchungen, dass man das Bild unter unterschiedlichen Aspekten betrachten kann, sodass man entweder den Hasen oder die Ente sieht. Das Bild an sich bildet dabei nichts ab, denn es sind ja nur Striche. Das Aspektsehen wird durch die Regeln des Sprachspiel geregelt. Erst durch die Befolgung bestimmter Regel wird aus den Bild ein Hase, eine Ente oder auch etwas anderes ersichtlich. Man bildet zum Beispiel der Regel, in dem man auf das Bild zeigt und dazu sagt, dass es ein Hase ist (PU II xi).
Genauso verhält es sich bei Spencer-Brown mit Unterscheidungen. Betrachten wir dazu die folgende Abbildung:
Unterscheidungen haben keinen ontologischen Status. Anders gesagt: Es gibt keine Unterschei-dungen. An sich ist nichts unterschieden. Daher ist in diesem Bild auch nichts zu sehen. Neh-men wir aber an, dass ein Etwas sich von etwas andrem unterscheidet (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Mathematics and Logic) und stellen dazu die Regel auf, dass dieses Etwas benannt werden soll, sodass der Name auf das Benannte zeigt, wird die Unterscheidung ersichtlich. Die-ser Regel nennt Spencer-Brown (2008, S. 1) die Form der Unterscheidung. Die zu benennende Seite der Unterscheidung wird in den Laws of Form durch eine Markierung (mark) markiert (Spencer-Brown, 2008, S. 3).
Abbildung 6: Unterscheidung für sich genommen Quelle: Eigene Darstellung
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Was Beobachtung angeht, ist es ersichtlich, dass genauso wie bei Wittgenstein, bei Spencer-Brown die Beobachtung zweitrangig ist. Die Unterscheidung ist kein Resultat der Beobachtung, sondern der Regel des Sprachspiels, beziehungsweise der Form. Ist diese Regel aufgestellt, so wird die Frage der Beobachtung vermieden. Oder anders gesagt: Ohne die Form ist Beobach-tung irrelevant. Mit der Form ist sie trivial. Die Form und die Unterscheidung entstehen simul-tan miteinander. Die Form ist aber nicht die Unterscheidung und die Unterscheidung ist nicht die Form.
1.4.8 Die Form als Erkenntnismethode
Die Form der Unterscheidung als Regel für das Sprachspiel der Benennung ist das Mittel, mit welchem Spencer-Brown jeder Wissensbestand de-ontologisiert (Spencer-Brown, 1997b, Abschn. 0:59:11-0:59:52). Die Form wird an der Stelle zu einer Erkenntnismethode. Genauer gesagt wird jeder Wissensbestand auf den Befehl zurückgeführt die Regel zu setzten, welche die Verwendung der Worte definiert. Und genauso, wie man dem Befehl gefolgt hat, kann dem Befehl auch nicht folgen. Er bezeichnet dieses auch als das Verlernen (unlearning) (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Mathematics and Logic). Wie oben beschrieben, betrachtet er deskrip-tive Sprache als Verwirrung, welche dadurch verwirrt, dass sie die Ontologie bzw. die Existenz von dem behauptet, was durch die deskriptive Verwendung der Sprache beschrieben wurde. Darauf entgegnet Spencer-Brown, dass die Deskription, dass dahinterstehende Sprachspiel ver-schleiert, sodass die Befehle unsichtbar gemacht werden, welche die Regeln der Sprachverwen-dung gesetzt haben. Hier kommt nochmal die Unterscheidung zwischen Wissen und Meinung bzw. Glaube auf. Das Sehen der Befehle erlaubt es, den Konstruktionsprozess des Wissens
Benannte Seite
Benannte Seite
Nicht
Nicht–Benannte SeiteBenannte Seite
Verwendung des Namens
Verwendung des Namens
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Abbildung 7: Form der Unterscheidung Quelle: Eigene Darstellung
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selbst nachzuvollziehen, während Beschreibungen voraussetzen, dass ihnen geglaubt wird, was wiederrum die Möglichkeit der Lüge erlaubt (Schönwelder-Kuntze et al., 2009, S. 34–35; Spencer-Brown, 1997a, Abschn. 0:17:45-0:19:40).
Die Befehlssprache wird daher nicht nur in der Mathematik gesehen. Dazu Spencer-Brown (2008, S. 64–65): „Even natural science appears to be more dependent upon injunction than we are usually prepared to admit. The professional initiation of the man of science consists not so much in reading the proper textbooks, as in obeying injunctions such as ‘look down that microscope’. But it is not out of order for men of science, having looked down the microscope, now to describe to each other, and to discuss amongst themselves, what they have seen, and to write papers and textbooks describing it. Similarly, it is not out of order for mathematicians, each having obeyed a given set of injunctions, to describe to each other, and to discuss amongst themselves, what they have seen, and to write papers and textbooks describing it. But in each case, the description is dependent upon, and secondary to, the set of injunctions having been obeyed first.“.
Spencer-Brown erachtet es daher für notwendig, dass die Laws of Form ebenfalls in imperativer Form geschrieben werden sollen, damit der Text der Laws of Form Wissen und nicht nur Mei-nung beinhaltet, welcher geglaubt werden soll. Genau daher meint Spencer-Brown (2008, S. xxii), dass er mit dem Anfang anfängt und nicht aus der Mitte heraus, wie andere Mathematik-bücher und andere Wissensformen es taten. „In fact, when one starts from the beginning, there is nothing to learn. There is everything to unlearn, but nothing to learn.“ (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Origins).
Das ist wichtig, denn Luhmann behauptete von der Systemtheorie das Gegenteil: „Die Frage der ersten Kommunikation brauchen wir nicht zu erläutern, denn die Frage ‚Was war die erste Kommunikation?‘ ist schon eine Frage in einem kommunizerendem System. Das System denkt an seinen Anfang immer aus der Mitte heraus.“ (Luhmann, 2004a, S. 78). Spencer-Brown be-hauptet dagegen, dass Wissensformen einen Anfang haben, und zwar die Form, welche die Regel des Sprachspiels ist (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Origins, 2008, S. 65).
1.4.9 Befehlsketten
Der Vergleich der Mathematik mit Musik oder mit Kochrezepten zieht mit sich nach, dass die injunktive Verwendung der Sprache Befehle aufeinander abflogen lässt. „Tu das, dann tu das“. Wir haben vorhin gemeint, dass Injunktionen sich in einem Kontext äußern, was Spencer-Brown im folgenden Wortlaut formuliert: „Y ist das, was wäre, wenn X“, wobei X der Befehl
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ist und Y der Kontext. Der Befehl eine Unterscheidung zu treffen, schließt daran an, dass eine Unterscheidung getroffen wird. Der Befehl selbst ist aber keine Unterscheidung. Wie schon gesagt, hat man keine Wahl, wie man dem Befehl folgt. Das ist wichtig, denn das läuft konträr zur Auffassung Luhmanns, dass es der Unterschied den Unterschied macht. „Zu diesem Begriff tritt noch eine andere Zweiseitigkeit hinzu, die in der viel zitierten Formulierung von Gregory Bateson aussagt, Information sei ‚a différence that makes a différence‘: ein Unterschied, der einen Unterschied macht.“ (Luhmann, 2004a, S. 128). Bei Spencer-Brown ist es die Identität, welche den Unterschied macht. Wir werden uns in Zukunft noch ausgiebiger damit beschäfti-gen, aber es sollte schon aus diesem und aus den vorangegangenen Kommentaren ersichtlich sein, dass Luhmanns Begriff des Systems aus der Perspektive von Spencer-Brown unhaltbar ist.
Befehle schließen also nicht aufeinander an, sondern auf den Kontext ihrer Verwendung. Wie sind dann Abfolgen von Befehlen möglich? Dazu meint Spencer-Brown, dass Befehle kontra-hiert oder ausgedehnt werden können. In den Laws of Form finden wir das später unter den Namen Contraction of Reference und Expansion of Reference wieder (Spencer-Brown, 2008, S. 7, 9).
Um dieses zu veranschaulichen, ziehen wir einen Vergleich zum Kochrezept. Wir wollen z.B. einen Kuchen backen und finden dazu ein Rezept, in welchem es in etwa steht: „Nimm so-und-so viel Mehl“, „füge so-und-so viele Eier hinzu“, „mische das Ganze“ usw. Das Resultat dieser Folge von Befehlen ist der Kuchen, genauso wie das Resultat des Befehls eine Unterscheidung zu ziehen die Unterscheidung ist. Das Rezept lässt sich allerdings vereinfachen in dem man anstatt den ersten drei Schritten z.B. sagt, „Bereite den Teig vor“. Genauso kann auch das ganze Rezept vereinfacht werden zu: „Bereite den Kuchen vor“. Das nennt Spencer-Brown (2008, S. 9) Contraction of Reference. Der Limit dieser Vereinfachung besteht darin, dass es weiterhin möglich sein soll, dass die Befolgung des Rezeptes zur Zubereitung des Kuchens führt, sodass immer noch gesagt werden kann, dass der Kuchen das sei, was wäre, wenn man dem Rezept folgen würde. Genauer gesagt, muss die Abfolge von Befehlen, egal ob vereinfacht oder nicht auf die gleiche Weise verwendet werden können. „In general, let injunctions be contracted to any degree in which they can still be followed“ (Spencer-Brown, 2008, S. 7). Die Umkehrope-ration dazu ist die Expansion of Reference, wobei es bei der Vereinfachung kein Limit gibt, da sich inhaltlich am Befehl nichts ändert (Spencer-Brown, 2008, S. 9).
Die Vereinfachung (simplification) von Befehlsketten ist die Grundlage der Kalkulation. Ver-schiedene Befehle werden zu einem vereinfacht, sodass ersichtlich ist, welche Handlung
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(reference) durch die Befehlskette impliziert12 wurde. Genauso können Befehle ausgetauscht werden, solange sich dabei inhaltlich nichts ändert (Spencer-Brown, 2008, S. 69). Man kann dem Rezept Schritt für Schritt folgen und schauen was dabei rauskommt oder man kann eine Prozedur entwerfen, welche diese Schritte zu einem zusammenfasst, sodass das Resultat sofort ersichtlich ist. Diese Prozedur bezeichnet Spencer-Brown als ein Kalkül (2008, S. 9). Und da Spencer-Brown in den Laws of Form, wie wir später sehen werden, die Verwendung von Be-fehlen auf die Anzeige der einen oder der anderen Seite der Unterscheidung limitiert, bezeich-net er diesen als Indikationskalkül (2008, S. 9).
Wir haben oben bereits das Law of Calling antizipiert, in dem wir uns die Abbildung 4 anschau-ten und meinten, dass die Verwendung eines Namens durch die Form darauf festgelegt ist, auf die durch den Namen benannte Seite der Unterscheidung zu zeigen. Wird der Name mehrmals verwendet, so zeigt er stets auf die gleiche Seite. Zwei Befehle des Nennens kontrahieren daher zu einem, weil die Referenz, dieselbe bleibt. Genauso kontrahieren zwei Befehle die Grenze der Unterscheidung zu überqueren zu keinem Befehl, da man durch das Hin-und-Zurück dort endet, wo man angefangen hat.
1.4.10 Struktur injunktiver Sprache
Wir merken auch an der Stelle, dass Spencer-Brown eine bestimmte Ordnung zwischen den Befehlen aufstellt. Wir merken, dass es einerseits Befehle gibt, mit denen wir etwas annehmen. So wie wir zum Beispiel annahmen, dass sich etwas von etwas anderem unterscheidet. Dann gibt es Befehle, welche auf die eine oder andere Seite dieser Unterscheidung zeigen. Und dann gibt es Befehle, welche die Verwendung der Befehle regeln. Um es nochmal mit dem oben-beschrieben Beispiel mit dem Kochrezept zu vergleichen, können wir unterschei-den, zwischen dem Backen des Kuchens, den einzelnen Kochschritten und der Regel, dass die Kochschritte zum Backen des Kuchens führen.
Spencer-Brown unterscheidet dazu zwischen Commands, Instructions und Canons. Als Com-mands werden Befehle bezeichnet, die eine Annahme implizieren, wie: „let there be so-and-so“. Als Instructions werden Befehle bezeichnet, welche etwas benennen, wie: „call so-and-so such-and-such“. Und als Canons werden Befehle benannt, welche Regeln für die Verwendung von Befehlen aufstellen (Spencer-Brown, 2008, S. 66–67).
Diese Befehle bilden die Struktur des Buchs Laws of Form. Befehle werden durch Worte, wie z.B.: „Draw“, „Call“, „Let“ , „Suppose“, usw. geäußert. Befehle folgen aufeinander und werden
12 Vgl. mit Intent in den Laws of Form (Spencer-Brown, 2008, S. 3).
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durch Unterkapitel getrennt. Jedes Unterkapitel ist für sich genommen ein Contraction of Re-ference. Das heißt, dass mehrere Befehle in einen größeren Befehl subsumiert werden, welcher durch die Befehle entsprechend benannt wird. Dieser wird dann in darauffolgenden Kapiteln eingesetzt. Die Trennung in einzelne Befehle erfolgt durch die Expansion of Reference. Die Befehle werden so lange geteilt, bis ein einzelner Befehl von dem Befehl unterschieden werden kann, welcher die Verwendung dieses Befehls erlaubt13.
Der Canon, der es erlaubt, dass ein Befehl etwas erlauben (und verbieten) kann, ist der erste Canon namens Convention of Intention, welcher unter anderem sagt: „what is not allowed is forbidden“ (Spencer-Brown, 2008, S. 3). Wir merken an der Stelle, dass bei Spencer-Brown die Handlung immer der Erlaubnis vorausgeht. Es wird etwas angenommen und dann wird die Regel dazu geschrieben, welche die Verwendung dieser Annahme erlaubt. Genauso wird die die hier dargestellte Architektur des Buchs Laws of Form im Laufe des Buchs hergeleitet.
Kann ein Befehl aus einer vorher aufgestellten Regel hergeleitet werden, so kann er bewiesen werden. Eine Befehlskette, welche eine solche Herleitung impliziert, bezeichnet Spencer-Brown (2008, S. 66–67) als einen Beweis. Die Laws of Form bilden daher ein zirkuläres Argu-ment, wobei Spencer-Brown behauptet, dass es zu keinem Fehlschluss führt: „The arguments used to validate the theorems in Laws of Form, as we now begin to see, are themselves validated by the calculus dependent upon those theorems. And yet, in no way is the argument a begging of the question. Now this is rather hard to understand, and perhaps it may come up in discus-sions later. Principia-principii, begging the question, it not a valid argument; it is a common fallacy. In no way is the question begged but in producing a system, in making its later parts come true, we use them to validate the earlier parts; and so the system actually comes from nothing and pulls itself up by its own bootstraps, and there it all is“ (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Origins).
1.4.11 Injunktion und Selbstreferenz
Wir kommen an der Stelle an dem Thema der Selbstreferenz an. Die Laws of Form setzen sich selbst voraus, aber dennoch haben wir bis jetzt nicht gemerkt, dass weder sie noch die Form in irgendeiner Weise paradox sind oder zu Paradoxie führen. Um die Möglichkeit der Selbstrefe-renz zu verstehen, müssen wir erstmal nochmal zu Befehlsketten zurück. Wir meinten, dass ein Befehl zu mehreren ausgedehnt werden kann. In den Laws of Form heißt der entsprechende
13 Wir machen das an einer anderen Stelle nochmal genauer vor
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Canon Expansion of Reference. Unter Referenz ist dabei die durch den Befehl implizierte Hand-lung gemeint.
Wir machen das für ein besseres Verständnis noch mal am Beispiel des Kochrezepts vor. Be-trachten wir dabei den Kochschritt: „Bereite den Teig vor.“. Dieser kann ausgedehnt werden zu z.B. „Nimm so-und-so viel Mehl“, „füge so-und-so viele Eier hinzu“, „mische das Ganze“. Die implizierte Handlung (Referenz) ist dieselbe geblieben. Hat man die Schritte ausgeführt, hat man den Teig zubereitet.
An dem Kochrezept ist nichts selbstreferent. Stellen wir uns dazu ein imaginäres Rezept vor, bei welchem der Teig ein Bestandteil des Teigs ist, sodass der Schritt „Bereite den Teig vor“, notwendig dazu ist, um den Teig vorzubereiten. Dieser ginge etwa so: „Bereite den Teig vor“, wird ausgedehnt zu: „Bereite den Teig vor“, „Nimm so-und-so viel Mehl“, „füge so-und-so viele Eier hinzu“, „mische das Ganze“. Wenn man den (Unter-)Befehl „Bereite den Teig vor“ dann ausdehnt und dann nochmal und dann nochmal, hat man eine unendliche Befehlskette. Dieser Kochrezept ist selbstreferent, da er sich selbst als Kochschritt voraussetzt.
Diese Befehlskette ist unendlich, denn auf den ersten Befehl folgt dann wieder der erste. Na-türlich kriegt man damit nichts gebacken, denn man wird mit der Zubereitung niemals aufhören können. Das heißt dann auch, dass sich ein solches Arrangement von Befehlen nicht mehr ver-einfachen (simplification) lässt. Das heißt, dass nicht mehr kalkuliert werden kann, zu welchem Ergebnis dieses Rezept führt. Es kann nicht mehr gesagt werden, ob am Ende der Teig oder Nicht-Teig entsteht. Nimm so-undso
viel Mehl
füge so-undso
viele Eier
hinzu
mische das
Ganze
Abbildung 8: Unendliches Kochrezept Quelle: Eigene Darstellung
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Betrachten wir die Unterscheidung Teig und Nicht-Teig als einen Wertebereich. Als Wert de-finieren wir das Ergebnis eines Kochrezeptes, also die Tatsache ob durch die durchgeführten Kochschritte ein Teig zubereitet wird oder nicht. Betrachten wir jedes Kochrezept als einen Zeiger auf den Wertebereich, welcher darauf zeigt, ob mithilfe des Kochrezepts ein Teig ent-steht oder nicht14. Bezeichnen wir diesen Wertebereich als reell. Da sich ein unendliches Koch-rezept nicht vereinfachen lässt, was heißt, dass nie klar wird ob daraus ein Teig entsteht oder nicht, zeigt er weder auf die eine Seite noch auf die andere Seite der Unterscheidung. Sein Wert liegt damit nicht im reelen Wertebereich, wozu Spencer-Brown (2008, S. 46–48) dann meint, dass der Wert imaginär ist15.
Das ist der berühmte Re-entry16, welches so viele verunsichert hat. Daran ist erstmal nichts paradox. Es ermöglicht aber eine Auflösung von Paradoxien. Es ist nochmal wichtig zu verste-hen, dass Selbstreferenz nicht nur auf Paradoxien beruht. Elena Esposito (1993, S. 107–111) bringt dazu ein gutes Beispiel aus der Informatik, welches wir hier etwas erweitern wollen.
Man möchte ein Computerprogramm schreiben, welches zu einer Zahl x, 1 dazu addiert. In der Programmiersprache C würde dieses wie folgt aussehen. 𝑖𝑛𝑡 𝑥; 𝑥=𝑥+1;
Wie Elena Esposito (1993, S. 108) richtig sieht, ist der Ausdruck 𝑥=𝑥+1, für den Computer überhaupt kein Problem, da das Zeichen „=“ nicht Identität bedeutet. Das Gleichheitszeichen bedeutet in etwa „setzt sich zusammen aus“. Dieser Programmcode funktioniert wie folgt. Die erste Zeile sagt: „Definiere x als eine Variable vom Typ Integer“. Integer ist der Zahlenbereich der ganzen Zahlen. Definieren heißt, dass der Computer die Variable unter einer bestimmten Adresse im Arbeitsspeicher speichern soll. Die zweite Zeile sagt: „Hole den Wert der Variablen x aus dem Arbeitsspeicher, addiere 1 dazu, speichere diese unter der Adresse von x“.
Auch hier wieder haben wir einen selbstreferentiellen Ausdruck, und wieder keine Paradoxie. Esposito (1993, S. 108) sieht richtig, dass dieser Ausdruck daher funktionsfähig ist, da er aus-schließlich auf Anweisungen beruht. Sie zieht dann daraus auch den richtigen Schluss, dass der Re-entry von Spencer-Brown der Systemtheorie nicht weiterhelfen kann. Sie sieht, dass solche selbstreferentielle Ausdrücke für Computer überhaupt keine Schwierigkeit darstellen. Sie sieht
14 Im Grunde ist das der Inhalt der ersten vier Kapitel der Laws of Form
15 Vergleiche mit dem Kapitel: 1.2.2 Exkurs: Imaginäre und komplexe Zahlen
16 In deutscher Übersetzung: Wiedereintritt
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auch, dass eine solche Rechenoperation vollständig auf Anweisungen beruht und dass Compu-ter beim Rechnen nichts repräsentieren. „Allerdings beschränkt sich Spencer Brown darauf, die Paradoxien zu ‚entmystifizieren‘: Er zeigt, daß sie nichts Geheimnisvolles an sich haben, daß sie jederzeit generiert werden können […] und daß sie unter diesem Gesichtspunkt nicht einmal besonders interessant sind“ (Esposito, 1993, S. 99). Das sieht sie aber als ein Problem an, denn damit sei die Beobachtung der zweiten Ordnung unmöglich, denn man will ja Paradoxien und die dazugehörige Entparadoxierung beobachten. Und genau das biete Spencer-Brown nicht. Stattdessen müsse man auf eine dreiwertige Logik zurückgreifen, um das Mysterium der Para-doxie zu bewahren (Esposito, 1993, S. 96–99, 107–111).
Wir sagen es hier nochmal. Der Re-entry ist keine Selbstbeobachtung, genauso wie die Form keine Beobachtung ist. Die Form ist eine Regel der Sprachverwendung, welche als Regel durch einen Befehl gesetzt wird. Wir meinten, dass die Laws of Form sich selbst voraussetzen. Das Buch Laws of Form ist eine Befehlskette, in welcher die Befehle die Befolgung der später ein-gesetzten Befehle voraussetzen, welche die Verwendung erster erlaubt. Wir sprechen daher nicht von Beobachtung, sondern von der Annahme, wobei wir die Annahme als einen Befehl verstehen. Und genauso sprechen wir nicht von Selbstbeobachtung, sondern von der Selbstan-nahme. Wir hoffen, dass es ersichtlich ist, wie sehr sich die Mathematik Spencer-Browns von der systemtheoretischen Rezeption seiner Mathematik unterscheidet. So sehr, dass wir uns fra-gen, ob man an der Stelle nicht sogar von einem anderen Paradigma sprechen könnte.
1.4.12 Paradoxie und Gedächtnis
Wir erklärten vorhin die Selbstreferenz in dem wir uns ein Kochrezept vorstellten, welches sich selbst als Kochschritt voraussetzt. Daraufhin zogen wir eine Unterscheidung, zwischen Teig und Nicht-Teig und meinten, dass jedes Rezept als ein Zeiger verwendet könnte, welcher ab-hängig davon, was durch seine Verwendung zubereitet wird, auf die eine oder die andere Seite dieser Unterscheidung zeigt. Führt ein Rezept dazu, dass der Teig zubereitet wird, so zeigt er auf die entsprechende Seite. Wenn nicht, so zeigt er auf die andere.
Was wir dabei taten, ist, dass wir die Form der Unterscheidung entsprechend kodierten. Wir nahmen die Form der ersten Unterscheidung17 und leiteten die konkrete Unterscheidung als einen besonderen Fall dieser ab. Dieser Vorgang wird in den Laws of Form als Interpretation bezeichnet: „In interpreting a calculus, what we do is match the values or states or elements allowed in the calculus to a similar set of values or states or elements in what is to become its
17 Dazu mehr im Kapitel: 2.3 Forms taken out of the form. Wir werden das Thema generell nochmal genauer besprechen.
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interpretation. An interpretation is properly matched if each element in it is associated with an identifiable element in the calculus, and the elements in each case have similar distinctions between them. Even so, although there must be this degree of similarity between a calculus and an interpretation of it, in any case of a calculus of more than one value, the calculus and the interpretation are distinct. The fact of their distinction is made plain by the plurality of ways in which a given interpretation can be applied“ (Spencer-Brown, 2008, S. 90).
Spencer-Brown (1973a, Abschn. Mathematics and Logic) stellt die Logik als einen besonderen Fall seiner Mathematik vor. Dazu kodiert er die Seiten der Form der ersten Unterscheidung als „wahr“ und „falsch“ und übersetzt logische Aussagen dementsprechend als Befehle auf die eine oder die andere Seite der Unterscheidung zu zeigen18. Die Aussage: „x ist wahr“ wird übersetzt zu: „Die Verwendung der Aussage x zeigt auf die Seite der Unterscheidung namens wahr“. Und „x ist falsch“ zeigt dementsprechend auf die andere Seite.
Schauen wir uns die Aussage: „Dieser Satz ist falsch“ an. „X“ soll für „Dieser Satz“ stehen und soll den Befehl äußern auf die Seite der Unterscheidung „wahr“ zu zeigen. „Nicht-“ soll für „ist falsch“ stehen und soll den Befehl bedeuten auf die andere Seite der Unterscheidung zu zeigen. Dementsprechend: X=Nicht-X. Wir lesen das buchstäblich als „Zeige auf die Seite „wahr“ und dann zeige auf die andere Seite“. Diese Befehlskette kontrahiert zu „Zeige auf die Seite, die nicht „wahr“ heißt.“.
Führen wir X von der linken Seite der Gleichung, wieder in rechte Seite der Gleichung ein (Re-entry): X=Nicht-Nicht-X. Und nochmal: X=Nicht-Nicht-Nicht-X. Und dann nochmal und nochmal bis ins Unendliche, sodass wir wieder eine unendliche Befehlskette haben. Verwenden wir X als einen Befehl auf die als „wahr“ benannte Seite der Unterscheidung zu zeigen: X zeigt auf „wahr“, Nicht-X zeigt auf „falsch“, Nicht-Nicht-X zeigt auf „wahr“, Nicht-Nicht-Nicht-X zeigt auf „falsch“ und so weiter bis ins Unendliche. Die Anzeige wechselt zwischen den beiden Seiten der Unterscheidung. Es wird auf „wahr“ gezeigt, dann auf „falsch“, dann auf „wahr“, dann auf „falsch“ usw. Dieses bezeichnet Spencer-Brown (Spencer-Brown, 2008, S. 50) als Oszillationsfunktion.
Wir sagen es hier nochmal, weil wir es nicht oft genug sagen können. Es wird nicht die Unter-scheidung in die Unterscheidung wiedereingeführt, wie Luhmann (2004a, S. 86–87) behauptet, sondern der Befehl, wird als ein Teil-Befehl in seine eigene Befehlskette wiedereingeführt.
18 Wir machen das später nochmal an einer anderen Stelle genauer vor, wenn wir das Appendix 2 der Laws of Form besprechen
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Schauen wir uns die Aussage „Dieser Satz ist wahr“ an. Schreiben wir sie als: X = Nicht-Nicht-X. In sich selbst wiedereingeführt, X=Nicht-Nicht-Nicht-Nicht-X und so weiter. Diese einzel-nen Befehle kontrahieren jeweils zu dem Befehl „Zeige auf die Seite „wahr““, sodass sich die Reihenfolge ergibt: wahr-wahr-wahr-… usw. Die Aussage „Dieser Satz ist wahr“ ist ein Fall von dem, was Spencer-Brown (Spencer-Brown, 2008, S. 50–51) als Gedächtnisfunktion be-zeichnet (Schönwelder-Kuntze et al., 2009, S. 185–188). Das heißt, dass die Ausgabe, vom Wert der Eingabe abhängt. Mit anderen Worten erinnert sich der Satz „Dieser Satz ist wahr“, daran, dass er irgendwann mal in der Vergangenheit wahr gewesen ist, sodass er in der Gegen-wart wahr sein kann.
An der Stelle wird auch der Begriff der Zeit eingeführt, wobei er die ganze Zeit schon voraus-gesetzt war. So benötigen zum Beispiel Befehle in Befehlsketten Zeit, um nacheinander abzu-laufen. Wie schon gesagt, setzen die Laws of Form sich selbst voraus.
Es ist hier noch mal wichtig zu verstehen, dass die Oszillationsfunktion und die Gedächtnis-funktion sich nicht aufeinander zurückführen lassen. Sie sind keine Synonyme, wie Dirk Baecker (2020a, S. 38) sie zum Beispiel verwendet. Darüber hinaus wird die Modulator Func-tion eingeführt, welche Zähler ermöglichen soll (Schönwelder-Kuntze et al., 2009, S. 188–190; Spencer-Brown, 2008, S. 53–56). Diese wird uns aber nicht weiter interessieren.
Die hier verwendeten Aussagen, „Dieser Satz ist falsch“ und „Dieser Satz ist wahr“ schöpfen die Verwendung dieser Funktionen aus. Genauso schöpft Logik die Verwendung der Unter-scheidung nicht aus, denn sie ist ja nur eine Interpretation. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Befehle auf die eine oder andere Seite der Unterscheidung zu zeigen selbst weder wahr noch falsch sind. Spencer-Brown meint daher, dass sich auch Wahrheit und Falschheit als solches auf diese Befehle reduzieren lassen. Die Form gilt auch hier als eine Erkenntnismethode19.
1.4.13 Wahrheit und Realität
„The concept of truth is more central, although still recognizably peripheral. If the weakness of present-day science is that it centres round existence, the weakness of present-day logic is that it centres round truth. Throughout the essay, we find no need of the concept of truth, apart from two avoidable appearances (true = open to proof) in the descriptive context. At no point, to say the least, is it a necessary inhabitant of the calculating forms. These forms are thus not only precursors of existence, they are also precursors of truth. It is, I am afraid, the intellectual block which most of us come up against at the points where, to experience the world clearly, we must
19 Siehe Kapitel: 1.4.8 Die Form als Erkenntnismethode
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abandon existence to truth, truth to indication, indication to form, and form to void, that has so held up the development of logic and its mathematics“ (Spencer-Brown, 2008, S. 82)
Der letzte Satz wird oft zitiert und daher wollen wir diesen für ein besseres Verständnis nochmal kommentieren. Existenz wird, so wie zum Beispiel bei Wittgenstein, auf die Aussage zurück-geführt, dass es sich so-und-so verhält. Diese Aussage, soweit sie die Tatsache abbildet, ist wahr. Die Wahrheit reduziert Spencer-Brown durch seine logische Interpretation auf den Be-fehl die Seite der Unterscheidung anzuzeigen, welche „wahr“ heißt. Die Anzeige der Seite der wird auf die Regel des Sprachspiels, die Form, zurückgeführt, welche die Anzeige ermöglicht. Die Form selbst wird auf den Befehl zurückgeführt, sie als Regel zu setzen, wobei der Befehl, da er injunktiv ist, nichts repräsentiert, sodass gesagt werden kann, dass die Form aus dem Nichts kommt.
Der Grund, warum Spencer-Brown meint, dass obwohl die Laws of Form ein zirkuläres Argu-ment sind, sie dennoch kein Fehlschluss sind, ist der, dass nicht die Wahrheit der Laws of Form präsupponiert wird. Die Laws of Form sind eine Befehlskette, in welcher sie selbst vorkommen. Sie sind daher weder wahr noch falsch (Spencer-Brown, 2008, S. 82–83). Mit dem Begriff der Realität wird dabei etwas komplizierter verfahren. Wir müssen an der Stelle eine längere Pas-sage zitieren, da darauf oft in systemtheoretischer Literatur eingegangen wurde20:
„Returning, briefly, to the idea of existential precursors, we see that if we accept their form as endogenous to the less primitive structure identified, in present-day science, with reality, we cannot escape the inference that what is commonly now regarded as real consists, in its very presence, merely of tokens or expressions. And since tokens or expressions are considered to be of some (other) substratum, so the universe itself, as we know it, may be considered to be an expression of a reality other than itself.
Let us then consider, for a moment, the world as described by the physicist. It consists of a number of fundamental particles which, if shot through their own space, appear as waves, and arc thus (as in Chapter 11), of the same laminated structure as pearls or onions, and other wave forms called electromagnetic which it is convenient, by Occam’s razor, to consider as travelling through space with a standard velocity. All these appear bound by certain natural laws which indicate the form of their relationship.
Now the physicist himself, who describes all this, is, in his own account, himself constructed of it. He is, in short, made of a conglomeration of the very particulars he describes, no more,
20 Luhmann (1993a, S. 203–204) zum Beispiel in Die Paradoxie der Form
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no less, bound together by and obeying such general laws as he himself has managed to find and to record. Thus we cannot escape the fact that the world we know is constructed in order (and thus in such a way as to be able) to see itself “ (Spencer-Brown, 2008, S. 85).
Was man daraus gelesen hat, ist eine Theorie des Beobachters, welcher, um zu beobachten, sich selbst von dem abtrennen muss, was er beobachtet, sodass der Beobachter einen blinden Fleck haben muss, und zwar sich selbst (Luhmann, 1993a, S. 198, 231; von Foerster, 2003e, S. 212–213). Das stimmt aber nicht ganz. Wir nehmen das Schritt für Schritt auseinander.
Mit existential precursor ist die Form gemeint. Die Form ist daher ein existentieller Vorläufer, da, wie oben beschrieben, die Existenz zuerst auf die Wahrheit zurückgeführt wird, dann auf die Anzeige und dann auf die Form. Und nun sagt Spencer-Brown, dass in der modernen Wis-senschaft, welche deskriptiv ist und die er kritisiert, es die Ansicht gibt, dass sprachliche Aus-drücke etwas repräsentieren, was keine Ausdrücke sind. Wenn das, was durch die Ausdrücke repräsentiert wird, als Realität bezeichnet wurde, so können die Beschreibungen der Realität selbst nicht real sein, wenn man meint, dass sich die Realität von der Beschreibung der Realität unterscheidet. Und gerade das findet er absurd, was er dann an dem Beispiel mit dem Physiker veranschaulicht. Der Physiker muss, um die Realität zu beschreiben, seine eigene Beschreibun-gen von der Welt abtrennen, sodass ein immer inkomplettes Bild der Realität entsteht. Das ist wieder eine Kritik der deskriptiven Sprache, von der er meint, dass sie niemals alles beschreiben können wird.
Die Realität der deskriptiven Sprache sei daher imaginär, denn wenn Beschreibungen real sind, so sind sie nicht real, weil das was sie als real beschreiben selbst keine Beschreibungen sind. Beschreibungen oszillieren zwischen diesen zwei Zuständen (Spencer-Brown, 1973c, Abschn. Waves and Particles). Man hat an der Stelle eine Paradoxie, und man könnte an der Stelle tat-sächlich meinen, dass diese dadurch entparadoxiert wird, dass der Beobachter dieser Realität es sich verbietet seine eigene Beobachtung zu beobachten. Und genau das finden wir später auch bei Luhmann (1993b, S. 48–49, 2004a, S. 86–87) wieder. Das ist aber nicht das, was Spencer-Brown behaupten will. Genauso findet sich weder der Begriff der Entparadoxierung noch die Notwendigkeit der Entparadoxierung bei Spencer-Brown wieder. Wie schon gesagt sind Paradoxien für Spencer-Brown nichts geheimnisvolles (Esposito, 1993, S. 99).
Der Realität der deskriptiven Sprache setzt Spencer-Brown eine andere Auffassung der Realität entgegen. Diese besteht darin, dass die (richtige) Erkenntnis der Realität nicht in der Entde-ckung von Neuem besteht, und somit nicht in der Beschreibung, sondern in der Erinnerung
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daran, welche Annahmen man eingehen musste, bzw. welchen Befehlen man gefolgt ist um die Realität so zu konstruieren, wie sie erscheint (Spencer-Brown, 2008, S. 84). Und genauso, wie man diesen Befehlen gefolgt hat, kann man diesen Befehlen auch nicht folgen. Wir haben das weiter oben als das Verlernen bezeichnet. Damit die deskriptive Realität überhaupt erscheint, muss vorausgesetzt sein, dass die verwendeten Bezeichnungen etwas bezeichnen, was selbst keine Bezeichnungen sind21. Verlernt man auch das, so sieht man, dass die injunktive Sprache und somit auch die Mathematik mit der Realität eins sind. Der Unterschied kommt nur zustande, sobald man so tut, als ob sich etwas von etwas anderem unterscheidet, sodass man wieder bei der Form anfängt. „It is only by assuming that some states, or that a state, one State, may be better than another, that the universe comes into being. The universe, as I then discovered, is simply the result of if it could be that some state had a different value from some other state. But that is to start at the end.“ (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Mathematics and Logic).
Anschließend meint er auch, dass, weil man durch die Verwendung der Form an der Einheit zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem ankommt, die ganze Auseinandersetzung unnötig gewesen ist, was die strukturelle Ähnlichkeit zur Logisch-Philosophischen Abhandlung von Wittgenstein (1922, TLP 6.54) endgültig zementiert. „Coming across it thus again, in the light of what we had to do to render it acceptable, we see that our journey was, in its preconception, unnecessary, although its formal course, once we had set out upon it, was inevitable“ (Spencer-Brown, 2008, S. 86).
Erst hier sehen wir die Paradoxie der Form. Die Form hebt sich selbst auf. Die Form erscheint, sobald der Befehl geäußert wurde eine Unterscheidung zu treffen und führt dazu, dass die Dif-ferenz zwischen dem Bezeichnetem und dem Bezeichnendem wieder aufgehoben wird, sodass sie wieder durch das Treffen einer Unterscheidung gesetzt werden muss. Die Form setzt somit nicht nur die Unterscheidung zwischen dem Bezeichnendem und dem Bezeichnetem. Sie zeigt auch die (ontologische) Abwesenheit dieser Unterscheidung.
1.5 Zusammenfassung und Einordnung der Laws of Form
[1] Nun sind wir mit dem theoretischen Teil der Laws of Form durch und können uns mit der Einordnung der Laws of Form beschäftigen. Wir sagen es nochmal so prägnant wie möglich was die Form ist. Die Form setzt die Beziehung zwischen dem Bezeichnetem und dem Be-zeichnendem. Die Form entsteht, wenn das Bezeichnete von dem Bezeichnendem getrennt wer-den. Diese Differenz kommt zustande, sobald irgendeine Unterscheidung getroffen wurde,
21 Das bringt uns wieder an den Anfang, und zwar an die zuvor formulierte Kritik an Wittgenstein im Kapitel: 1.1 Die Anfänge .
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sodass sich ein etwas von etwas anderem unterscheidet, sodass dieses bezeichnet werden kann. Damit entsteht die Differenz zwischen dem Bezeichnendem und dem Bezeichnetem und damit die Form.
[2] Die Form ist die Regel, welche es setzt, dass das Bezeichnende auf das Bezeichnete zeigt, indem es dieses bezeichnet. Die Form ist daher eine Regel der Sprachverwendung. Diese Regel umfasst zwei Arten der Verwendung der Bezeichnung. Sie kann als Name verwendet werden und sie kann als Befehl verwendet werden die Grenze der Unterscheidung zu überqueren. Beide Befehle intendieren eine Anzeige auf die eine oder die andere Seite der Unterscheidung. Diese Beiden Arten der Sprachverwendung sind die Gesetze der Form.
[3] Als die Konsequenz dieser Gesetze entsteht ein Kalkül, welches ein Arrangement von Be-fehlen auf die eine oder die andere Seite der Unterscheidung zu zeigen zu einem einzigen Befehl zusammenfasst. Dieses Kalkül wird daher als ein Indikationskalkül bezeichnet. Zu diesem ent-steht eine Arithmetik und dann eine Algebra, mit welcher es auch möglich ist, selbstreferentielle Aussagen zu formulieren.
[4] Das entsprechende Kodieren der ersten Unterscheidung, macht es möglich das Indikations-kalkül entsprechend zu interpretieren. Die Logik und das trifft sowohl für die Aussagenlogik, sowie für die Schaltungslogik, wird als eine mögliche Interpretation und somit als ein besonde-rer Fall der Laws of Form abgeleitet.
[5] Mit der Ableitung der Logik als einen besonderen Fall der Laws of Form wird auch der Begriff der Wahrheit und somit der Begriff der Existenz abgeleitet. Die Rückführung der Exis-tenz auf die Regel der Bezeichnung, also auf die Form, hebt die Trennung zwischen dem Be-zeichnendem und dem Bezeichnetem wieder auf, sodass sich die Form wieder aufhebt.
Der erste Teil bezieht sich auf das Verhältnis zwischen dem Bezeichnetem und dem Bezeich-nendem. Dieses Verhältnis ist Teil der Semiotik und geht auf Ferdinand de Saussure zurück. Genauer bezog sich Spencer-Brown dabei auf Peirce. Wir werden die Beziehung zur Semiotik näher spezifizieren, sobald wir uns genauer mit dem zweiten Kapitel der Laws of Form beschäf-tigen.
Der zweite Teil ist unmissverständlich Sprachphilosophie, welche alles mit Wittgenstein zu tun hat. Sie steht inhaltlich Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen sehr nah, wobei die Struktur des Buches Laws of Form eher dem Tractatus ähnelt. Man kann an der Stelle auch eine Nähe zur Sprechakttheorie ziehen, sobald man merkt, dass jeder sprachliche Ausdruck auf die
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Handlung reduziert wird auf die eine oder andere Seite der Form der ersten Unterscheidung zu zeigen.
Der dritte Teil ist Mathematik. Es wird ein Kalkül, Rechenschritte, Rechenregeln, Arithmetik, Algebra usw. eingeführt. Wir meinten vorhin, dass Spencer-Brown der Pathos der Mathematik genommen werden musste, um das Buch zu verstehen. Wir sehen auch hier, dass die Mathe-matik nur ein Teil der ganzen auseinander Setzung ist und nur als Konsequenz der ersten beiden Teile entsteht. Das zeigen wir genauer, sobald wir und mit dem zweiten und dritten Kapitel der Laws of Form beschäftigen. Hätten wird die Laws of Form als ein mathematisches Buch gele-sen, hätten wir den Rest übersehen.
Der vierte Teil ist die logische Interpretation der Laws of Form. Wie später gezeigt wird, schafft Spencer-Brown es tatsächlich auf seiner Mathematik die Logik zu begründen, wobei unter Lo-gik hauptsächlich die Boolesche Algebra gemeint ist. Damit sieht Spencer-Brown sein Werk als Teil der Debatte um die Grundlagen der Mathematik.
Den fünften Teil bezeichnen wir hier als Erkenntnislehre. Wie im Kapitel 1.4.8 Die Form als Erkenntnismethode gezeigt, stellt Spencer-Brown die Form als eine Methodologie vor, welche zum Ziel hat, zu zeigen auf welchen Befehlen bzw. Annahmen oder Regeln ein Wissensbestand beruht.
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- Die Laws of Form
Wir können an der Stelle mit dem Text der Laws of Form selbst beginnen. Wir werden uns natürlich nicht mit dem gesamten Text beschäftigen, denn das würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und würde auch das Ziel dieser verfehlen, denn wir wollen keine Einführung zu den Laws of Form schreiben. Wie schon gesagt, setzt sich der Text der Laws of Form sich selbst voraus. Es ist daher gut, dass wir den theoretischeren22 Teil behandelt haben, sodass der Text für uns ohne weiteres verständlich sein wird. Wir wollen dabei ausführlicher auf die ersten und auf die letzten beiden Kapitel eingehen. Das hängt auch damit zusammen, dass Luhmann sich vor allem auf diese Kapitel bezog (Hölscher, 2009, S. 258–259). Die anderen Kapitel sind na-türlich nicht weniger wichtig. Wir werden sie auch erwähnen und werden sie aber nur so weit behandeln, wie wir sie brauchen. Wir haben zu dem Zweck, damit uns für das Rechnen nichts fehlt, den Index of Forms, in welchem alle Axiome, Canons, Theoreme und Konsequenzen noch-mal stehen, in den Anhang dieser Arbeit angehängt. Wir werden auch auf das Appendix 2 ein-gehen, in welchem die logische Interpretation der Laws of Form präsentiert wird. Zur besseren Orientierung skizzieren wir erstmal den Aufbau der Laws of Form.
2.1 Der Aufbau der Laws of Form
Die Laws of Form beginnen, alle später hinzugefügte Vorworte ausgenommen, mit der Einlei-tung. Der Inhalt dieser Einleitung besteht darin, dass Spencer-Brown bestimmte Ansichten über die Mathematik und Naturwissenschaften äußert, die wir weiter oben schon zusammengefasst haben23.
„In view of this apparent reversal, Laing suggests that what in empirical science are called data, being in a real sense arbitrarily chosen by the nature of the hypothesis already formed, could more honestly be called capta. By reverse analogy, the facts of mathematical science, appearing at first to be arbitrarily chosen, and thus capta, are not really arbitrary at all, but absolutely determined by the nature and coherence of our being. In this view we might consider the facts of mathematics to be the real data of experience
„In view of this apparent reversal, Laing suggests that what in empirical science are called data, being in a real sense arbitrarily chosen by the nature of the hypothesis already formed, could more honestly be called capta. By reverse analogy, the facts of mathematical science, appearing at first to be arbitrarily chosen, and thus capta, are not really arbitrary at all, but absolutely determined by the nature and coherence of our being. In this view we might consider the facts of mathematics to be the real data of experience, for only these appear to be, in the final analy-sis, inescapable“ (Spencer-Brown, 2008, S. xix–xx).24
22 Wir wollen damit nicht sagen, dass der Teil irgendwie wichtiger ist als der Rest oder dass er konzeptionell davon trennbar ist.
23 Siehe Kapitel: 1.4.8 Die Form als Erkenntnismethode
24 „Differences in the etymological roots of the terms data and capta make the distinction between constructivist and realist approaches clear. Capta is “taken” actively while data is assumed to be a “given” able to be recorded and observed. From this distinction, a world of differences arises. Humanistic inquiry acknowledges the situated, partial, and constitutive character of knowledge production, the recognition that knowledge is constructed, taken, not simply given as a natural representation of pre-existing fact“ (Drucker, 2011, S. 2).
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In dem note on the mathematical approach schreibt er dann, dass er konträr zur kontemporären Mathematik nicht aus der Mitte heraus anfängt, sondern mit dem Anfang, was wir ebenfalls schon erwähnt haben. Genauso spricht er die Handlung des Unterscheidens an und sagt, dass die Wissensbestände der Mathematik und der Naturwissenschaften auf dieses zurückgeführt werden können.
„The theme of this book is that a universe comes into being when a space is severed or taken apart. The skin of a living organism cuts off an outside from an inside. So does the circum-ference of a circle in a plane. By tracing the way we represent such a severance, we can begin to reconstruct, with an accuracy and coverage that appear almost uncanny, the basic forms un-derlying linguistic, mathematical, physical, and biological science, and can begin to see how the familiar laws of our own experience follow inexorably from the original act of severance“ (Spencer-Brown, 2008, S. xxii).
Bevor der Text noch beginnt, sind auf der Seite Null der Laws of Form chinesische Hierogly-phen abgebildet. Übersetzt heißen sie „Der Anfang von Himmel und Erde hat keinen Namen“. Der Satz entspring der Daodejing und bedeutet folgendes: „The begining of heaven and earth is nameless since, for a thing to possess a name, it must be possible to distinguish that thing from that which it is not: a division needs to have been made. Such a thing could not, therefore, be the beginning. The beginning existed before the division: before there was a name.“ (Lee, 2013, S. 16). Das kommt uns bekannt vor und wir haben dies schon vorweggenommen im Ka-pitel: 1.4.6 Die Form. An der Stelle wird die Verbindung zwischen ostasiatischer Philosophie und den Laws of Form nochmal deutlich gemacht.
Das erste Kapitel heißt The Form. Dort steht, dass von dem Gedanken der Unterscheidung und der Anzeige ausgegangen wird. Danach wird die Unterscheidung definiert. Anschließend wer-den die beiden Gesetze der Form, das Law of calling und das Law of crossing geäußert.
Das zweite Kapitel heißt Forms taken out of the form. Was der Name dieses Kapitels bedeutet, werden wir sehen, wenn wir uns mit dem Kapitel beschäftigen. In dem Kapitel werden Regeln für die Verwendung eines Zeichens (Tokens), sowie eines Arrangements von Zeichen als An-zeige auf die eine Seite oder die andere Seite der Unterscheidung aufgestellt.
Im dritten Kapitel, The conception of calculation, werden Regeln für die Zusammenfassung von mehreren Befehlen auf die eine oder die andere Seite der Unterscheidung zu zeigen aufge-stellt. Die beiden Regeln der Zusammenfassung werden als Initials bezeichnet. Daraus wird das Indikationskalkül gebildet.
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Kapitel vier, The primary arithmetic, besteht in der Entwicklung von Rechenregeln, Theore-men, aus dem Indikationskalkül. Die dabei entstehenden Theoreme machen es möglich alle arithmetischen Ausdrücke zu vereinfachen und somit anzuzeigen, welche auf die markierte bzw. auf die unmarkierte Seite der Unterscheidung zeigen. Die zwei letzten Theoreme bilden die Vorläufer zu den beiden Initials der primären Algebra.
Im fünften Kapitel, A calculus taken out of the calculus, werden Variablen, sowie das cross als Konstante eingeführt. Die beiden Initials der Algebra werden hier als solches eingeführt. Die primäre Algebra wird definiert.
Im Kapitel sechs, The primary algebra, werden Rechenregeln aus den beiden algebraischen Initials abgeleitet, als consequences bezeichnet und klassifiziert. Bei der Klassifizierung wird fällt dabei auf, dass die Rechenschritte der primären Algebra nicht kongruent zu den Rechen-schritten der primären Arithmetik sind.
Im Kapitel sieben, Theorems of the second order, werden weitere, noch grundlegendere Theo-reme aus der primären Algebra abgeleitet. Diese bilden Muster für eine Vereinfachung kom-plexer algebraischer Ausdrücke (Schönwelder-Kuntze et al., 2009, S. 55). Die erste Ordnung waren die arithmetischen Theoreme. Algebraische Theoreme sind Theoreme der zweiten Ord-nung.
Kapitel acht, Re-uniting the two orders, bringt die beiden Ordnungen wieder zusammen. Das heißt, dass Regeln gebildet werden, die sowohl für die Arithmetik als auch für die Algebra gelten. Das sind Regeln, mit welchen gezeigt werden kann, ob ein algebraischer Ausdruck in einen arithmetischen Ausdruck umgewandelt werden kann oder nicht. Mit diesen wird die Grundlage für das Re-entry gelegt.
Kapitel neun und zehn heißen Completness und Independence. In ihnen geht Spencer-Brown auf den Unvollständigkeitssatz von Gödel ein und meint, dass sein Kalkül, sowohl vollständig als auch unabhängig sei.
Das elfte Kapitel, Equations of the second degree, beschäftigt sich mit selbstreferentiellen Aus-drücken. Aus den bisherigen Rechenregeln wird abgeleitet, dass ein algebraischer Ausdruck, bis ins Unendliche erweitert werden kann, sodass gesagt wird, dass er in sich selbst wiederein-geführt wird. Dieser Wiedereinführung wird als das Re-entry bezeichnet. Daraus wird schon der im Kapitel sechs angedeutete Verlust der Verbindung zwischen der primären Algebra und der primären Arithmetik abgeleitet, sodass ein solcher unendlicher Ausdruck nicht mehr zu ei-ner einzigen Anzeige vereinfacht werden kann. Dazu wird der imaginäre Zustand, sowie der
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imaginäre Wert eingeführt. Die verschiedenen Möglichkeiten solcher selbstreferent Ausdrücke werden als Oscillator function, Memory function und Modulator function klassifiziert und wer-den mit technischen Beispielen dazu versehen. Damit endet die Hauptauseinandersetzung, da-vor wird aber noch ein Blick auf den Anfang geworfen.
Das zwölfte Kapitel, Re-entry into the form, stellt vier Experimente da, welche zeigen sollen, dass die Form auch mit einer anderen Notation beobachtbar gemacht werden kann und dass das Indikationskalkül die Form nicht ausschöpft. Die Anzeigen auf die Seiten der Unterscheidung werden als Kreise dargestellt und es wird gezeigt, dass sie abhängig von der Markierung mitei-nander verwechselt und somit gleichgesetzt werden können, sodass die Gesetze der Form wie-der ersichtlich werden. Darüber hinaus wird zum ersten Mal der Beobachter angesprochen, welcher als ein Kontext impliziert25 wird, in welchem sich die Unterscheidung äußert.
2.2 The Form
Nun zu dem Buch selbst. Wie gesagt, behandeln wir die ersten beiden Kapitel ausführlich. Als erstes und ohne Überschrift wird gesagt: „We take as given the idea of distinction and the idea of indication, and that we cannot make an indication without drawing a distinction. We take, therefore, the form of distinction for the form.“ (Spencer-Brown, 2008, S. 1).
In der deutschen Fassung des Buchs wurde indication als Bezeichnung übersetzt, was nicht korrekt ist. Wie oben ausgeführt ist die Anzeige, wie es richtig heißen müsste, keine Bezeich-nung, sondern ein Bestandteil und vielleicht auch ein Vorläufer der Bezeichnung. Der Begriff der Bezeichnung impliziert wesentlich mehr als der Begriff der Anzeige. Wir sind hier noch nicht in dem Bereich, wo Zeichen und Bezeichnetes eingeführt werden oder eingeführt werden können. Die Tradition Indication als Bezeichnung zu übersetzen läuft dabei auf Luhmann zu-rück (Luhmann, 1993a, S. 203–204, 2004a, S. 74). Diese Übersetzung mehr Verwirrung als Verständnis gestiftet. Wie soll man zum Beispiel auf die unbezeichnete Seite der Unterschei-dung zeigen, wenn man das Konzept der Anzeige nicht von dem Konzept der Bezeichnung unterschieden hat?
Dem Wörtchen „therefore“ schenkte Luhmann dabei eine besondere Beachtung: „Man beachte das ‚therefore‘! Offenbar ist die Unterscheidung deshalb die Form schlechthin, weil sie die Unterscheidung von Unterscheidung und Bezeichnung (distinction/indication) impliziert, also
25 Vergleiche mit dem Begriff des impliziten Kontexts von Matthias Varga von Kibéd (Kibéd, 2016; Schönwelder-Kuntze et al., 2009, S. 234; Varga von Kibéd & Matzka, 1993, S. 61).
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sich selbst als notwendiges Element enthält. Das Prozessieren der Form dient der Entfaltung dieser Paradoxie“ (Luhmann, 1993b, S. 50).
Luhmann sieht richtig, dass das „therefore“ sich auf das Verhältnis zwischen Form und Unter-scheidung bezieht. So wie er das liest, heißt das, dass die Form und die Unterscheidung dasselbe sind. In Wirklichkeit geht es hier um das Simultan-Entstehen von Form und Unterscheidung. Wie oben ausgeführt, ist die Form eine Regel der Verwendung von Zeichen, welche dabei als Anzeige verwendet werden. Damit angezeigt werden kann, muss davor unterschieden werden, sodass auf etwas gezeigt werden kann. „Therefore“, wird die Form einer Unterscheidung als Form genommen. Einfacher gesagt, heißt das, dass die Form als Regel der Verwendung von Zeichen, stets eine Unterscheidung impliziert, da sonst nicht angezeigt werden kann. Warum Spencer-Brown hier nicht von Unterscheidung, sondern von Form der Unterscheidung spricht, wird gleich darunter klar gemacht.
Wir sagen es nochmal. Die Form ist eine Regel der Verwendung von Zeichen. Spricht man von der Form einer Unterscheidung¸ so meint man, dass es das Bezeichnende „Unterscheidung“ gibt und dass die Verwendung dieser Bezeichnung auf ein Bezeichnetes zeigt. Genau die Frage, was als eine Unterscheidung bezeichnet wird, wird gleich darunter geklärt als „Definition“ einer Unterscheidung. Die Form einer Unterscheidung ist daher die Definition einer Unterscheidung. Und genau diese Definition wird als Definition (Form) schlechthin genommen, da jede Defini-tion eine Unterscheidung und daher eine Definition einer Unterscheidung erfordert. Die Unter-scheidung ist aber nicht die Definition einer Unterscheidung und auch nicht die Definition schlechthin.
Wie oben ausgeführt ist es dabei vollkommen egal, was von was unterschieden wird. Sobald etwas unterschieden wird, erscheint die Form als Regel der Bezeichnung. Die Unterscheidung von Unterscheidung und Anzeige ist auch eine Unterscheidung. Die wird daher nicht impliziert, wie Luhmann es sagt, denn es reicht vollkommen aus, wenn irgendeine Unterscheidung gezo-gen wurde. In der Hinsicht sind alle Unterscheidungen gleich. Daran ist auch erstmal nichts paradox. Paradoxie entsteht nur dann, sobald man mit der gesamten Auseinandersetzung durch ist und gesehen hat, dass die Unterscheidung zwischen dem Bezeichnetem und dem Bezeich-nendem, sowie die Unterscheidung als solches wieder verfällt, sodass sie wieder durch einen Befehl gesetzt werden muss26. Mit anderen Worten, eine Unterscheidung impliziert das Fehlen einer Unterscheidung.
26 Siehe dazu Kapitel: 1.4.13 Wahrheit und Realität
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2.2.1 Definition
Im Unterkapitel „Definition“ wird nun die Unterscheidung definiert. Eine Definition ist eine Form, denn diese setzt, dass ein X, als Y definiert wird, sodass die Bezeichnung Y auf das X zeigt. Die Definition impliziert daher die Unterscheidung zwischen X und Nicht-X. Die Defi-nition der Unterscheidung impliziert daher die Unterscheidung der Unterscheidung von der Nicht-Unterscheidung (Identität). Die Definition der Unterscheidung ist daher die Form der Unterscheidung. Wir sagen es hier nochmal. Form und Unterscheidung sind keine Synonyme, wie Luhmann (Luhmann, 1993a, S. 197) das liest27. Die Form entsteht, sobald eine Unterschei-dung getroffen wurde.
Wir zeichnen das für ein besseres Verständnis ein:
Die Unterscheidung wird dann wie folgt definiert. „Distinction is perfect continence“ (Spencer-Brown, 2008, S. 1). Die Unterscheidung ist perfekte Beinhaltung. Matthias Varga von Kibéd und Rudolf Matzka (1993, S. 60) verstehen es unserer Ansicht nach richtig „perfect“ nochmal als vollkommen und/oder als vollzogen zu übersetzen. Damit wird die Unterscheidung als ein konstruktiver Akt hervorgehoben. Sie übersetzen „continence“ dabei als „Zusammenhang“, was wir aber irreführend finden, da damit die Asymmetrie28 der beiden Seiten der Unterschei-dung nicht ersichtlich wird (Varga von Kibed, 1989, S. 402–403). In der Fußnote zu dieser Definition spezifiziert Spencer-Brown nochmal, dass er auch wirklich Beinhaltung meint (Spencer-Brown, 2008, S. 1)29.
27 Dieses Missverstehen finden wir auch in der Rezeption nach Luhmann wieder. Z.B. in Fritz B. Simons (2018, S. 21) Formen
28 Bei Spencer-Brown sind Unterscheidungen von vorneherein asymmetrisch. Bei Luhmann (1992, S. 84, 2004a, S. 75) dagegen sind Unterscheidungen Zwei-Seiten-Formen, die an sich symmetrisch sind und erst durch das Sys-tem asymmetriert werden.
29 Auch der medizinische Terminus Kontinenz scheint uns passend. In dem Sinne bleibt das drin, was auch drin bleiben soll.
X
X
Nicht
Nicht–XX
Y
Y
Abbildung 9: Form als Definition. X wird als Y definiert Quelle: Eigene Darstellung
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Luhmann las das „perfect continence“, als, dass die Unterscheidung sich selbst beinhaltet: „Soll “perfect continence” heißen, daß die Unterscheidung auch sich selbst enthält? Wie anders könnte sich perfekt sein? Wie anders könnte sie die Welt in zwei Seiten zerlegen, was doch nur in der Welt geschehen kann” (Luhmann, 1993a, S. 198). Das steht nicht nur nicht im Text, sondern ist auch inhaltlich falsch. Das Missverstehen beruht wieder auf der Tatsache, dass nicht verstanden wurde, dass Unterscheidung und Form nicht dasselbe sind. Falsch ist erstens, dass das Treffen der Unterscheidung nicht die Welt, sondern das Fehlen der Welt impliziert30. Zwei-tens wird die Unterscheidung von der Identität nicht durch die Unterscheidung selbst unter-schieden, sondern durch die Definition, also die Form der Unterscheidung. Luhmann verwirrt zwei Unterscheidungen auf zwei verschiedenen Ebenen. Einmal zwischen X und Nicht-X und zwischen X und Y.
Das „perfect“ wird dann darunter nochmal als „volkommen“ spezifiziert. „That is to say, a distinction is drawn by arranging a boundary with separate sides so that a point on one side cannot reach the other side without crossing the boundary. For example, in a plane space a circle draws a distinction“ (Spencer-Brown, 2008, S. 1). An der Stelle wird die Illustration angespro-chen. Man muss dazu zwischen der Unterscheidung als einem konstruktiven Akt unterscheiden und der Äußerung von diesem konstruktiven Akt. Man tut zuerst so als ob sich etwas von etwas anderem unterscheidet und zeichnet es dann ein. Die Zeichnung ist aber nicht der konstruktive Akt, sondern die Illustration dessen (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Marked State/Unmarked State, 2008, S. 65). Mathias Varga von Kibéd (1993, S. 60–61) sieht richtig, dass hier die Kon-textbezogenheit ersichtlich wird, nur nicht von Unterscheidungen, sondern von dem Befehl die Unterscheidung zu treffen. Dieser Befehl führt zu einer vollkommenen Abgrenzung auf einer flachen Ebene, wobei derselbe Befehl auf einem Torus31 ausgeführt, zu keiner solchen Abgren-zung führt32. Spencer-Brown setzt hier den ersten Canon, die Convention of Intention voraus, welcher im nächsten Kapitel eingeführt wird. Der Kontext dieses Befehls wird limitiert. Der konstruktive Akt des Unterscheidens führt dazu, dass eine Unterscheidung gezeichnet wird oder nicht. Alle anderen Möglichkeiten wie sich der Befehl äußern könnte werden durch diese Kon-vention begrenzt.
Das ist auch die Stelle, auf welche Spencer-Brown im letzten Kapitel der Laws of Form verweist und meint, dass die Unterscheidung auch eine implizite Referenz auf den Beobachter hatten
30 Siehe dazu Kapitel: 1.4.4 De-Ontologisierung
31 Auf dem Torus wird keine Unterscheidung getroffen, da durch die Dreidimensionalität, der Punkt von der einen Seite auf die andere Seite von hinten gelangen kann, sodass die Zeichnung der Definition nicht mehr entspricht.
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(Spencer-Brown, 2008, S. 69). Es ist aber falsch, die Laws of Form als eine Theorie des Be-obachters zu lesen, wie Luhmann (1993a, S. 203–204) das versteht. Der Beobachter ist einer der impliziten Kontexte, in welchen sich die Unterscheidung als konstruktiver Akt äußern kann. Der Befehl eine Unterscheidung zu treffen, führt dazu, dass die Unterscheidung ersichtlich wird oder nicht. Der Beobachter ist nur einer der hinreichenden Gründe dafür, dass die Unterschei-dung als konstruktiver Akt auch tatsächlich unterscheidet. Genauso wie die Kenntnis der Spra-che, das Papier, das Licht, die Augen, das Nervensystem, die Elektronen, die Photonen, schwarze Tinte usw. lediglich hinreichende Gründe dafür sind, dass es ersichtlich wird, dass ein etwas, von etwas anderem unterschieden ist. Dazu zählt auch Kommunikation. Würde man aus Spencer-Brown eine Kommunikationstheorie machen wollen, so würde man alle hinrei-chenden Gründe aufzählen, die in einer bestimmten Situation es ermöglicht haben, dass eine Unterscheidung gezeichnet werden konnte. Darüber wird aber nicht gesprochen. Wovon Spencer-Brown spricht, ist das, was wäre, wenn eine Unterscheidung gezeichnet werden könnte33. Die Unterscheidung wird sozusagen als bereits ersichtlich vorausgesetzt. Damit wird der Beobachter, sowie alle anderen hinreichenden Gründe trivialisiert. Die Laws of Form sind daher keine Phänomenologie und auch keine Kommunikationstheorie.
„Once a distinction is drawn, the spaces, states, or contents on each side of the boundary, being distinct, can be indicated.
There can be no distinction without motive, and there can be no motive unless contents are seen to differ in value.
If a content is of value, a name can be taken to indicate this value.
Thus the calling of the name can be identified with the value of the content.“ (Spencer-Brown, 2008, S. 1).
Könnte es also sein, dass eine Unterscheidung getroffen werden könnte, können Räume, Zu-stände oder Inhalte auf beiden Seiten der Unterscheidung angezeigt werden. Die Aufzählung spaces, states, or contents soll heißen, dass diese Konzepte an der Stelle noch nicht unterschie-den werden. Unterschieden werden sie im nächsten Kapitel. Das Motiv ist der Hinweis auf den zuvor liegenden Befehl die Unterscheidung zu treffen, sodass so getan wird, als ob sich etwas von etwas anderem unterscheidet. Spencer-Brown formuliert dasselbe nochmal in seiner Vor-lesung auf der AUM-Konferenz: „It is only by assuming that some states, or that a state, one State, may be better than another, that the universe comes into being. The universe, as I then
33 Siehe dazu auch Kapitel: 1.4.7 Die Unterscheidung
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discovered, is simply the result of if it could be that some state had a different value from some other state.“ (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Mathematics and Logic). Der Begriff des Wertes (value) wird erst im nächsten Kapitel eingeführt und bedeutet, dass ein Zustand und nicht der andere angezeigt wird (Spencer-Brown, 2008, S. 4). Wenn ein Zustand angezeigt werden kann, so kann ein Name für die Anzeige dieses Zustandes verwendet werden. Die Verwendung des Namens, also das Rufen des Namens, zeigt auf den Inhalt34.
2.2.2 Axiome
Nun werden die beiden Gesetze, auch Axiome genannt vorgestellt.
„The value of a call made again ist he value of the call.“ (Spencer-Brown, 2008, S. 2). Das Rufen, also die Verwendung des Namens zeigt auf die benannte Seite. Ruft man Namen zwei Mal, so zeigt er ebenfalls auf die benannte Seite. Der Wert des Namens, also die angezeigte Seite, bleibt dieselbe auch bei der mehrmaligen Verwendung. Das ist das Law of Calling.
„Equally, if the content is of value, a motive or an intention or instruction to cross the boundary into the content can be taken to indicate this value.
Thus, also, the crossing of the boundary can be identified with the value of the content.“ (Spencer-Brown, 2008, S. 2).
Wenn die Seite der Unterscheidung angezeigt werden kann, so kann auch ein Befehl dazu ver-wendet werden, die Grenze der Unterscheidung in die angezeigte Seite zu überqueren, sodass die Überquerung der Seite, mit der Anzeige der Seite gleichgesetzt werden kann. Die Überque-rung, das crossing, ist ein Vorläufer des Operators Nicht-. Damit wird die Bedingung aufge-stellt, sodass später gesagt werden kann, dass Nicht-Nicht-X = X (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Nots and Crosses).
„The value of a crossing made again is not the value of the crossing.
That is to say, if it is intended to cross a boundary and then it is intended to cross it again, the value indicated by the two intentions taken together is the value indicated by none of them.
That is to say, for any boundary, to recross is not to cross.“ (Spencer-Brown, 2008, S. 2).
Wenn der Befehl gegeben wurde in die angezeigte Seite zu überqueren und dann nochmal zu überqueren, so wird in die Seite überquert, die nicht beim erstem Mal angezeigt wurde. Der Wert der einmaligen Überquerung ist die angezeigte Seite. Der Wert der zweimaligen
34 Vergleiche mit Kapitel: 1.4.6 Die Form
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Überquerung ist nicht die Seite, welche bei der einmaligen Überquerung angezeigt wurde. Ein-facher gesagt: Man überquert hin und zurück, sodass das Hin nicht mit dem Zurück gleichge-setzt werden kann.
2.3 Forms taken out of the form
Hiermit beginnt das zweite Kapitel der Laws of Form. Wie schon gesagt werden in dem Kapitel Regeln für die Verwendung eines Zeichens (Tokens) aufgestellt. Im ersten Kapitel wurde die Unterscheidung definiert. Im Zweiten Kapitel wird die Form definiert. Wir werden das Kapitel in Teilen bearbeiten, die unserer Ansicht nach zusammengehören, um Platz zu sparen.
2.3.1 Raum
Wie weiter oben erwähnt, ist das Buch Laws of Form so geschrieben, dass es ausschließlich aus Befehlen besteht. Die Befehle werden dann unter einem Unterkapitel zusammengefasst, wel-ches die darunter-stehenden Befehle zu einem kontrahiert, sodass das Unterkapitel der Name dieses Befehls bzw. dieser Befehle ist35. Die Regel dafür wird im Kapitel drei ausgeführt und heißt Contraction of reference (Spencer-Brown, 2008, S. 7).
Das erste Unterkapitel heißt Construction. In ihm wird der Befehl geäußert die Unterscheidung zu treffen: „Draw a distinction“ (Spencer-Brown, 2008, S. 3). Das heißt für uns dann: Tu so als ob sich etwas von etwas anderem unterscheidet und illustriere dieses auf einer flachen Ebene36.
Gleich darunter, im Unterkapitel Content, steht dann, dass diese Unterscheidung als die erste Unterscheidung (first distinction) benannt werden soll. Der Raum, der durch die Unterschei-dung geteilt wurde, soll als space cloven by the distinction benannt werden. Die Teile dieses Raumes sollen als spaces, states oder contents benannt werden (Spencer-Brown, 2008, S. 3). Wir machen es Spencer-Brown nach:
35 Vergleiche mit dem Kapitel: 1.4.9 Befehlsketten
36 Das wird im ersten Kapitel in der Definition der Unterscheidung spezifiziert: „For example, in a plane space a circle draws a distinction“ (Spencer-Brown, 2008, S. 1).
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Das ist auch die Stelle an welcher Luhmann merkt, dass das, was er bei Spencer-Brown finden wollte dort so gar nicht drin steht. Dazu schreibt er: „Wie im Formenkalkül von George Spencer Brown soll der Begriff der Form auf eine vorausgesetzte Unterscheidung bezogen werden. Die Unterscheidung selbst ist dann, sofern sie von dem durch sie Unterschiedenen unterschieden wird, die Form.“ (Luhmann, 1993b, S. 49). Dazu kommt dann die Fußnote: „Wir gehen hier über das, was bei Spencer Brown zu finden ist, hinaus. Dort heißt es auf S. 4 nur: ‚Call the space cloven by any distinction, together with the entire content of the space, the form of the distinction.‘“37 (Luhmann, 1993b, S. 49). Wir werden das nochmal sehen, wenn wir uns später genauer mit Luhmann beschäftigen. Wir können aber schon vorwegnehmen, dass es für Luh-mann prinzipiell war, dass bei Spencer-Brown Unterscheidungen von vorneherein schon selbs-treferent sind und dass sich eine Unterscheidung auf sich selbst bezieht. Das ist aber nicht der Fall. Wir sehen im oben-gezeichnetem Bild nichts, was auf sich selbst referiert. Wir sehen noch überhaupt nichts, was referiert. Die Unterscheidung wurde im ersten Kapitel durch die Defini-tion, durch die Form der Unterscheidung, von der Identität unterschieden38.
Was bisher nur eingeführt wurde ist die Kategorie des Raumes. Es werden drei Räume getrennt. Der Raum auf der einen Seite der Unterscheidung, der Raum auf der anderen Seite der Unter-scheidung und der Raum in welchem die Unterscheidung gezeichnet wurde. Diese Räume
37 Wir verwenden eine andere Ausgabe. Daher sind die Seitenzahlen anders. Luhmann verwendet: Spencer Brown, G. (1979). Laws of Form. The Julian Press, Inc.
38 Das Unterscheidungen nicht voneinander unterschieden werden oder unterschieden werden können, zeigt auch das erste Experiment im Kapitel 12 der Laws of Form (Spencer-Brown, 2008, S. 57–58)
space cloven by the distinction
space cloven by the distinction
s
space/state/contentpace/state/content
s
space/state/contentpace/state/content
Abbildung 10: Construction und Content Quelle: Eigene Darstellung
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werden später als ein Wertebereich verwendet. Wichtig ist nochmal zu verstehen, dass für die Räume keine Größe eingeführt wurde (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Time and Space). Das heißt, dass der Raum, welcher als ein Außen der Unterscheidung erscheint genauso groß ist, wie der Raum im Inneren der Unterscheidung. Der Leser darf sich daher von der Illusion nicht beirren lassen, dass es hier ein Inneres und ein Äußeres gibt. Das Außen ist die Seite, von wel-cher man die Unterscheidung betrachtet, was wieder den Beobachter als einen impliziten Kon-text verwendet (Spencer-Brown, 2008, S. 57; Varga von Kibéd & Matzka, 1993, S. 68–69).
2.3.2 Signifikationsprozess
Nun beginnt Spencer-Brown das Zeichen, die Referenz des Zeichens und den Limit dieser Re-ferenz einzuführen. Im Unterkapitel Intent steht dann:
„Let any mark, token, or sign be taken in any way with or with regard to the distinction as a signal.
Call the use of any signal its intent“ (Spencer-Brown, 2008, S. 3).
Das erste, was hier gemacht wird, ist, dass Zeichen von den Zeichen getrennt werden, welche sich nicht auf die Unterscheidung beziehen, sodass eine Unterscheidung zwischen signifikanten und nicht signifikanten Zeichen gemacht wird. Ein signifikantes Zeichen wird als ein Signal benannt. Das, was hier beginnt und in den nächsten Unterkapitel fortgesetzt wird, wird in der Semiotik als ein Signifikationsprozess bezeichnet. Damit wird der Prozess beschrieben, in wel-chem ein Signal mit Bedeutung gefüllt wird, sodass man von der Welt des Signals in die Welt des Sinnes übergeht (Eco, 2002, S. 65). In der Semiotik wird für Zeichen die Unterscheidung Signifikant und Signifikat verwendet, bzw. Bezeichnendes und Bezeichnetes. Ein Zeichen hat Sinn, wenn seine Verwendung auf das Bezeichnete verweist (Volli, 2002, S. 22–23). Genau damit fängt Spencer-Brown hier an. Er führt Zeichen ein und sagt zuerst, dass sie eine Verwen-dung haben, welche er als Intention benennt.
Das nächste Unterkapitel ist der erste Canon, die Convention of Intention. Wie oben geklärt, sind Canons, Befehle, welche die Verwendung von Befehlen limitieren.
„Let the intent of a signal be limited to the use allowed to it.
Call this the convention of intention. In general, what is not allowed is forbidden“ (Spencer-Brown, 2008, S. 3).
Damit wird festgelegt, dass die Intention, also die Verwendung des Signals, nur auf die Ver-wendung limitiert wird, die erlaubt wird. Diese Konvention äußert sich auf mehrere Weisen.
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Für die hier entstehende Zeichentheorie heißt das erstens, dass die Sinnhaftigkeit eines Zeichens noch weiter limitiert wird. Die Verwendung eines Zeichens hat damit nur die Bedeutung, wel-che erlaubt wurde. Das heißt, nur die Bedeutung, welche Spencer-Brown für das Zeichen ein-führt. Für die Schreibweise des Buchs heißt es dann, dass nur das verwendet werden kann, was davor eingeführt bzw. definiert wurde. Die Verwendung des Zeichens kriegt damit nicht nur eine Bedeutung, sondern eine konkrete Bedeutung, sodass verschiedene Verwendungen eines Zeichens unterschiedliche Bedeutungen haben können.
2.3.3 Semiotik und Semiose
„Knowledge
Let a state distinguished by the distinction be marked with a mark
of distinction.
Let the state be known by the mark.
Call the state the marked state“ (Spencer-Brown, 2008, S. 3).
Nun wird das berühmte eingeführt. Es ist an der Stelle noch kein Zeichen und wir bezeich-nen es an der Stelle auch nicht als solches. An der Stelle ist es nur eine Markierung, mit welcher eine der Seiten der Unterscheidung markiert wird. Diese Markierung wird als mark of distinc-tion benannt. Die zweite Zeile sagt dann, dass diese Seite der Unterscheidung, durch diese Mar-kierung bekannt sein soll. Das heißt, dass vor der Markierung die Seiten ununterscheidbar wa-ren. Mit der Markierung und durch die Markierung wird die markierte Seite hervorgebracht, sodass man durch die Markierung von dieser Seite weiß. Die markierte Seite wird entsprechend benannt.
Im nächsten Unterkapitel Form, wird dann gesagt, dass der durch die Unterscheidung gespal-tene Raum mit dem gesamten Inhalt dieses Raumes als die Form der Unterscheidung benannt werden soll. Die Form der ersten Unterscheidung, soll als die Form benannt werden. Wir zeich-nen das ein:
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Wir sagen es an der Stelle nochmal. Es ist vollkommen egal welche Seite man markiert. Da keine Größe eingeführt wurde sind die beiden Seiten identisch. Nur durch die Markierung wer-den sie unterschieden. Was den Begriff der Form angeht, merken wir gleich mehrere Sachen. Erstens sehen wir es hier nochmal bestätigt, dass die Form und die Unterscheidung keine Sy-nonyme sind. Zweitens sehen wir, dass die Begriffe Form und Form der Unterscheidung, die im ersten Kapitel getrennt wurden, wieder zusammengebracht werden. Das liegt daran, dass die Markierung eingeführt wurde, sodass die Seiten der Unterscheidung angezeigt werden können. Wir haben weiter oben die Form als eine Regel der Verwendung von Zeichen definiert, welche dabei als Anzeige verwendet werden. Die Form der Unterscheidung haben wir definiert als eine Regel, dass ein etwas sich von etwas anderem unterscheidet. Durch die Einführung der Markierung fallen diese beiden Definitionen zusammen, denn man kann jetzt durch die Ver-wendung der Markierung als einen Namen die markierte Seite anzeigen39. Wir sehen auch, dass Spencer-Brown nun anfängt auch Formen voneinander zu unterscheiden, sodass die Form der ersten Unterscheidung von anderen Formen unterschieden wird.
Genau das wird im nächsten Unterkapitel Name gemacht.
„Let there be a form distinct from the form.
Let the mark of distinction be copied out of the form into such another form.
Call any such copy of the mark a token of the mark.
39 Wir haben dazu im Kapitel: 1.4.7 Die Unterscheidung elaboriert
Abbildung 11: Form of the first distinction Quelle: Eigene Darstellung
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Let any token of the mark be called as a name of the marked state.
Let the name indicate the state“ (Spencer-Brown, 2008, S. 4).
Nun soll es neben der Form der ersten Unterscheidung noch eine weitere Form geben. Die Markierung soll in diese kopiert werden und diese Kopie soll als ein Zeichen (Token) der Mar-kierung benannt werden. Die Verwendung dieses Zeichens als einen Namen, das Calling, soll auf die markierte Seite der Unterscheidung zeigen. Wir zeichnen das ein:
Hiermit wird der im Unterkapitel Intent angefangene Signifikationsprozess des abgeschlos-sen. In der Semiotik wird ein Zeichen als die Beziehung zwischen dem Signifikanten und dem Signifikant bezeichnet, sodass 𝑍𝑒𝑖𝑐ℎ𝑒𝑛=𝑆𝑖𝑔𝑛𝑖𝑓𝑖𝑘𝑎𝑛𝑡𝑆𝑖𝑔𝑛𝑖𝑓𝑖𝑘𝑎𝑡 (Volli, 2002, S. 22–23). Das steht hier für beides, wobei das nicht selbstreferent ist, wie Luhmann an der Stelle behauptet (Luhmann, 2004a, S. 72). Luhmann (1993a, S. 200) verweist dabei auf einen Artikel des Ma-thematikers Louis H. Kauffman in welchem steht: „A mark or sign intended as an indicator is self-referential. The self is the whole space including the mark and the observer. But the mark points, in the first place, to ist own location, and in this process becomes a locus of reference. The mark refers to itself. The whole refers to itself through the mark“ (Kauffman, 1987, S. 53).
Markierung
Markierung
Kopie der Markierung
Kopie der Markierung
Form
Form der ersten Unterscheidungder ersten Unterscheidung
Von der Form
Von der Form unterschiedene Formunterschiedene Form
Anzeige
Anzeige
Abbildung 12: Name Quelle: Eigene Darstellung
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Das stimmt aber nicht, denn wie wir sehen, verweist die Markierung nicht auf sich selbst. Die Markierung verweist überhaupt nicht. Auf die Markierung und somit auf die markierte Seite wird verwiesen durch die Kopie der Markierung. Die Kopie verweist auf das Original. Das als Zeichen wird später als das cross bezeichnet. Wir können daher sagen, dass 𝑐𝑟𝑜𝑠𝑠 (𝑍𝑒𝑖𝑐ℎ𝑒𝑛)=𝐾𝑜𝑝𝑖𝑒 𝑑𝑒𝑟 𝑀𝑎𝑟𝑘𝑖𝑒𝑟𝑢𝑛𝑔 (𝑆𝑖𝑔𝑛𝑖𝑓𝑖𝑘𝑎𝑛𝑡)𝑀𝑎𝑟𝑘𝑖𝑒𝑟𝑢𝑛𝑔 (𝑆𝑖𝑔𝑛𝑖𝑓𝑖𝑘𝑎𝑡). Das cross referiert ebenfalls nicht auf sich selbst. Da müssen wir aber etwas weiterlesen. Das was Kaufmann behauptet ist zwar im Prinzip richtig, der Begriff Selbstreferenz ist hier aber irreführend, sodass auch Luhmann sich an der Stelle verwirren ließ. Genauso spricht Kauffman hier eigentlich nicht von der Markie-rung, sondern von dem cross in einem Arrangement anderer crosses. Wir klären weiter unten, wie es richtig heißen müsste.
Dennoch war es für Luhmann prinzipiell, das Zeichen auf sich selbst referieren. Wir lesen bei Luhmann: „Zur Bezeichnung der Zwei-Seiten-Form des Zeichens brauchen wir also drei Be-griffe: Bezeichnendes, Bezeichnetes und Zeichen. Man kann zwar den Grundgedanken des Konzepts formulieren, indem man definiert: Ein Zeichen ist die Differenz von Zeichen und Bezeichnetem (so wie: ein System ist die Differenz von System und Umwelt; eine Unterschei-dung ist die Unterscheidung und Bezeichnung). Darin läge ein wichtiger Hinweis auf die fun-damentale Paradoxie eines ‚re-entry‘ (Spencer Brown) einer Unterscheidung in sich selbst“ (Luhmann, 1993b, S. 49).
Wir hoffen an der Stelle, dass der Leser mitkommen konnte und sehen kann, dass was Luhmann behauptet, bei Spencer-Brown gar nicht steht. Erstens ist die Form nicht die Unterscheidung. Zweitens ist bei Spencer-Brown, wie dargestellt, das Zeichen die Differenz von Bezeichnetem und Bezeichnendem. Er führt gar keine selbstreferentielle Zeichen ein. Drittens wird im Re-entry die Unterscheidung nicht in die Unterscheidung eingeführt.
Sein Missverstehen kommt daher, dass er nicht verstanden hat, dass es nicht die Markierung ist, welche auf die Markierung zeigt, sondern die Kopie der Markierung. Die Markierung ist nicht selbstreferent. Genauso hat Luhmann missverstanden, dass die Markierung der Seite der Unterscheidung keine weitere Unterscheidung, sondern wie der Name sagt, eine Markierung ist und nichts weiter. Luhmann meint daher, dass es sich schon hier um das Re-entry handelt, die auch noch paradox sein soll.
Aus diesem Missverständnis entwickelt Luhmann dann eine eigene Zeichentheorie. Daraus meint er die Semiotik erweitert oder sogar wiederlegt zu haben. Er spricht dann, stets mit Ver-weis auf Spencer-Brown, von referenzlosen Zeichen, sodass die Zeichen dann nicht auf die
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Realität zeigen können, sondern auf system-interne Zustände und somit auf sich selbst (Luhmann, 1993b, S. 49–52). Luhmann merkt anschließend, dass der semiotische Begriff des Sinns als Referenz nicht mehr auf seine Theorie anwendbar ist, da seine Zeichen referenzlos sind und meint daher, dass die Sinn-Kategorie durch Phänomenologie erweitert werden muss. „Die Phänomenologie beschreibt Sinn als einen Überschuss an Verweisungen über das hinaus, was jeweils aktuell intendiert ist“ (Luhmann, 1993b, S. 62). Mit Phänomenologie meint Luh-mann hier offenbar Husserl und seine Kategorie des Horizonts. Wenn er von dem Sinn als Ver-weisungsüberschuss spricht, verweist er aber stets auf Spencer-Brown (Luhmann, 1991, S. 100, 1993b, S. 65). Wie schon gesagt steht bei Spencer-Brown nichts davon, worauf Luhmann hier referiert. Wie seine Zeichen, referiert Luhmann an der Stelle nur auf sich selbst.
Entgegen dem, was Luhmann behauptet, verstößt Spencer-Brown keineswegs gegen die Grund-lagen der Semiotik. Das Geschriebene lässt sich mit dem Begriff der Semiose nach Peirce ver-gleichen auf welchen Spencer-Brown (2008, S. 73, 89) in seinem Buch an mehreren Stellen referiert. Das Repräsentamen bzw. der Signifikant ist hier die Kopie der Markierung. Der Ge-genstand bzw. das Signifikat ist die durch die Markierung bekannte40 Seite. Als Interpretant, gilt hier die Convention of Intention, welche die Verwendung der Kopie als einen Namen41 unmissverständlich42 setzt (Schönrich, 1999, S. 9–13; Volli, 2002, S. 28–29). Genauso scheut sich Spencer-Brown nicht davor die Form als eine Sprachgemeinschaft (communion) zu be-schreiben. „Now, it is my thesis that communication is superficial to communion, and without communion, there is no communication, really, at all. That is to say, if there were no commu-nion, which I will now define as a fitting on another level between the communicants–if there is no communions as indeed there sometimes is not, then what is communicated, when it reaches the other end, it not understood“ (Spencer-Brown, 1973b, Abschn. Communication and Communion).
2.3.4 Unmarked state
Nun werden Formen eingeführt, in welchen mehrere Tokens stehen sollen. Eine solche Form bezeichnet Spencer-Brown (2008, S. 4) als ein Arrangement. Ein Arrangement von Tokens, welcher als eine Anzeige verwendet werden soll, soll als ein Ausdruck (Expression) benannt werden. Wichtig ist nochmal, dass diese Formen nicht die Form der ersten Unterscheidung sind. An der Form der ersten Unterscheidung ändert sich nichts mehr. Wir haben sie einmal
40 Knowledge: „Let the state be known by the mark“ (Spencer-Brown, 2008, S. 3).
41 Name: „Let the name indicate the state“ (Spencer-Brown, 2008, S. 4).
42 Convention of intention: „Let the intent of a signal be limited to the use allowed to it“ (Spencer-Brown, 2008, S. 3).
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gezeichnet und rühren sie nicht mehr an. Alle anderen Formen werden als besondere Fälle die-ser Formen betrachtet, sodass sie als Intentionen verwendet werden, um auf die eine oder die andere Seite der Form der ersten Unterscheidung zu zeigen. Die Seite auf welche eine solche Form, als ein Ausdruck (Expression) zeigt definiert Spencer-Brown (2008, S. 4) als Wert (Va-lue) dieses Ausdrucks.
Wenn Luhmann den Begriff Verweisungsüberschuss verwendet, so verweist er auf den Begriff des Wertes von Spencer-Brown. Wenn man es buchstäblich liest, dann hat er natürlich Recht, dass bei der Anzeige, die eine oder die andere Seite angezeigt wird, sodass weniger angezeigt wurde als möglich war. Daraus zieht Luhmann aber ganz andere Schlüsse. Was Luhmann dar-aus ableitet, stets mit Verweis auf Spencer-Brown, ist, dass der Verweisungsüberschuss zwi-schen dem Zeichen und dem Bezeichnetem besteht, was er dann wiederum auf die Differenz zwischen dem System und der Umwelt bezieht (Luhmann, 1993b, S. 62–64). Das ergäbe aber nur Sinn, wenn das Zeichen auf sich selbst verweisen könnte, was bei Spencer-Brown nicht der Fall ist. Daraus leitet Luhmann dann wiederum ab, dass durch diese Selbstverweisung ein Zu-stand erzeugt wird, bei welchem das Ausgeschlossene des Zeichens bzw. des Systems als un-beobachtbar erscheint, was er dann als blinder Fleck bezeichnet und mit dem Begriff des un-marked state bei Spencer-Brown gleichsetzt43 (Luhmann, 1992, S. 60, 85, 1993b, S. 60–62, 1993a, S. 199–201). Diese durch Selbstreferenz erzeugte Unbeobachtbarkeit bezeichnet Luh-mann (1993a, S. 201) als Paradoxie.
Um den Begriff des unmarked state zu klären, müssen wir an der Stelle etwas weiterlesen. Nun wurden Ausdrücke und ihr Wert definiert. Im nächsten Unterkapitel Equivalence wird definiert, dass Ausdrücke als äquivalent bezeichnet werden sollen, wenn sie den gleichen Wert haben, was heißt, dass sie auf dieselbe Seite der Form der ersten Unterscheidung zeigen. Das Gleich-heitszeichen soll zwischen äquivalenten Ausdrücken geschrieben werden (Spencer-Brown, 2008, S. 4). Aus dem ersten Gesetz der Form, dem Law of Crossing, wissen wir, dass der Wert der einmaligen Verwendung eines Namens den gleichen Wert hat, wie die zweimalige Verwen-dung eines Namens. Die Ausdrücke sind daher äquivalent (Spencer-Brown, 2008, S. 4). Daher:
Im Unterkapitel Instruction wird nun wird der unmarked state eingeführt, sowie die Möglich-keit auf diesen zu zeigen. „Call the state not marked with the mark the unmarked state“
43 Auch bei Heinz von Foerster (2003e, S. 212–213).
56
(Spencer-Brown, 2008, S. 4). Der unmarkierte Zustand ist die Seite der Unterscheidung, welche nicht markiert wurde. Mehr ist nicht dabei. Daran ist auch nichts unbeobachtbar. Im Gegenteil wird die Beobachtbarkeit des unmarkierten Zustandes vorausgesetzt, damit darauf gezeigt wer-den kann.
An der Stelle werden dann zwei mögliche Relationen zwischen crosses eingeführt. Es wird gesagt, dass jedes Token in der Form als eine Unterscheidung fungieren soll, was heißt, dass es einen Inhalt haben kann44. Einfacher gesagt: Innerhalb eines Tokens kann etwas stehen. Weiter oben wurden Tokens nebeneinander geschrieben. Jetzt können sie auch ineinander geschrieben werden (Spencer-Brown, 2008, S. 4–5).
Mehr wird damit auch nicht gesagt. Das ist wichtig, denn die Autoren der Einführung in die „Laws of Form“ meinen, dass darin die Unterscheidung in die Unterscheidung wiedereinge-führt wird und sie das mit dem Re-entry gleichsetzten, was nicht richtig ist. Es ist zwar richtig, dass jeder Hinweis (Indicator), somit auch eine Unterscheidung ist (Schönwelder-Kuntze et al., 2009, S. 205). Man darf die Unterscheidung aber nicht mit der Form der Unterscheidung ver-wechseln. Das cross als Unterscheidung hat keine Markierung, was heißt, dass er kein Wer-tebereich ist, sodass auf ihn nicht verwiesen wird. Genauso wird das cross, obwohl es eine Unterscheidung ist, nicht als Unterscheidung verwendet, was gleich darunter steht und nochmal im Kapitel 5 bestätigt wird (Spencer-Brown, 2008, S. 5, 21). Daraus wurden dann ganz falsche Schlüsse gezogen, was wir später in der Rezeption von Dirk Baecker sehen werden.
„Let any token be intended as an instruction to cross the boundary of the first distinction“ (Spencer-Brown, 2008, S. 5). Die Verwendung des Tokens wird definiert als ein Befehl die Grenze der ersten Unterscheidung zu überqueren. Überquert soll dabei von der Seite, auf wel-che im inneren des Tokens hingewiesen wurde (Spencer-Brown, 2008, S. 5). Wir zeichnen das am besten ein, damit der Leser mitkommen kann.
44 Vergleiche mit Definition einer Unterscheidung: „Distinction is perfect continence“ (Spencer-Brown, 2008, S. 1).
57
Der Token im inneren gibt den Befehl die Grenze der ersten Unterscheidung zu überqueren, von der unmarkierten Seite. Das liegt daran, dass definiert wurde, dass von der Seite überquert werden muss, die im inneren des Tokens angezeigt wird. Im Inneren des inneren Tokens steht nichts, was die unmarkierte Seite anzeigt. Der Token außen gibt den Befehl von der markierten Seite zu überqueren, weil in dieser der Token die markierte Seite anzeigt. Einfacher gesagt: Der Token zeigt immer das andere von dem an, was innerhalb des Tokens steht. Wird im inneren die markierte Seite angezeigt, so zeigt der Token selbst auf die unmarkierte Seite. Ein leerer Raum zeigt per Definition immer die unmarkierte Seite an (Spencer-Brown, 2008, S. 5). Ein Token mit einem anderen Token drin, hat daher denselben Wert, wie eine leere Form, sodass:
2.3.5 Von Namen zu Befehlen
Wir fassen hier den Rest des Kapitels hier zusammen und benennen die Schlüsse, die daraus gezogen werden müssen. Wir wollen davor aber noch zu dem Zitat von Louis Kauffman zu-rückkehren von welchem wir meinten, dass es irreführend war, sodass sich auch Luhmann
Form der ersten Unterscheidung
Form der ersten Unterscheidung
Von der Form
Von der Form unterschiedene Formunterschiedene Form
Anzeige
Anzeige
1
1
2
2
1
1
2
2
Abbildung 13: Instruction Quelle: Eigene Darstellung
58
davon verwirren lassen hat. Was Spencer-Brown dadurch eingeführt hat, dass er es den Tokens bzw. crosses erlaubt hat einander zu beinhalten, ist die Kategorie der Relation (Spencer-Brown, 2008, S. 6). In einem Arrangement stehen crosses entweder ineinander oder nebeneinander. Das cross hat somit zwei Arten von Referenz. Die eine Referenz ist der Wert, was heißt, dass das cross eine der Seiten der ersten Unterscheidung anzeigt. Die andere Referenz ist auf den Wert der Innenseite des crosses.
Diese Referenz ist wieder eine Referenz auf den implizierten Beobachter, welcher durch die gemachten Konventionen eindeutig einschätzt, welchen Wert dieses cross hat, abhängig von dem was innerhalb dieses crosses steht. Es handelt sich aber um keine Selbstreferenz. Das cross ist nicht selbstreferent, genauso wie die Markierung nicht selbstreferent ist. Wir können das cross etwas vereinfacht lesen als „Zeige auf das andere von …“, wobei das „…“ das ist, worauf davor gezeigt wurde. Wie auch hier zu sehen, ist nichts daran selbstreferent. Wir sehen aber, dass diese Befehlsstruktur eine Periodizität voraussetzt. Erst soll Dieses gemacht werden, dann soll Jenes gemacht werden.
Mit der Einführung des crosses spezifiziert Spencer-Brown die Verwendung des Tokens. Die Spezifizierung besteht darin, dass gesagt wird, dass wenn ein Zustand durch die Verwendung eines Namens angezeigt werden kann, so kann er dann auch durch einen Befehl angezeigt wer-den die Grenze zu überqueren. Ein solcher Token soll daher als cross bezeichnet werden (Spencer-Brown, 2008, S. 5). An der Stelle wird die Grundlage für das entstehende Indikati-onskalkül gelegt, sodass Rechenschritte möglich werden. Eine Verwendung eines Zeichens, als einen Befehl auf eine der Seiten der Form der ersten Unterscheidung zu zeigen wird als eine Operation bezeichnet. Entgegen dem was Luhmann (Luhmann, 1992, S. 83–84) behauptet schließen die Operationen nicht aneinander an, sondern auf den Kontext in welchem sich die ihre Verwendung äußert, also in der Anzeige auf die eine oder andere Seite. Die Befehle werden aneinander angekettet, sodass eine Befehlskette entsteht. Die Befehle sind auch keine Beobach-tungen und sind als solche auch nicht rekursiv.
2.4 Das Indikationskalkül
Wir fangen hier mit dem dritten Kapitel der Laws of Form an, wobei wir es nur kurz besprechen wollen. Wie gesagt wollen wir es dem Leser nicht vorrechnen, sondern erklären, wie es funkti-oniert. Wir besprechen vor allem die vier Canons, die wir schon an mehreren Stellen erwähnt haben, und zwar die Contraction of reference, Convention of substitution, Hypothesis of simpli-fication und Expansion of reference. Diese Regeln setzen die Verwendung der Zeichen so, dass Umwandlungen von Ausdrücken (Expressions) ineinander möglich werden.
59
Mit dem zweiten Canon, der Contraction of reference, wird geregelt, dass mehrere Befehle zu einem Befehl zusammengefasst werden können. „In general, let injunctions be contracted to any degree in which they can still be followed“ (Spencer-Brown, 2008, S. 7). Das gilt sowohl für die Befehle in dem Buch als auch für die Befehle auf die Seiten der ersten Unterscheidung zu zeigen.
Mit den dritten Canon wird gesetzt, dass jeder Ausdruck zu einem anderen Ausdruck umge-wandelt werden kann, wenn sie den gleichen Wert haben. „In any expression, let any arrange-ment be changed for an equivalent arrangement“ (Spencer-Brown, 2008, S. 7). Wir haben das Gleichheitszeichen davor als ein Zeichen für Äquivalenz zwei Ausdrücke verwendet, sodass:
Nun wurde geregelt, dass ein Ausdruck in einen anderen umformuliert werden kann, sodass:
Eine solche Umformulierung (change) wird als ein (Rechen-)Schritt bezeichnet.
Davor wurden sogenannte simple expressions eingeführt. Das sind ausdrücke, aus denen ein-deutig zu erkennen ist, auf welche Seite der Form der ersten Unterscheidung sie zeigen (Spencer-Brown, 2008, S. 5). Einfache Ausdrücke sind: „“ und „ “.
Der vierte Canon, Hypothesis of simplification, regelt, dass jeder Ausdruck durch bestimmte Rechenschritte zu einem einfachen Ausdruck umgewandelt werden kann. „Suppose the value of an arrangement to be the value of a simple expression to which, by taking steps, it can be changed“ (Spencer-Brown, 2008, S. 8).
Der fünfte Canon, Expansion of Reference besagt, dass die Veränderung von Ausdrücken durch Rechenschritte auch in die andere Richtung gehen kann, sodass ein einfacher Ausdruck zu ei-nem äquivalenten komplexeren Ausdruck erweitert werden kann. „Thus, in general, let any form of reference be divisible without limit“ (Spencer-Brown, 2008, S. 8–9), sodass:
Als Kalkulation wird die Prozedur der Umformulierung einer Form in die andere durch Re-chenschritte bezeichnet. Wichtig ist nochmal, dass damit nicht die Form der ersten Unterschei-dung gemeint ist, sondern die Formen, welche auf diese zeigen. Als Kalkül wird ein System von Konstruktionen und Konventionen bezeichnet, welche Kalkulation erlauben. Mit Kon-struktionen sind in dem Fall die Arrangements von Zeichen (crosses) gemeint und mit
60
Konventionen sind die Regeln (Canons) der Umwandlung dieser Arrangements gemeint (Spencer-Brown, 2008, S. 9).
Die primären Rechenschritte werden als Initiale oder als Initialgleichungen bezeichnet. Aus diesen setzten sich alle anderen Rechenschritte zusammen. Die Initialgleichungen sind in dem Fall:
I1
I2
Das Kalkül welcher sich durch diese beiden Initialgleichungen auszeichnet, soll als das Indika-tionskalkül bezeichnet werden (Spencer-Brown, 2008, S. 9–10).
Es ist hier nochmal wichtig zu verstehen, dass es sich beim Indikationskalkül, wie der Name sagt, tatsächlich um ein Indikationskalkül und nicht um ein Formenkalkül handelt, wie Luh-mann und Baecker45 diesen bezeichnen (Baecker, 1993a, S. 150; Luhmann, 1993a, S. 197). Die Bezeichnung Indikationskalkül sagt nämlich genau das, was es tut. Es kalkuliert Indikationen auf die eine oder andere Seite der Form der ersten Unterscheidung. Es werden keine Formen kalkuliert. Formen sind das, womit kalkuliert wird.
Wir machen das einmal vor, sodass der Leser es sehen kann. Wir stellen uns einen komplexen Ausdruck vor und fragen uns, auf welche Seite der Form der ersten Unterscheidung die Ver-wendung dieses Ausdrucks anzeigt bzw. welchen Wert der Ausdruck hat. Dazu verändern wir diesen Ausdruck zu einem einfachen Ausdruck, sodass die Anzeige sofort ersichtlich ist.
45 Das ist nochmal seltsam, denn obwohl Dirk Baecker eigentlich genau weiß, dass es Indikationskalkül heißen müsste, verwendet er immer die Bezeichnung Formenkalkül „Darum ist der Kalkül Spencer Browns streng ge-nommen ein Indikationskalkül, kein Formenkalkül“ (Baecker, 1993b, S. 11). Woher die Bezeichnung kommt und mit welchem Zweck sie verwendet wird, lässt sich uns leider nicht erschließen.
61
Wir nehmen den folgenden Ausdruck
und vereinfachen den zu,
I1
I2
sodass ersichtlich ist, dass die Verwendung dieses Ausdrucks auf die markierte Seite zeigt. Wir hätten den Ausdruck auch buchstäblich als ein Arrangement von Befehlen lesen können: „Zeige auf die markierte Seite. Zeige auf die markierte Seite. Zeige auf die andere Seite. Zeige auf die markierte Seite.“. Das Kalkül erlaubt es diesen Ausdruck zu vereinfachen, sodass die darin enthaltenen Befehle zu einem kontrahieren, sodass die Indikation sofort ersichtlich ist.
Die Befehle werden von Innen nach Außen des Ausdrucks abgearbeitet. An dem konkreten Ausdruck ist zum Beispiel zu erkennen, dass das leere cross außen, der letzte Befehl ist und sagt auf die markierte Seite der Unterscheidung zu zeigen. Man kann daher ableiten, dass jeder Ausdruck, in welchem auf der äußeren Seite ein leeres cross steht, immer auf die markierte Seite zeigt46. Solche Rechenmuster werden im Kapitel vier, die primäre Arithmetik als Theo-reme behandelt. Wir werden uns hier nicht damit beschäftigen, wollen aber eine wichtige Sache erwähnen. Die primäre Arithmetik ist selbst eine Anzeige, denn sie zeigt alle Ausdrücke an, welche die markierte Seite anzeigen und alle Ausdrücke an, welche die unmarkierte Seite an-zeigen (Spencer-Brown, 2008, S. 16).
2.5 Primäre Algebra
Im Kapitel fünf wird das Kalkül wesentlich interessanter, denn es werden Variablen eingeführt. Als Variablen werden Ausdrücke verstanden, von denen der Wert nicht bekannt ist. Das cross wird dabei als eine Konstante eingeführt. Die Konstante wird (nochmal) definiert als ein Befehl die Grenze der ersten Unterscheidung zu kreuzen. „Let tokens of constant form indicate
46 Vergleiche mit Theorem 3. Agreement (Spencer-Brown, 2008, S. 12)
62
instructions to cross the boundary of the first distinction according to the conventions already called“ (Spencer-Brown, 2008, S. 21). Das cross wird hier nicht als Unterscheidung verwendet, wie Dirk Baecker (Baecker, 2007, S. 63–67, 2021, S. 2–12) das tut.
a
b
Eine solche Form zum Beispiel bedeutet nicht: „a ist unterschieden von b“. Sie bedeutet: „Im Falle dessen, dass a den Wert so-und-so hat und b den Wert so-und-so hat, dann hat der Ge-samtausdruck den Wert so-und-so“. Der Wert des Ausdrucks ist von den Werten der Variablen bestimmt. In der Logik werden dazu Wahrheitstabellen gemacht. Wir sind nicht in der logischen Interpretation und haben die Werte nicht als wahr oder falsch definiert. Definieren wir m als Anzeige auf den markierten Zustand und n als Anzeige auf den unmarkierten Zustand. Der Ausdruck soll Y heißen. Setzt man die Werte in a und b ein, ergibt sich die folgende Werteta-belle.
a
b
Y
m
m
m
m
n
n
n
m
m
n
n
m
„Formen“ wie Dirk Baecker (2007, S. 60) sie zeichnet, so wie diese hier
Kommunikation
Bezeichnung
Unterscheidung
sind eigentlich gar keine Formen im Sinne von Forms of Reference. Sie haben keinen Wert und somit keine Referenz. Dirk Baecker hat für die Variablen keinen Wert definiert. Was soll das heißen, wenn zum Beispiel die Variable „Bezeichnung“ den Wert m hat, sodass sie auf die markierte Seite der Unterscheidung zeigt? Unklar. „An dieser Form erkennt man den selbstre-ferentiellen Bezug der Kommunikation auf die Kommunikation einer Bezeichnung im Kontext einer Unterscheidung“ (Baecker, 2007, S. 61). Die Variable Unterscheidung soll dabei der Kon-text sein, und die Bezeichnung eine Operation (Baecker, 2007, S. 64–65). Woran das zu erken-nen ist und was das mit Spencer-Brown zu tun hat ist uns weiterhin unklar.
Man hat hier zwei Möglichkeiten. Entweder definiert man Werte oder man tut es nicht. Hat man die Werte definiert, dann können diese Bezeichnungen als Variablen verwendet werden,
63
sodass die Form eine Referenz auf die Form der ersten Unterscheidung hat. Man braucht dann aber auch einen theoretischen Hintergrund, aus welchem auszulesen wäre, was es dann bedeu-tet.
Hat man die Werte nicht definiert, dann ist die Zeichnung in dem konkreten Sinne des Wortes sinnlos. Der Sinnbereich wurde im zweiten Kapitel durch den ersten Canon, die Convention of Intention definiert. Nach diesem hat nur das mit der Form zu tun, wovon zugelassen wurde, dass die Verwendung dessen als eine Anzeige auf die Seiten der Unterscheidung gilt47. Und was nicht zugelassen wurde, ist verboten (Spencer-Brown, 2008, S. 3). Da Dirk Baecker keine Werte für seine Zeichnungen definiert hat, haben sie daher nichts mit der Form und somit nichts mit Spencer-Brown zu tun und stellen nichts dar, was sich nicht mit einer normalen Tabelle zeichnen ließe.
Das fundamentale Problem ist hier, dass Baecker, so wie auch Luhmann zwischen der Form der ersten Unterscheidung und den von der Form unterschiedenen Formen, auch Forms of Re-ference genannt, gar nicht unterscheiden48. Bei Luhmann merkten wir das an Verschiedenen stellen. Er unterscheidet nicht zwischen Form und Unterscheidung, was als Konsequenz hatte, dass er nicht verstand, dass es nicht die Unterscheidung ist, welche auf sich selbst zeigt, wie Luhmann (2004a, S. 72) behauptet.
Genauso ist die Unterscheidung nicht in sich selbst vorhanden. Wenn man Luhmann etwas genauer liest, dann merkt man, dass er die Markierung der einen Seite der Unterscheidung, also das , ebenfalls als eine Unterscheidung verstand, wozu er schreibt: „Im Prinzip enthält die Unterscheidung zwei Komponenten, nämlich die Unterscheidung selbst, den vertikalen Strich, und die Bezeichnung, den horizontalen Strich. Das Merkwürdige ist, dass die Unterscheidung eine Unterscheidung und eine Bezeichnung enthält, also Unterscheidung und Bezeichnung un-terscheidet. Die Unterscheidung setzt, wenn sie als Einheit in Operation gesetzt werden soll, immer schon eine Unterscheidung in der Unterscheidung voraus. Wie man das interpretieren soll, ist, soweit ich Diskussionen über Spencer Brown kenne, nicht ganz klar. Ich selbst verstehe den Kalkül so, aber da bin ich nicht sicher, dass die Unterscheidung sozusagen aus der Unter-scheidung herausgezogen wird und dass am Ende explizit wird, dass die Unterscheidung in der Unterscheidung immer schon vorhanden war. Es wird eine Einheit in Operation gesetzt, die im Moment des Beginns noch nicht analysiert werden kann. Erst später, wenn man Beobachtungs-möglichkeiten in den Kalkül einführt, also selbstreferenzielle Figuren gebrauchen kann, wird
47 Vgl. Intent in Laws of Form (Spencer-Brown, 2008, S. 3)
48 Siehe Abbildung 12: Name
64
klar, dass schon am Anfang ein verborgenes Paradox vorhanden war, nämlich die Unterschei-dung in der Unterscheidung“ (Luhmann, 2004a, S. 74).
Das Paradox kommt bei Luhmann aus dem Grund zustande, dass er den unmarked state mit dem blinden Fleck gleichsetzt, sodass die Unterscheidung, indem sie auf sich selbst verweist einen Teil von sich ausblendet. Das gleicht er dann an die Differenz von System und Umwelt an (Luhmann, 1992, S. 60, 85, 1993b, S. 60–62, 1993a, S. 199–201, 2004a, S. 74–75). Würde man Das zeichnen, ergäbe sich ein folgendes Bild:
Das ist natürlich nicht das, was wir bei Spencer-Brown vorgefunden haben. Dennoch steht dies im Zentrum der soziologischen Systemtheorie. Wir meinen und darauf kommen wir später nochmal zurück, dass diese Verwendung des Begriffs der Form eine bestimmte Pragmatik hatte. Die Pragmatik bestand darin, Systemen als Unterscheidungen eine Eigenschaft zuzu-schreiben, von sich selbst heraus „in Gang“ zu kommen, worauf Luhmann dann den Vergleich zur Kategorie des Lebens von Varela und Maturana zieht, in welcher vorausgesetzt wird, dass Lebendes den Willen hat weiterzuleben (Luhmann, 2004a, S. 77–78). Das kennen wir unter dem Begriff der Autopoesis. Was nochmal zeigt, dass Luhmann (2004a, S. 73) den injunktiven Charakter der Unterscheidung nicht verstand, ist, dass er dahinter „interessante theologische Aspekte“ vermutete.
…
…
Abbildung 14: Form nach Luhmann Quelle: Eigene Darstellung
65
2.6 Re-entry
Wir kommen an der Stelle zum Thema der Selbstreferenz. Wir überspringen dazu die Kapitel sechs bis zehn und befinden uns im Kapitel elf der Laws of Form. Wir wollen uns nicht so sehr mit der Rechnerei beschäftigen, wollen aber noch einiges über die primäre Algebra erwähnen. Im Kapitel sechs wurden für die Algebra zwei algebraische Initialgleichungen eingeführt (Spencer-Brown, 2008, S. 23). Diese sind:
J1
p
p
=
J2
p
r
q
r
p
q
r
Aus diesen wurden dann weitere algebraische Rechenmuster, sogenannte Consequences abge-leitet. Sie sind in den Laws of Form und auch im Anhang zu dieser Abschlussarbeit, im Index of Forms zu finden. Wir meinten vorhin über die primäre Arithmetik, dass sie ebenfalls als eine Anzeige fungiert, denn sie unterscheidet und zeigt alle Formen (hier wieder im Sinne von Aus-drücken) an, welche auf die markierte Seite der Form der ersten Unterscheidung zeigen und Formen, welche auf die unmarkierte Seite zeigen. Im Kapitel 11 wird etwas ähnliches über die primäre Algebra ersichtlich. Man sieht das bereits an den beiden Initialgleichungen. Algebrai-sche Rechenmuster können zwei Wirkungen haben. Mit ihnen kann eine Variable aus dem Aus-druck eliminiert werden oder der Ausdruck kann in einen anderen umformuliert werden. Im ersten Fall ist der Wert des Ausdrucks bestimmt. Im zweiten Fall ist er von den Variablen ab-hängig (Spencer-Brown, 2008, S. 30).
Spencer-Brown nimmt dazu eine Form
a
b
und zeigt, dass sie durch die eingeführten algebraischen Muster (Consequences) erweitert wer-den kann, sodass:
a
b
a
b
a
b
66
Tut man das unendlich viele Male, ergibt sich ein unendlich langer Ausdruck.
…
a
b
a
b
Der Ausdruck wird somit ein Teilausdruck in sich selbst wiedereingeführt, was Spencer-Brown dann entsprechend als Re-entry bezeichnet (Spencer-Brown, 2008, S. 45–47). Wir sagen es hier noch einmal, weil wir es nicht oft genug sagen können. Die Unterscheidung wird nicht in die Unterscheidung eingeführt, wie die systemtheoretische Rezeption behauptet (Baecker, 2007, S. 64). Die Unterscheidung wurde einmal gezogen und wird seitdem nicht mehr angerührt. Der Ausdruck wird in sich selbst wiedereingeführt. Als Ausdruck wurde deutlich definiert: „Call any arrangement intended as an indicator an expression“ (Spencer-Brown, 2008, S. 4).
Der unendliche Ausdruck wird dann als ein endlicher Ausdruck geschrieben, sodass:
f
f
a
b
Alternativ kann dieser Ausdruck auch so geschrieben werden. Der Strich unten deutet auf die Stelle hin, in welcher der Gesamtausdruck wiedereingeführt wird (Spencer-Brown, 2008, S. 53).
f
a
b
Daraus lässt sich dann eine Wertetabelle aufstellen.
a
b
f
m
m
n
m
n
m
n
m
n
n
n
?
67
Im Falle dessen, dass sowohl a als auch b auf den unmarkierten Zustand zeigen, ergibt sich:
f
f
Der Wert des Ausdrucks ist in dem Fall unbestimmt. Es lässt sich aber berechnen, dass der Ausdruck f in dieser Konfiguration den Zustand annimmt, welchen es in der Konfiguration davor hatte, sodass der Wert gespeichert wird. Das entspricht dem, was Spencer-Brown weiter unten als memory function bzw. als Gedächtnisfunktion bezeichnet (Spencer-Brown, 2008, S. 47, 50).
Diese ist auf Papier schwer zu visualisieren, was auch Spencer-Brown schwergefallen ist. Das hatte zur Folge, dass viele Leser durch das Kapitel entmutigt wurden und darin etwas viel kom-plizierteres sahen als dort eigentlich steht. Die Funktion entspricht dem sogenannten RS-Flip-flop. Alles was der Leser dazu wissen muss, ist, dass es sich um eine elementare Speichereinheit handelt. Durch den Input a wird der Wert von f auf positiv (m oder 1) gesetzt und durch den Input b wird er auf negativ (n oder 0) zurückgesetzt, sodass dabei ein Bit an Information ge-speichert werden kann. Wenn man mehrere Milliarden solcher Speichereinheiten aneinander geschaltet hat, mit einer Kontrolleinheit dazu, hat man einen handelsüblichen USB-Stick.
Daneben wird die Oscillator function vorgestellt. Bei jedem Ausdruck, bei welchem der Re-entry unter einer geraden Anzahl von Crosses erfolgt, handelt es sich um eine Gedächtnisfunk-tion. Bei einem Re-entry mit einer ungeraden Anzahl von Crosses handelt es sich um eine Os-zillationsfunktion. Wie schon erwähnt wird bei der Oszillationsfunktion zuerst der eine Zustand angezeigt und dann der andere (Spencer-Brown, 2008, S. 48–50).
Gedächtnisfunktion:
f2
f2
Oszillationsfunktion:
f3
f3
Die Unbestimmtheit dieser Ausdrücke, hat eine sehr wichtige Konsequenz. Da diese Ausdrücke nicht mehr vereinfacht49 werden können, kann nicht mehr berechnet werden auf welche Seite der Form der ersten Unterscheidung diese zeigen. Sie beziehen sich damit nicht auf die Form
49 Vergleiche mit Canon 4. Hypothesis of Simplification (Spencer-Brown, 2008, S. 8).
68
der ersten Unterscheidung, fungieren aber dennoch als ein Zeiger. Hier wird der oben gemachte 1.2.2 Exkurs: Imaginäre und komplexe Zahlen wichtig. Das ist nämlich die Stelle, in welcher Spencer-Brown imaginäre Werte und den imaginären Zustand einführt.
Genauso wie in der traditionellen Mathematik, wird hier der Wertebereich erweitert. Der Wer-tebereich der Form der ersten Unterscheidung wurde als Raum eingeführt. „Space is only an appearance. It is what would be if there could be a distinction“ (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Time and Space). Der Raum wird als der Bereich der Reelen Werte bezeichnet, analog zum Zahlenbereich der reelen Zahlen in der traditionellen Mathematik. Als imaginären Zustand führt Spencer-Brown die Zeit ein (Spencer-Brown, 2008, S. 48–50).
Hier wird die eigentliche Selbstreferenz der Form ersichtlich. Die primäre Arithmetik diente als Anzeige aller Ausdrücke, welche auf die markierte Seite oder die unmarkierte Seite der Unter-scheidung zeigen (Spencer-Brown, 2008, S. 16). Wir sehen nun, dass die primäre Algebra eben-falls als eine Anzeige dient. Sie zeigt nämlich alle algebraischen Formen an, der Wert, welcher im reelen Wertebereich liegt und alle algebraischen Formen an, deren Wert im imaginären Wertebereich liegt und somit außerhalb der Form der ersten Unterscheidung. Das heißt, dass wenn die primäre Algebra eine Konsequenz der Form der ersten Unterscheidung ist, kann die Form durch die primäre Algebra auf sich selbst und auch auf außerhalb von sich selbst zeigen. Das heißt, dass durch die Form, die Form sich von etwas unterscheiden lässt, was sie nicht ist (Spencer-Brown, 2008, S. 81–82). Wir zeichnen das für ein besseres Verständnis ein.
69
Wichtig ist dabei, dass der imaginäre Zustand ebenfalls nicht als ein blinder Fleck dient. Alles, was Spencer-Brown einführt ist beobachtbar und noch wichtiger anzeigbar. Das ist nicht nur unsere Beobachtung. Es liegt der Natur dessen, wie Konzepte in den Laws of Form eingeführt werden. Wenn ein Konzept durch den Befehl „Bezeichne X als Y“ definiert wird, so kann auf diesen gezeigt werden, indem Y als Name verwendet wird50. Wäre das nicht möglich, würde dies dem ersten Canon, der Convention of Intention51 widersprechen und wäre demnach verbo-ten.
Es ist hier wichtig die Unterschiede zu der systemtheoretischen Rezeption nochmal zu klären. Es gibt hier keine unendliche Rekursion der Form in der Form, wie Luhmann das lesen wollte. Die Form ersten Unterscheidung hatte zur Konsequenz, dass auf die Zustände im Inneren der Form gezeigt werden konnte und somit auf die Form selbst52. Nun wurde auch die Konsequenz
50 „Thus the calling of the name can be identified with the value of the content“ (Spencer-Brown, 2008, S. 1).
51 „Let the intent of a signal be limited to the use allowed to it. In general, what is not allowed is forbidden.“ (Spencer-Brown, 2008, S. 3).
52 Siehe dazu Kapitel: 2.3.1 Raum. „Call the space cloven by any distinction, together with the entire content of the space, the form of the distinction. Call the form of the first distinction the form“ (Spencer-Brown, 2008, S. 3).
Anzeige
Anzeige
f
f
Form f
Form f
Form der ersten Unterscheidung
Form der ersten Unterscheidung
ZEIT
ZEIT
RAUM
RAUM
Abbildung 15: Der imaginäre Zustand Quelle: Eigene Darstellung
70
entwickelt, dass auch auf das gezeigt werden kann, was außerhalb der Form steht. Die Form wird somit unterschieden von dem, was nicht die Form ist. Es ist aber nicht die Form, welche diese Unterscheidung trifft. Die Form der Unterscheidung wurde einmal gezeichnet und blieb die ganze Zeit da, wo sie war. Es ist die primäre Algebra, welche als Konsequenz der Form der ersten Unterscheidung auf die Form oder nicht auf die Form zeigt. Sie zeigt auch nur einmal und nicht unendlich viele Male und sie hat auch nicht die Pflicht immer auf sich selbst zu zei-gen, wie wir das aus der Formel „System ist die Differenz von System und Umwelt“ kennen. Genauso haben die algebraischen Ausdrücke keine Pflicht selbstreferent zu sein. Einige dieser Ausdrücke können selbstreferent gemacht werden. Mehr ist da nicht dabei.
2.7 Die logische Interpretation des Indikationskalküls
Die philosophischen Implikationen des Re-entry haben wir bereits im Kapitel 1.4.13 Wahrheit und Realität besprochen. Wir brauchen nur noch die logische Interpretation der Laws of Form, um die Ausführung abzuschließen. Wir wiederholen was es nochmal heißt das Kalkül zu inter-pretieren. „In interpreting a calculus, what we do is match the values or states or elements allo-wed in the calculus to a similar set of values or states or elements in what is to become its interpretation. (Spencer-Brown, 2008, S. 90). Als Zustände sind die Seiten der Form der ersten Unterscheidung definiert. Die Zustände gelten als Werte von Zeichen, sobald definiert wurde, dass die Verwendung dieser Zeichen auf einen der Zustände zeigt. Um das Kalkül zu interpre-tieren, muss man daher Zeichen festlegen, für dessen Verwendung man definiert, dass sie auf die Zustände der Form der ersten Unterscheidung zeigen. Die Logik operiert mit der Unter-scheidung wahr und falsch. Jetzt legen wir fest, dass die Verwendung des Zeichens „wahr“ auf die markierte Seite der Form der ersten Unterscheidung zeigen soll. Die Verwendung des Zei-chens „falsch“ soll auf die unmarkierte Seite zeigen, sodass:
71
Abbildung 16: Calculus interpreted for logic Quelle: Eigene Darstellung
72
Der zweite Schritt besteht darin, dass Formen gefunden werden müssen, die dem entsprechen, was man damit sagen will. Im Falle der Logik, möchte man zum Beispiel logische Funktionen darstellen, wie zum Beispiel 𝑎∧𝑏. Das heißt, dass der Ausdruck genau dann wahr ist, wenn a wahr ist und b wahr ist. Man muss dazu eine entsprechende Form finden, die Verwendung, welcher auf die markierte Seite der Unterscheidung zeigt, wenn die Variablen a und b ebenfalls auf die markierte Seite der Unterscheidung zeigen. Daraus ergibt sich, dass 𝑎∧𝑏 sich darstellen lässt als:
a
b
Diese Form hat dieselbe Werteverteilung, wie 𝑎∧𝑏. Genauso können alle anderen logischen Funktionen daraus abgeleitet werden (Spencer-Brown, 2008, S. 90–91).
Die logische Interpretation funktioniert einwandfrei und das Indikationskalkül hat tatsächlich das Potential die Boolesche Algebra zu ersetzten und sogar zu erweitern, da damit auch selbst-referentielle Ausdrücke möglich sind. Der Grund dafür, dass es funktioniert, ist vor allem der, dass was den Wert angeht, das Cross einem NOR-Gatter gleicht. In der Elektrotechnik ist es Allgemeinwissen, dass jede logische Funktion aus einem Arrangement von NOR-Gattern ge-baut werden kann, was wieder auf Peirce zurückgeht und wovon Spencer-Brown (2021, S. 15–16) hier Gebrauch macht.
In Worten
Boolesche Algebra
Indikationskalkül
nicht a
¬𝑎
a
a oder b
𝑎∨𝑏
a
b
a und b
𝑎∧𝑏
a
b
a impliziert b
𝑎→𝑏
a
b
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Das ursprüngliche Ziel des Buchs Laws of Form war die Begründung der Logik durch Mathe-matik. Mit der logischen Interpretation des Indikationskalküls hat Spencer-Brown dieses Ziel tatsächlich erreicht. Er konnte tatsächlich nachweisen, dass sich die Logik aus seiner Mathe-matik als ein besonderer Fall entwickeln lässt. Die philosophischen Konsequenzen, welche Spencer-Brown aus dem Ganzen zieht, haben wir oben bereits besprochen.
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- Systemtheoretische Rezeption der Laws of Form
3.1 Heinz von Foerster
3.1 Whole Earth Catalog
Wir sind an der Stelle mit den Laws of Form durch und können uns mit der Rezeption dieser beschäftigen. Das Buch selbst entstand in den Jahren 1959 bis 1963 und wurde 1969 mit der Hilfe von Bertrand Russell publiziert. Spencer-Brown (2008, S. vii–ix, 113–116) erwähnte seine Bekanntschaft zu Russell mehrmals und auch Russell (2009, S. 640–641) erwähnte Spencer-Brown in seiner Autobiographie in welcher er sein Werk als originell und exzellent beschrieb.
Wirklich bekannt wurde das Buch aber erst 1971 durch eine Rezension von Heinz von Foerster. Nach der Publikation wurde das Buch an das Whole Earth Catalog geschickt. Das war ein ame-rikanisches Produkt- und Magazinkatalog, welcher sehr in der damaligen New Age Kultur ver-ankert war und unter anderem Themen wie Esoterik, Selbstgenügsamkeit, Alternativpädagogik und Ökologie behandelte. Zur Rezension wurde das Buch an Heinz von Foerster geschickt, welcher das Buch ebenfalls großartig fand und meinte es, wegen seiner früheren Beziehungen zum Wiener Kreis, sehr gut verstanden zu haben (Von Foerster, 2013, Abschn. 1:31-3:02).
Aus dieser Rezension wird ersichtlich, dass Heinz von Foerster tatsächlich ein gutes Verständ-nis für den Inhalt des Buchs hatte. Wir lesen zum Beispiel, dass von Foerster die Bedeutung der injunktiven Sprache in der ganzen Auseinandersetzung nicht herunterspielte, wie das die ge-samte Systemtheorie nach Foerster tat. „Laws are not descriptions, they are commands, injunc-tions; ‚Do!‘ This, the first constructive proposition in this book (page 3) ist he injunction: ‚Draw a distinction!‘ an exhortation to perform the primordial creative act“ (von Foerster, 1971, S. 12). Er verstand die Verwendung des ebenfalls richtig. „The clue to all this is Spencer Brown’s ingenious choice for the notation of an operator which does several things at one time. This mark is a token for drawing a distinction, say by drawing a circle on a sheet of paper which creates a distinction between points inside and outside of this circle; by ist asymmetry (the concave side being ist inside) it provides the possibility of indication; finally, it stands for an instruction to cross the boundary of the first distinction by crossing from the state indicated on the inside of the token tot he state indicated by the token […]“ (von Foerster, 1971, S. 12).
Dennoch ist alles nicht so offensichtlich. Heinz von Foerster hat Spencer-Brown und seine Laws of Form bis auf ein Paar Erwähnungen nie wirklich verwendet. Wir müssen daher der Frage
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nachgehen, was von Foerster mit diesen Erwähnungen sagen wollte. Dazu müssen wir die Frage anreißen, worin sein Werk überhaupt bestand und welche Rolle Spencer-Brown dabei spielte.
3.2 Die biologische Metapher
Das Leitmotiv des Werks von Heinz von Förster ist immer die Verbindung zwischen Biologie bzw. Neurophysiologie und Physik gewesen. Das fängt mit seiner ersten Monographie an, Das Gedächtnis. Eine quantenphysikalische Untersuchung, welche er 1948 veröffentlichte und wel-che ihn als Wissenschaftler überhaupt bekannt machte (Müller, 2000, S. 11–12). In dieser lesen wir: „Die Zeit scheint gekommen, wo die Wege geistigen Forschens heterogenster Gebiete zu ihrem gemeinsamen Ursprung zusammenfinden. Wir haben unterschieden, um heute zu verei-nen. Physikalische Grenzprobleme sind philosophischer Natur; Biologie und Psychologie be-dienen sich physikalischer Methoden, und medizinisches Forschen ist eng mit biologischen Grundfragen vorknüpft“ (Förster, 1948, S. IV).
Der Inhalt des Buches besteht darin, dass das Gedächtnis oder genauer das Vergessen als ein physikalischer Prozess dargestellt wird. Bewusstseinsinhalte werden dabei mit physikalischen Elementarteilchen gleichgesetzt, welche über die Zeit zerfallen. Das verwendet er dann als eine Metapher für das Gedächtnis, sodass beim Vergessen Bewusstseinsinhalte so etwas wie eine Halbwertszeit haben. Das stellt er mit einer Kurve als eine exponentielle Abnahme dar. Die Erinnerung wird dann als ein exponentieller Wachstum dargestellt (Förster, 1948, S. 2–17).
Das Buch ist dabei eher philosophisch als wissenschaftlich. Obwohl das Buch von physikali-schen Formeln, Graphen, Funktionen, Datentabellen und sonstigen Zeichnungen durchdrängt ist, besteht die Argumentation eigentlich nur darin, dass die Teilchenphysik als eine Metapher für einen geistigen Prozess dient. Es wird vorausgesetzt, dass das eine über das andere etwas sagt, und daraus werden genauso philosophische Rückschlüsse abgeleitet. Diesen Schreibstil sehen wir durch das ganze spätere Werk von Heinz von Foerster hindurch.
Dennoch machte das Buch ihn bekannt, sodass er zu einer Kybernetik-Tagung eingeladen wurde und später in den USA eine Einstellung als Professor für Electrical Engineering fand. In der Kybernetik sah er die Möglichkeit die Anwendungsgebiete seiner Ideen auszuweiten (Müller, 2000, S. 12–13). Als Ziel der Kybernetik wurde die Suche nach einer gemeinsamer Struktur zirkulärer Prozesse bestimmt (Segal, 2001, S. 46–47). Im selben philosophischen Stil sollten die Einsichten der Kybernetik auf Einzeldisziplinen übertragen werden.
Biological Computer Laboratory (BCL)
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Obwohl es eigentlich hieß, dass die Kybernetik interdisziplinär war, stand die Biologie stets im Zentrum (Müller, 2000, S. 23). Das hatte vor allem mit dem eigenen Forschungsinteresse von Foerster zu tun und wurde später durch die beiden Biologen Humberto Maturana und Francisco Varela nochmal bekräftigt (Müller, 2000, S. 19). „Die hauptsächliche Parallele zwischen Fors-ter und Maturana scheint in der selbst-thematisierenden Wende zu bestehen, die in den 60er und frühen 1970er Jahren gegen den wissenschaftlichen Mainstream gerichtet war. Dazu zählen vor allem zwei ‚Leitmotive‘, das der ‚Schließung‘ und das des ‚Beobachters‘“ (Müller, 2000, S. 19). Das war der Kern der sogenannten Kybernetik der zweiten Ordnung.
1958 gründet von Foerster das Biological Computer Laboratory, kurz BCL. Das Ziel des Labors bestand darin einen bionischen Computer zu bauen. „Bionik diente als weitgespanntes catch-word, unter dem die Versuche zusammengefaßt wurden, biologische Prozesse zu analysieren, zu formalisieren und auf Rechnern zu implementieren“ (Müller, 2000, S. 16). Man versuchte z.B. Neuronen als Logikgatter zu formalisieren und darauf logische Schaltungen zu basieren (Segal, 2001, S. 97–103). Der bionische Computer sollte dabei eine Alternative zur künstlichen Intelligenz werden. Das Ganze wurde größtenteils vom US-Militär finanziert (Müller, 2000, S. 14–16).
Aus dem Jahre 2022 ist es unschwer zu erkennen, dass das Projekt scheiterte. Selbst die kühns-ten Träume der Forschungsgruppe wie eine sprachgesteuerte Suchmaschine namens SOLON, welche man damit bauen wollte, wurde ohne jegliche Bionik bereits realisiert. Das Einzige, was tatsächlich gebaut wurde, war die Numarete. Es handelte dabei um eine Maschine, welche die Anzahl von Gegenständen zählen konnte, welche auf sie gelegt wurden. Der Aufbau dieser Maschine sollte dabei der Retina entsprechen (Müller, 2000, S. 21–24). Als man die Maschine aber 1965 im amerikanischen Fernsehen zeigen sollte, funktionierte sie nicht, sodass von Fo-erster die Anzahl der Gegenstände in die Maschine manuell eingeben musste, sodass es für die Zuschauer so aussah, als ob der bionische Computer tatsächlich funktioniert. Die Schlüsse, die von Foerster aus dieser Täuschung zog, waren wieder rein philosophischer Natur. Man argu-mentierte, dass es dabei um einen gezielten Einsatz von Nichtwissen handele, was wiederum die Grenze zwischen Wissenschaft und Magie in Zweifel zieht (Müggenburg, 2016, S. 61–63).
Das Labor funktionierte bis 1974 und musste danach geschlossen werden, weil das Labor dem US-Militär nach mehreren Gutachten keine militärisch verwertbare Ergebnisse vorweisen konnte (Müller, 2000, S. 16–17, 21–22). Am Labor waren dabei viele bekannte Persönlichkei-ten engagiert. Dazu zählen unter anderem der Philosoph Gotthard Günther, der Logiker Lars Löfgren, welchen wir später erwähnen werden, da Luhmann sich auf diesen bezog und die
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beiden Biologen Francisco Varela und Humberto Maturana, welche wir im Anschluss an Heinz von Förster genauer besprechen werden.
3.3 Konstruktivismus
Die Grundideen der Systemtheorie sind in der Zeit des BCL entstanden. Wir wollen diese hier kurz skizzieren. Es ist zu beachten, dass wir auf einige dieser Ideen erst später eingehen werden, wenn wir über Varela und Maturana sprechen werden.
Der Eckstein des Konstruktivismus ist der Beobachter. Die gängige wissenschaftliche Sicht auf die objektive Welt wird kritisiert, da jede Verbindung, die man zu der objektiven Welt ziehen kann, nur eine Beschreibung der Welt ist. „Anything said is said by an observer. In his discourse the observer speaks to another observer, who could be himself; whatever applies to the one applies to the other as well. The observer is a human being, that is, a living system, and whatever applies to living systems applies also to him“ (H. R. Maturana & Varela, 1980, S. 8).
Der Beobachter wird zunächst als eine nicht-triviale Maschine gedacht. Eine triviale Maschine ist eine Maschine mit einem Input und einem Output. Eine nicht-triviale Maschine ist eine Ma-schine mit einem Feedback, sodass der Output, Teil des Inputs ist (Segal, 2001, S. 85–91). Heinz von Foerster (2003d, S. 264–265) bezeichnet diese Feedbacks auch als Eigenwerte oder Eigenverhalten. Dieses Eigenverhalten äußert sich im Beobachter als ein Gedächtnis, sodass der Beobachter aus einer früheren Beobachtung eine neue Beobachtung entwickelt.
Das Eigenverhalten des Beobachters ist Grund für die Gegenständlichkeit der Dinge als sol-ches. Das heißt, dass die Illusion dessen, dass ein Gegenstand bestehen bleibt, daraus entsteht, dass der Beobachter sich an den Gegenstand erinnert. Das heißt wiederrum, dass die Gegen-ständlichkeit als solches ein Zeichen dafür ist, dass der Beobachter ein Eigenverhalten hat. Be-obachtung ist demnach Berechnung (computation) und genauer Berechnung mit Feedback. Die Realität wird daher berechnet oder konstruiert (Segal, 2001, S. 95; von Foerster, 2003e, S. 216).
Eine nicht-triviale Maschine sei dabei unberechenbar und unvorhersehbar. Genauer gesagt, sie erscheint unberechenbar für einen außenstehenden Beobachter. Das heißt, dass die Maschine sich an ihren Eigenwerten orientiert und es daher nicht abzusehen ist, welchen Output diese Maschine hat (Segal, 2001, S. 95). Für den außenstehenden Beobachter soll das heißen, dass Beobachtung stets paradox ist. Paradox heißt dabei nicht widersprüchlich, sondern unbestimmt (Segal, 2001, S. 37–38). Diese Unbestimmtheit entsteht sobald zwei Beobachter miteinander interagieren. Dazu müssen sie stabile Gegenstände nicht nur für sich, sondern füreinander kon-struieren. Das Hilfsmittel dazu ist Sprache, welche diese Unbestimmtheit entparadoxiert,
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sodass die Realität als Spiel zwischen zwei Beobachtern entsteht (Foerster, 2003; Segal, 2001, S. 131–132). Beobachtung und Beschreibung werden daher synonymisiert.
Das Ganze funktioniert nur unter der Voraussetzung, dass der Beobachter ein lebendes System ist, sodass der Beobachter von sich selbst heraus willig ist, an die Berechnungen weitere Be-rechnungen anzuschließen (von Foerster, 2003e, S. 211–217). Der Beobachter muss daher sich selbst berechnen. Das heißt, dass er selbst seine eigene Beobachtungen organisieren muss. Dazu muss er sich selbst beobachten können, sodass er sich selbst von seiner Umwelt trennt, was wiederrum heißt, dass die Umwelt als Korrelat zur Selbstbeobachtung entsteht (von Foerster, 2003e, S. 211–212).
Bei von Foerster ist Beobachtung bzw. Berechnung dabei kein Unterscheiden, sondern eine Manipulation von Zeichen und der Repräsentationen von dem, was diese Zeichen Repräsentie-ren. Die einzige Unterscheidung, die der Beobachter zieht, ist die Unterscheidung zwischen Beobachter und Umwelt (von Foerster, 2003e, S. 211–217). Auch bei Varela und Maturana ist es so, dass der Akt des Unterscheidens sich nur auf die Trennung zwischen Beobachter und Umwelt bezieht. Dass Beobachtung stets Unterscheidung und Bezeichnung ist, ist Luhmanns Erfindung. Das ist auch die Stelle, an der auf Spencer-Brown referiert wird. „A universe comes into being when a space is severed into two, A unity is defined. The description, invention and manipulation of unities is at the base of all scientific inquiry“ (H. R. Maturana & Varela, 1980, S. 73).
Das Ganze ist natürlich eine Anspielung auf diesen Absatz aus der Einleitung zu Laws of Form: „The theme of this book is that a universe comes into being when a space is severed or taken apart. The skin of a living organism cuts off an outside from an inside. So does the circum-ference of a circle in a plane. By tracing the way we represent such a severance, we can begin to reconstruct, with an accuracy and coverage that appear almost uncanny, the basic forms un-derlying linguistic, mathematical, physical, and biological science, and can begin to see how the familiar laws of our own experience follow inexorably from the original act of severance“ (Spencer-Brown, 2008, S. xxii). Durch unsere Vorarbeit wissen wir, dass damit etwas ganz anderes gemeint ist. Wir wiederholen es an der Stelle noch einmal. Dadurch, dass eine Unter-scheidung getroffen wird, wird damit zusammen die Unterscheidung zwischen dem Bezeich-nendem und dem Bezeichnetem gezogen, sodass das Bezeichnete selbst keine Bezeichnung ist. Daraus wird dann der Schluss gezogen, dass weil das Bezeichnete keine Bezeichnung ist, es so aussieht, als ob es objektiv ist und dass die Bezeichnung das Bezeichnete repräsentiert. Keines-falls ist damit die Unterscheidung zwischen System und Umwelt gemeint. In seinen
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Vorlesungen auf der AUM-Konferenz äußerte er den gleichen Gedanken etwas besser: „It is only by assuming that some states, or that a state, one state, may be better than another, that the universe comes into being. The universe, as I then discovered, is simply the result of if it could be that some state had a different value from some other state“ (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Mathematics and Logic).
Wir behaupten nicht, dass diese ungünstige Formulierung von Spencer-Brown der Grund für die Theorie des Konstruktivismus war. Vielmehr diente Spencer-Brown als ein Beleg dafür, wovon man sowieso behauptete, dass man damit Recht hatte. Der Konstruktivismus, die Theo-rie des Beobachters, die Theorie der Autopoesis und die Systemtheorie im Allgemeinen sind rein zeitlich früher entstanden als Spencer-Brown viel damit zu tun haben konnte. Das Buch Laws of Form wurde 1971 rezeptiert und 1974 wurde das Biological Computer Laboratory geschlossen in welchem diese Forschungsergebnisse präsentiert wurden. Die Theorie der Au-topoesis entstand nochmal ganz unabhängig davon in den Jahren 1960-1968 (H. Maturana, 1993, S. 121–123). Genauso hat der erst im Jahr 2016 gestorbene Spencer-Brown nie etwas aus der Systemtheorie kommentiert, bis auf den Extended Calculus of Self-Reference von Varela auf den wir gleich eingehen werden. Und dass, obwohl die Systemtheorie die einzige Disziplin ist, in welcher Spencer-Brown überhaupt nur irgendeine Bekanntheit erlangte.
Der Paradigmawechsel der Systemtheorie, wie Luhmann (1991, S. 15–29) es später nennen wird, bestand nun darin, dass man sagte, dass es unwichtig sei, was beobachtet wird und man daher untersuchen müsste wie beobachtet wird. Dazu Maturana: „The basic claim of science is objectivity: it attempts, through the application of a well defined methodology, to make state-ments about the universe. At the very root of this claim, however, lies ist weakness: the a priori assumption that objective knowledge constitutes a discription of that which is known. Such assumption begs the questions, ‘What is it to know?‘ and ‘How do we know?‘“ (H. R. Maturana & Varela, 1980, S. 5). Die erste Frage wird dann wie folgt beantwortet: „The question, ‘What is the object of knowledge? becomes meaningless. There is no object of knowledge. To know is to be able to operate adequately in an individual or cooperative situation, We cannot speak about the substratum in which our cognitive behavior is given, and about that of which we cannot speak, we must remain silent, as indicated by Wittgenstein“ (H. R. Maturana & Varela, 1980, S. 53). Dazu nochmal Luhmann: „Die Was-Fragen verwandeln sich in Wie-Fragen. Das schließt definitive Darstellungen aus und läßt nur die Möglichkeit zu, daß sich im rekursiven Prozeß des Beobachtens von Beobachtungen stabile Eigenzustände (etwa sprachliche Formen) ergeben, auf die man jederzeit zurückgreifen kann“ (Luhmann, 1992, S. 95).
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3.2 Humberto Maturana und Francisco Varela
3.2.1 Autopoesis
Genauso wie bei Heinz von Foerster ist das Werk von Maturana und Varela sehr schwierig als eine Rezeption von Laws of Form zu bezeichnen. Spencer-Brown wird da genauso peripher angesprochen und genauso verfolgte das Werk ganz andere Ziele als den Indikationskalkül zu interpretieren.
Das Ausgangsproblem der beiden Biologen bestand darin, dass sie behaupteten, dass der Be-griff des Lebens in der Biologie nicht ausreichend thematisiert wurde. „The ever present ques-tion is: What is common to all living systems that allows us to qualify them as living? If not a vital force, if not an organizing principle of some kind, then what? In other words, notwith-standing their diversity, all living systems share a common organization which we implicitly recognize by calling them ‚living.‘“ (Varela, 1979a, S. 4–5).
Mit dieser Problemstellung wollte man sich von der in der Biologie vorherrschenden Auffas-sung trennen, von der man meinte, dass sie teleologisch bzw. teleonomisch sei. Das soll heißen, dass in der Biologie die Auffassung vertreten wurde, dass Organismen eine Zielgerichtetheit haben, sodass zum Beispiel ein junger Organismus darauf bestrebt ist erwachsen zu werden (H. R. Maturana & Varela, 1980, S. 85–87; Varela, 1979a, S. 67–68). Man sagte stattdessen, dass die Organismen von sich aus so gebaut sind, sodass sie den Trieb haben weiterzuleben, was sich in ihrer Organisation äußert. Man hat somit die Teleonomie durch den Trieb zur Ontoge-nese, also durch den Trieb zur Selbsterschaffung bzw. Selbstindividualisierung ersetzt. Mit Or-ganisation ist dabei präzise die molekulare Organisation der Organismen gemeint. „We living systems are molecular systems that exist in the molecular domain spontaneously without exter-nal processes driving them. As I say this I also claim that autopoiesis occurs only in the molecular domain“ (H. Maturana, 2002, S. 8).
Der Begriff und Konzept der Autopoesis ist in den Jahren 1960-1968 entstanden und war eine alleinige Entwicklung von Humberto Maturana (H. Maturana, 1993, S. 121–123, 2002, S. 5). Die molekulare Struktur von Organismen wird dabei als eine Maschine gedacht, welche die-selbe Struktur reproduziert. Diese Art der Organisation von Elementen wird dann Autopoesis genannt.
Daraus wird dann entwickelt, dass eine autopoetische Maschine die chemischen Elemente, aus denen Sie besteht, reproduzieren muss. Die Maschine muss dazu die Elemente aus der Umwelt in sich aufnehmen und relationieren. Dazu muss die Maschine ihre Interaktionen zu ihrer
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Umwelt regeln. Das erfordert wiederrum eine Selbstidentität der autopoetischen Maschine (H. R. Maturana & Varela, 1980, S. 9–10).
Diese Selbstidentität kennen wir in Luhmanns Systemtheorie unter dem Begriff Systemdiffe-renzierung. Luhmann übernimmt die Unterscheidung von Elementen und Relationen und leitet daraus den Selektionszwang ab. Der Unterschied ist hier, dass bei Varela und Maturana die Selbsterschaffung des Systems an sich erstmal nicht phänomenologisch ist. Es wird ein einfa-cher mechanischer Prozess beschrieben, bei welchem Teile eines Baukastens in einen anderen Baukasten gelegt werden. Bei Varela und Maturana haben die Elemente einen klaren ontologi-schen Charakter. Sie sind nämlich chemische Elemente, welche in Molekülen organisiert sind. Luhmann setzt einen ganz anderen Fokus daran. Er konzentriert sich nicht auf die Elemente, sondern auf die Prozedur ihrer Relationierung. Das heißt, dass bei einer Verbindung mehrerer Elemente eine Entscheidung gemacht werden muss, da nicht alle Elemente mit allen Elementen verbunden werden können. Das kennen wir unter dem Begriff der Reduktion von Komplexität. Elemente haben demnach keinen ontologischen Charakter. Sie entstehen dadurch, dass die Um-welt eine größere Komplexität hat als die Umwelt. Das soll heißen, dass stets mehr Relationen möglich sind, als gemacht werden können (Luhmann, 1991, S. 41–47). Bei Varela und Matu-rana entsteht die Phänomenologie erst, wenn der lebende Organismus sich von der Umwelt trennen muss. Anders gesagt, der Organismus war vor seiner Selbstdifferenzierung als ein Ar-rangement von chemischen Elementen materiell vorhanden. Bei Luhmann wird erst von der Selbstdifferenzierung ausgegangen und dann auf die Relationierung von Elementen geschlos-sen, wobei die Elemente nicht mehr materiell sind. Die Grundannahme ist hier wieder, dass Unterscheidungen als solches und damit auch der Selbstdifferenzierung die Eigenschaft zuge-schrieben wird, sich von sich selbst heraus „in Gang“ halten zu können, was er wiederum von Spencer-Brown ableitet (Luhmann, 2004a, S. 77–78). Wie schon oben erläutert, steht das bei Spencer-Brown überhaupt nicht drin.
3.2.2 Autopoetische Systeme zweiter Ordnung
Von Varela und Maturana scheint Luhmann dabei das meiste übernommen zu haben. Wie schon gesagt entwickelt sich der Organismus dazu, sich selbst von seiner Umwelt zu unterscheiden. Dazu produziert und reproduziert er die eigene Identität (H. R. Maturana & Varela, 1980, S. 96–111). Daraus werden dann epistemologische Konsequenzen abgeleitet. Wenn mehrere Or-ganismen physisch zusammenstoßen, so sei das kein biologischer oder mechanischer Tatbe-stand, sondern ein phänomenologischer, da beide Organismen sich selbst und einander in einem physischen Raum erkennen müssen. Daraus wird dann abgleitet, dass biologische Phänomene
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als solches nur durch die Autopoesis zu erklären sind, da damit ein Organismus, der Biologe, einen anderen Organismus, sein Forschungsobjekt beschreibt (H. R. Maturana & Varela, 1980, S. 112–118).
Man spricht auch von autopoetischen Systemen zweiter Ordnung. Von zweiter Ordnung spricht man, wenn mehrere Organismen sich strukturell koppeln, was heißt, dass sie ihre Elemente miteinander austauschen und interagieren, ohne dabei ihre Individualität zu verlieren. Dieses System wird dann ebenfalls autopoetisch genannt, weil sich diese Organisation von den einzel-nen Organismen reproduzieren lassen muss (H. R. Maturana & Varela, 1980, S. 107–111). Bei Luhmann kennen wir das unter den Namen Psychisches System und Soziales System. Psychi-sche Systeme oder Personen gehen miteinander in Interaktion ein, stellen Erwartungen aneinan-der und reduzieren gegenseitig ihre Komplexität, sodass aus dieser Wechselwirkung ein sozia-les System entsteht (Luhmann, 1991, S. 148–190).
Maturana und Varela verbinden das autopoetische System ebenfalls mit menschlicher Gesell-schaft. „Biological phenomena depend upon the autopoiesis of the individuals involved; thus, there are biological systems that arise from the coupling of autopoictic unities, some of which may even constitute autopoictic systems of higher order, What about human socicties, are they, as systems of coupled human beings, also biological systems? Or, in other words, to what extent do the relations which characterize a human society as a system constitutively depend on the autopoiesis of the individuals which integrate it?“ (H. R. Maturana & Varela, 1980, S. 118).
In dem die Organismen miteinander interagieren steuern sie gegenseitig ihr Verhalten. Dem wird dann die Sprache hinzugedacht. Organismen müssen einander weißmachen, wie sie sich zu verhalten haben, was heißt, dass sie miteinander kommunizieren müssen. Diese Kommuni-kation geschieht dadurch, dass die Organismen eigene Zustände für den anderen Organismus sprachlich reformulieren. Das heißt, dass die Organismen den anderen und sich selbst beschrei-ben können müssen und diese Beschreibungen für einander verständlich machen müssen (H. R. Maturana & Varela, 1980, S. 118–123). Wie unschwer zu sehen ist der Begriff der Kommuni-kation bei Luhmann ebenfalls sehr ähnlich. Der Unterschied ist hier wieder, dass bei Varela und Maturana die Kommunikation zweitrangig zur Autopoesis steht. Das heißt, dass sie nicht von sich heraus entsteht, sondern durch den Willen der Organismen weiterzuleben und ihre Organisation aufrecht zu erhalten. Der Organismus wird von sich heraus in den Gang gesetzt. Bei Luhmann geschieht die Kommunikation von sich selbst heraus, womit er dann auf Spencer-Brown zu verweisen meint (Luhmann, 2004a, S. 78, 92–93).
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3.2.3 Varelas Calculus for Self-Reference
Nun haben wir nicht gemerkt, dass die Auseinandersetzung, bis auf den einen Verweis, irgend-was mit Spencer-Brown zu tun hatte. Das hat sie auch nicht und das war auch nicht ihr Ziel. Die weitere Beschäftigung mit dem Indikationskalkül war die Idee von Francisco Varela. Das Ziel dieser Beschäftigung war die Formalisierung der zirkulären Organisation von lebenden Systemen. Dazu Maturana: “In 1970, Francisco Varela, who loves formalism, said to me: ‚If living systems have a cicular organization as you say, then one should be able to formalize it.‘ I, who do not like formalisms, said: ‚Before any formalization one must have a complete description of the organization of living systems, and of how this participates in the generation of all biological phenomena.‘” (H. Maturana, 1993, S. 123).
Varela merkte sofort, dass das Indikationskalkül für diese Zwecke überhaupt nicht geeignet war. Das liegt vor allem daran, dass Spencer-Browns Erkenntnislehre, die sich auch in seinem Kalkül wiederspiegelt absolut konträr zu der Erkenntnislehre der Systemtheorie steht. Spencer-Brown war es wichtig mit dem Anfang anzufangen. Wir haben das im Kapitel: 1.4.8 Die Form als Erkenntnismethode behandelt und wiederholen es hier kurz nochmal. Der Anfang ist immer die Form, welche die Regel für die Sprachverwendung ist. Als Regel wird sie auf den Befehl zurückgeführt diese Regel zu setzen. Genauso entsteht im Indikationskalkül die Unterscheidung erst mit dem Befehl so zu tun, als ob sich etwas von etwas anderem unterscheidet. Die Selbs-treferenz entsteht erst viel später als Konsequenz dieses Befehls. In der Systemtheorie hat man nicht mit der Unterscheidung angefangen, sondern mit der Selbstreferenz. Genau das sagt der Begriff der Autopoesis aus. Man tut so, als ob ein lebendes Etwas den Willen hat weiterzuleben, sodass es ein System ist. Man wollte somit nicht mit dem Anfang anfangen, sondern von der Mitte heraus, was Spencer-Brown kritisierte, da er meinte, dass dadurch die Befehle verschlei-ert werden, die dazu führen, dass diese Wissensform aufrechterhalten werden kann. „If one starts much further away from the center, then you don’t see the connections of what you are doing. You don’t see that what comes out depends on what you put in. You can devise an acade-mic system that goes on the assumption that there is objective knowledge, which we are busy finding out. We have come along here with wide-open eyes, and what we see over there–we come along and we give a demonstration, and we write it out, etc., and when somebody says, ‚But just what is it that gives the formula that shape? Why is it that shape and not some other shape? What is it that makes these things true? What is it that makes it so that when we see this, what makes it so–why isn’t it otherwise?‘ And the stock answer is—‚Ah, well, that is how it is, and that is the mystery.‘“ (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Origins). Was in dem Fall verschlei-ert wird, ist der Wille des lebenden Systems weiterzuleben.
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Genau diese Haltung war der Grund für Varelas Calculus for Self-Reference. „I have taken the Calculus of Indications as a starting point in an attempt to produce adequate tools to deal with self-referential situations. Selfreference is, of course, of great historical importance; it was responsible for a major crisis in mathematical thinking at the turn of the century. More recently, with the development of cybernetics and systems theory, other aspects of self-referential situa-tions have become apparent, namely, the fact that many highly relevant systems have a self-referential organization. The key character of self-production in living systems is, perhaps, the most obvious instance; examples from the neurological, cognitive, and social domains also abound. With his motivation I developed an Extended Calculus of Indications (ECI), capable of dealing with the basic forms of self-reference, and thus, providing a foundation to interpret any possible instance of them“ (Varela, 1979b, S. 141).
Der Grundgedanke bestand darin den beiden Zuständen im Indikationskalkül von Spencer-Brown, also den marked und unmarked state einen dritten Zustand hinzuzudenken, sodass eine drei-wertige Logik entsteht. Der dritte Zustand sollte dann automomous state heißen. „Let there be a third state, distinguishable in the form, distinct from the marked and unmarked states. Let this state arise autonomously, that is, by self-indication: Call this third state appearing in a dis-tinction. the autonomous state“ (Varela, 1975, S. 7). Daraus werden dann weitere arithmetische und algebraische Formen abgeleitet.
Der Gedanke steht zum Indikationskalkül natürlich konträr. Spencer-Browns Kalkül ist zwei-wertig. Die Selbstreferenz wird durch das Hinzufügen von imaginären Werten ermöglicht. Die Schwäche von Varelas Kalkül, die sofort ersichtlich ist, ist die, dass er nicht zwischen verschie-denen Arten der Selbstreferenz unterscheidet und auch nicht unterscheiden kann. Selbstreferenz ist immer Paradoxie (Varela, 1975, S. 6, 19). Die Systemtheorie sah Varelas Calculus for Self-Reference als eine Erweiterung der Indikationskalküls von Spencer-Brown. Man sah darin die Lösung für die Logik der Selbstreferenz (von Foerster, 2003a, S. 281–285). Auch in späterer Systemtheoretischer Literatur liest man oft, dass Varela den Indikationskalkül erweitert hat. Was die Literatur allerdings verschweigt, ist, dass Spencer-Brown zu Varelas Kalkül meinte, dass es „totally useless“ sei (Spencer-Brown, 1997c, Abschn. 21:06-21:15). Varela soll damit viele Leute verwirrt haben, inklusive des Mathematikers Louis Kauffman. „It took me several years to convince Kauffman that you couldn’t do anything with Varelas algebra at all. And nothing useful couldn’t be applied anywhere. The beauty of mine is, that it applies all over. It enables us to invent this wonderful pieces of electronics and so on. Always when something is
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right, it always applies. And if something is wrong, you can’t make anything with it“ (Spencer-Brown, 1997c, Abschn. 27:24-27:54).
3.3 Rekapitulation der systemtheoretischen Rezeption der Laws of Form
Wir sind an der Stelle mit der systemtheoretischen Rezeption der Laws of Form durch. Mit der soziologischen Rezeption beschäftigen wir uns gleich im Anschluss. Davor erwähnen wir kurz die Mathematische Rezeption. Wir wollen es hier an der Stelle nochmal zusammenfassen, was die Systemtheorie von Spencer-Brown übernommen hat. Wie unschwer zu sehen, war es nicht wirklich viel.
Bei Heinz von Foerster dienten die Laws of Form als ein Beleg für die Wichtigkeit der Selbs-treferenzialität. Man meinte, dass nun endlich auch die Mathematik auf der Idee der Selbstref-erenzialität ankam. Spencer-Brown war dabei nicht der einzige Autor, welcher als ein solcher Beleg diente. Daneben wird auch der schwedische Logiker Lars Löfgren und sein Konzept der Autologie erwähnt (von Foerster, 2003b, S. 302). Viel lieber als die Laws of Form selbst wird das Kalkül von Francisco Varela erwähnt, welcher die Probleme der Logik der Selbstreferenz gelöst habe. „However, let me say that the problems of the logic of self-reference have been handled very elegantly by a calculus of self-reference, whose author is sitting on my left (Va-rela)“ (von Foerster, 2003a, S. 281).
Weiter wollte man von Spencer-Brown die Wichtigkeit der Unterscheidung bzw. des Unter-scheidens ableiten. Die Verwendung der Unterscheidung wurde dabei auf die eigene Erkennt-nislehre bezogen. Das heißt, dass man einerseits meinte, dass die wissenschaftliche Methodo-logie darauf ausgesetzt ist, Unterscheidungen zu ziehen und andererseits meinte man, dass die Systemtheorie die interdisziplinäre Differenzierung einzelner wissenschaftlicher Disziplinen ignoriert, sodass sie integriert, anstatt zu unterscheiden (Segal, 2001, S. 51–53; von Foerster, 2013, Abschn. 1:28-3:52). Weiterhin wird die Unterscheidung in der Unterscheidung zwischen System und ihrer Umwelt thematisiert, was durch den bereits erwähnten Verweis auf Spencer-Brown belegt wird.
Maturana übernahm von Spencer-Brown so gut wie gar nichts. Wie schon gesagt entwickelte er das Konzept der Autopoesis ganz unabhängig davon. Bis auf das eine bereits erwähnte Zitat wurde nichts übernommen. Einen Versuch Spencer-Brown zu rezipieren, sahen wir bei Varela. Varela entwickelte einen eigenen Kalkül, welcher zwar auf einem ähnlichen Formalismus be-ruht, aber weder die dahinterstehende Idee teilt noch ein ähnliches Ziel verfolgt. Auch die hinter dem Indikationskalkül stehende Erkenntnislehre wurde ignoriert.
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Wir können es daher an der Stelle mit Sicherheit sagen, dass Spencer-Brown nie wirklich re-zeptiert wurde. Wir greifen hier auf die soziologische Rezeption vor, die wir zwar bereits mehr-mals erwähnten und wir greifen hier auch auf die mathematische Rezeption vor, die wir auch gleich kurz erwähnen werden. Wir meinen damit nicht, dass sie nicht gelungen ist. Sie ist nie wirklich geschehen. Heinz von Foerster hat Spencer-Brown populär gemacht, sodass man dachte, dass Spencer-Brown ein Pfeiler des kybernetischen Denkens sei (Fuchs & Hoegl, 2011; Segal, 2001, S. 53). Das stimmt aber nicht. Weder inhaltlich noch geschichtlich hat Spencer-Brown auch nur etwas mit der Systemtheorie gemein gehabt. Das gilt auch für die Systemthe-orie Luhmanns. Die Ironie ist dabei, dass heute der Name Spencer-Brown vor allem mit Luh-mann assoziiert wird. Das liegt daran, dass Luhmann der erste war, Varela ausgenommen, der sich direkt auf Spencer-Brown bezog in dessen Namen ins Zentrum seiner Theorie stellte. Lei-der ist es so, dass so gut wie niemand sich die Arbeit gemacht hat, nachzuprüfen was dieser Verweis auf Spencer-Brown sollte, welche Ziele er verfolge und ob der Verweis überhaupt richtig ist. Mit Spencer-Brown können wir dazu sagen, dass man nicht mit dem Anfang, sondern von der Mitte heraus anfing, sodass man nicht sah auf was man sich alles hätte einlassen sollen, damit die soziologische Systemtheorie als ein Wissensbestand konstativ ist. Wir verfolgen die Geschichte von ihrem Anfang an. - Mathematische Rezeption der Laws of Form
Zu der mathematischen Rezeption der Laws of Form gibt es dabei nicht viel zu sagen. Es gab so gut wie keine. Bis auf den amerikanischen Mathematiker Louis Kaufmann hat sich anschei-nend so gut wie niemand mit dem Buch beschäftigt.
Spencer-Brown sah sein Werk vorwiegend als mathematisch. Wie schon erwähnt hat Spencer-Brown als er die Laws of Form schrieb keine mathematische Ausbildung abgeschlossen und hatte, wie er selbst sagt, keine Ahnung von Mathematik außer dem, was er in der Schule hatte. Erst nachdem er die Laws of Form geschrieben hat, begann er sich mit Mathematik zu beschäf-tigen (Spencer-Brown, 2008, S. ix). Wir haben erwähnt, dass die Originalfassung der Laws of Form zwei Anhänge, sogenannte Appendizes, hatte. Im Ersten werden die Postulate von Schef-fer bewiesen. Es handelt sich dabei um bestimmte Thesen, über die Boolesche Algebra, welche Spencer-Brown mit seiner Notation beweist bzw. zu beweisen meint (Sheffer, 1913; Spencer-Brown, 2008, S. 87–89). Im Appendix 2 erfolgt die logische Interpretation, welche wir bereits behandelt haben. In den späteren Jahren kamen dann zusätzliche Appendizes dazu, in welchen Spencer-Brown meinte, dass er auch andere wichtige mathematische Probleme gelöst habe. Dazu zählen das Vier-Farben-Theorem und vor allem die Riemannsche Hypothese, welche
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noch heute als eines der bedeutendsten ungelösten mathematischen Probleme gilt. Den Beweis hat er 2008 im Appendix 9 der Laws of Form veröffentlicht.
Warum ist die mathematische Rezeption nun ausgeblieben? Der Wirtschaftswissenschaftler und Mathematiker Philip Meguire hat diese Frage erforscht und nennt dazu mehrere Gründe. Erstens heißt es, dass sein Verständnis von Logik und seine Terminologie, zwar nicht falsch, aber veraltet sind. Daran merkt Meguire, dass es unklar ist, wie Spencer-Brown überhaupt Ma-thematik gelernt hat. Weiterhin haben sich verschiedene Vorhersagen Spencer-Browns über die Mathematik als falsch erwiesen in denen er meinte, dass bestimmte Sachen ohne imaginäre Werte nicht bewiesen werden könnten, die aber ohne diese bewiesen wurden. Darum wurde Spencer-Brown als Mathematiker vorwiegend ignoriert (Meguire, 2003, S. 71–72). Dazu kommt noch, dass die Debatte um die Grundlagen der Mathematik, in welcher Spencer-Brown sich selbst involviert sah, im Jahr 1969 einfach vorbei war. Auf der anderen Seite werden die mathematischen Beweise und Thesen von anderen Mathematikern verteidigt, wie zum Beispiel Louis Kauffman, William Bricken und James Flagg.
Wir können den mathematischen Wert der Laws of Form selbst nicht einschätzen. Alles, was wir aus der Auseinandersetzung mit der mathematischen Rezeption verstanden haben, ist, dass Mathematiker sehr uneinig darüber sind, was es überhaupt heißt etwas zu beweisen. Die schlechteste Einschätzung ist die, dass Spencer-Brown prinzipiell nichts neues erfunden hat, außer eine alternative Notation für die Boolesche Algebra (CULL & FRANK, 1979, S. 201–211). Die beste Einschätzung ist die von Spencer-Brown selbst, die besagt, dass er damit die Logik und dann auch weite Teile der traditionellen Mathematik begründet hat. Was davon stimmt, oder ob die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt, interessiert uns als Soziologen nicht. Wir können mit beidem leben. Den Vorteil, welchen Spencer-Brown bietet ist der, dass er ver-ständlich macht, wie aus Konventionen zur Verwendung von Zeichen eine Mathematik entste-hen kann. Damit macht er gerade für uns Sozialwissenschaftler Mathematik verständlich. Wir sind daher der Meinung, dass es vorteilhafter wäre Spencer-Brown weniger als einen Mathe-matiker zu lesen, sondern als einen Philosoph der Mathematik, auch wenn es Spencer-Brown selbst nicht gefallen würde.
88 - Soziologische Rezeption der Laws of Form
5.1 Niklas Luhmann
5.1.1 Die Wichtigkeit des Missverständnisses
Wir haben schon nun vieles aus Luhmanns Rezeption von Spencer-Brown besprochen, entspre-chende Vergleiche gezogen und gesehen, dass Luhmanns Rezeption der Laws of Form ver-schwindend wenig mit dem gemein hat, was in dem Buch tatsächlich drinsteht. Wir sind auch nicht die einzigen, die das gemerkt haben. Der Philosoph Boris Hennig schreibt zum Beispiel dazu: „Niklas Luhmann verwendet in seiner soziologischen Systemtheorie offenbar etwas, das er den Büchern des englischen Mathematikers George Spencer Brown entnimmt. Dessen For-menkalkül ist für Luhmann, wie Günther Schulte treffend bemerkt, ‚Mädchen für alles, mit dem er nicht nur in der Lage ist Teezukochen, sondern auch Auto oder Straßenbahn zu fahren‘. Der erste Blick in Spencer Browns Laws of Form vermittelt einen anderen Eindruck: nichts schei-nen sie mit soziologischer Systemtheorie zu tun zu haben. Der vorliegende Text bearbeitet hie-ran anknüpfend eine recht bescheidene Frage, die sich gleichwohl jedem Luhmann-Leser schon einmal gestellt haben dürfte: Was wollen die Laws of Form und was will Luhmann mit ihnen? Als Antwort ergibt sich, nach Zurückverfolgung der relevanten Fußnoten, eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, daß die Lektüre der Laws of Form offenbar niemandem wirklich weiterhelfen kann, auch Luhmann selbst nicht. Die gute ist folglich, daß dem Luhmann-Leser die Notwendigkeit erspart bleibt, einen so dunklen, weil sparsamen Kalkül zu verstehen. Das meiste nämlich, was Luhmann den Laws of Form angeblich entnimmt, steht auf den zweiten Blick nicht darin“ (Hennig, 2000, S. 157).
Thomas Hölscher, einer der Autoren der Einführung in die Laws of Form, äußert dasselbe etwas positiver indem er Luhmanns Versuch Spencer-Brown anzuwenden als ein produktives Miss-verstehen beschreibt (Hölscher, 2009, S. 259). Produktiv oder nicht ist es dennoch ein Missver-stehen. Warum ist es aber so wichtig, dass Luhmann Spencer-Brown missverstanden hat? Wir sahen nun an der Rezeption von Heinz von Foerster und Varela/Maturana, dass Spencer-Brown für die Systemtheorie kein grundlegender Autor gewesen ist. Luhmann war der erste welcher Spencer-Brown in den Kern seiner Theorie stellte. Aber was wollte er überhaupt damit? Dirk Baecker schreibt folgendes dazu: „Weil Spencer Brown zählen will, entwickelt er Gleichungen zweiten Grades (S.65 ff.). Weil Niklas Luhmann der Dynamik der Geschlossenheit nachgehen will, schreibt er, seine Überlegungen gingen davon aus, ‚daß es Systeme gibt.‘ Die ‚Laws of Form von Spencer-Brown sind die theoretische Rechtfertigung dieses Vorgehens. Sie zeigen,
daß jeder Anfang bereits Element einer Rekursion ist; daß jede Unterscheidung bereits eine
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wiedereingetretene Unterscheidung ist; daß jede Vereinfachung zur Komplexität beiträgt, die sie vereinfacht; daß jede Systemreflexion das System anreichert, in dem sie stattfindet. Und das kann in der Konsequenz nur heißen: Die Unterscheidung ist bereits eine Kopplung, die System-operation bereits eine Vernetzung“ (Baecker, 1993c, S. 31–32). Aber, dass es Systeme gibt, ist nicht das Einzige, was Luhmann durch den Verweis an Spencer-Brown rechtfertigt. Dazu kommt noch, wie wir bereits erwähnt haben, die Beobachtungstheorie dazu, also dass Beobach-tung, Unterscheidung und Bezeichnung sei. Auch die Kategorie Sinn wird durch den Verweis auf Spencer-Brown begründet. Diese ist besonders wichtig, da Luhmann sich damit von der (mechanistischen) Systemtheorie von Foerster, Varela und Maturana trennt, und stattdessen von sinnverarbeitenden Systemen spricht (Luhmann, 1991, S. 15–16, 95–96). Im Allgemeinen ist sogar die Formel „System ist die Differenz von System und Umwelt“ an Spencer-Brown angelehnt (Luhmann, 1993b, S. 60–66, 2004a, S. 58–59). Außer dem Begriff der Komplexität und der Theorie funktionaler Differenzierung bleibt in der Systemtheorie demnach nicht viel übrig, was nicht durch Spencer-Brown begründet wurde.
Die Wichtigkeit dessen, ob Luhmann Spencer-Brown missverstanden hat oder nicht lässt sich daher wie folgt formulieren. Wenn es heißt, dass Luhmann durch Spencer-Brown die These rechtfertigt, dass es Systeme gibt, dann heißt es, dass es sie nicht gibt, wenn man nachweist, dass diese These nicht durch den Verweis auf Spencer-Brown gerechtfertigt werden kann. Und genauso ergibt sich daraus, dass die Kategorien des Sinns, der Beobachtung und des Systems als Unterscheidung zwischen System und Umwelt unbegründet sind. Die Frage, ob Luhmann Spencer-Brown richtig gelesen hat oder nicht ist daher für die soziologische Systemtheorie primordial. Keine andere Frage gegenüber der Systemtheorie Luhmanns ist so wichtig wie diese.
5.1.2 Die Form des Systems
5.1.2.1 Unmöglichkeit der Definition
Bevor die Frage geklärt werden kann, ob es Systeme gibt, muss erstmal geklärt werden, was Systeme sind. Der Satz „System ist die Differenz von System und Umwelt“ hilft erstmal nicht weiter, denn es ist keine Definition und demnach keine Form. Insbesondere der theoretische Hintergrund der Laws of Form lässt uns sehen, was wir von einer Definition erwarten. Wir erwarten eine Benennung im Sinne: „call so-and-so such and such“ (Spencer-Brown, 2008, S. 66). Ob Systeme sind und was Systeme sind, sind unterschiedliche Fragen. Sie sind daher un-terschiedlich, da, um sie zu beantworten zwei verschiedene Setzungen erfolgen müssen. Wir greifen hier auf die Unterscheidung zwischen Command, Instruction und Canon aus den Laws
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of Form zurück. Der Satz, dass es Systeme gibt (Luhmann, 1991, S. 30), wäre demnach ein Command im Sinne: „let there be so-and so“ (Spencer-Brown, 2008, S. 66). Was Systeme sind, wäre dann die Instruction „call so-and-so such and such“ (Spencer-Brown, 2008, S. 66). Der Canon ist die Konvention, dass die Bezeichnung „System“ auf das Bezeichnete zeigt. Wonach wir also suchen ist das, was die Verwendung des Begriffs „System“ bezeichnet. Damit das geschehen kann, müssen wir davon ausgehen, dass das Bezeichnete selbst keine Bezeichnung ist. Die Formel „System ist die Differenz von System und Umwelt“ ist als Definition daher wertlos, da sie Bezeichnetes und Bezeichnendes (absichtlich) nicht trennt und nicht trennen lässt (Luhmann, 1993b, S. 49–52).
Die historische Genese des systemtheoretischen Begriffs des Systems konnten wir bereits nach-verfolgen. Bei Heinz von Foerster, Humberto Maturana und Francisco Varela sind Systeme Maschinen, welche so gebaut sind, sodass sie zwei Eigenschaften haben. Die erste Eigenschaft ist, dass die Maschine so gebaut ist, dass sie die Bauteile, aus denen sie besteht, reproduzieren kann und muss. Bei Heinz von Foerster wird dazu die Trennung zwischen trivialen und nicht-trivialen Maschinen vorgenommen (Segal, 2001, S. 85–91; von Foerster, 2003c, S. 152–157). Bei Maturana und Varela heißt das allopoetische und autopoetische Maschine (H. R. Maturana & Varela, 1980, S. 80–82). Dem davor steht die biologische Metapher dessen, dass eine solche Maschine so gebaut ist, dass sie den Willen hat weiterzuleben. Die zweite Eigenschaft ist die Selbstorganisation. Das heißt, dass die Maschine ihre Beziehungen zu ihrer Umwelt selbst be-stimmt. Die Maschine benutzt die Umwelt zu ihrer eigenen Reproduktion, sodass sie ihre Bau-teile aus den Ressourcen der Umwelt wiederaufbaut. Die Maschine muss sich daher so organi-sieren, sodass sie sich wieder reproduzieren kann, woraus folgt, dass sie sich weiter organisie-ren können muss (von Foerster, 2003f, S. 6).
Was die Definition von dem was ein System ist, angeht, ist hier alles verständlich. Ein System ist eine Maschine mit den genannten Eigenschaften. Bezeichnendes und Bezeichnetes wird klar getrennt. Nichts ist dabei selbstreferentiell. Luhmann will sich jedoch von dieser Auffassung trennen: „Für die Soziologie fehlen derartig klar geschnittene Kriterien. Das kann bedeuten, dass die Frage der Identität eines Systems im System selbst und nicht durch einen Außenbe-obachter gestellt und beantwortet werden muss. Ein System muss die Entscheidung darüber selbst herbeiführen, ob es sich im historischen Verlauf in der Veränderung von Strukturen so weit verändert hat, dass es nicht mehr dasselbe ist“ (Luhmann, 2004a, S. 15). Luhmann musste den Begriff des Systems so definieren, sodass das System sich selbst definiert. Eine Definition
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in unserem Sinne ist daher unmöglich. Der Satz „System ist eine Differenz von System und Umwelt“ ist daher keine Definition, sondern das Fehlen einer Definition.
5.1.2.2 Inkonsistenz des Konstruktivismus
Ein System kann sich demnach nur selbst definieren. Das ist aber nicht ganz so einfach. Irgend-wie definieren sich Systeme dennoch stets als Systeme. Wir wollen damit nicht auf den Satz hinaus, dass das System die Differenz von System und Umwelt ist. Wir wollen darauf hinaus, dass obwohl es heißt, dass Systeme sich selbst definieren, definieren sie sich stets so, wie Luh-mann es sagt. Das heißt, dass trotz dem, dass es heißt, dass Systeme sich selbst definieren, haben sie stets die Eigenschaften, die Luhmann ihnen zuschreibt. Diese Inkonsistenz merken wir dann gleich an verschiedenen Stellen.
Eine dieser Eigenschaften, ist die Fähigkeit des Systems sich selbst von ihrer Umwelt abzu-grenzen. In der Theorie von Foerster und Maturana ist die Umwelt ontologisch existent und besteht aus chemischen Elementen, welche das System als ein biologischer Organismus in sich aufnimmt. Die Umwelt ist unabhängig von dem Organismus und war schon vor dem Organis-mus da. Bei Luhmann entsteht die Umwelt erst dadurch, dass das System „in Gang“ gehalten wird (Luhmann, 2004a, S. 77–78). Sie hat einen phänomenologischen Charakter und wird als ein Beobachtungshorizont des Systems gewertet. „Die Umwelt erhält ihre Einheit erst durch das System und nur relativ zum System. Sie ist ihrerseits durch offene Horizonte, nicht jedoch durch überschreitbare Grenzen umgrenzt; sie ist selbst also kein System. Sie ist für jedes System eine andere, da jedes System nur sich selbst aus seiner Umwelt ausnimmt. Entsprechend gibt es keine Selbstreflexionen und erst recht keine Handlungsfähigkeit der Umwelt“ (Luhmann, 1991, S. 36).
Die andere Eigenschaft ist, dass Systeme die Fähigkeit haben, Elemente zu konstruieren und diese zu relationieren. Wir haben das bereits im Kapitel 3.2.1 Autopoesis besprochen und wie-derholen es nochmal kurz. Bei Maturana ging es dabei präzise um chemische Elemente und ihre Relationierung in chemische Moleküle. Bei Luhmann entstehen die Elemente erst durch die Systemdifferenzierung und zwar dadurch, dass die Umwelt eine größere Komplexität hat als das System, sodass das System die Komplexität reduzieren muss indem Entscheidungen getroffen werden (Luhmann, 1991, S. 41–44). Auch hier wieder ist die Voraussetzung, dass Systeme sich „in Gang“ halten können müssen. Genauso, wie bei Maturana bekommen die Elemente eine Prozesshaftigkeit zugeschrieben, sodass nicht mehr von Elementen, sondern von Operationen die Rede ist, welchen die Anschlussfähigkeit zugeschrieben wird (Luhmann, 2004a, S. 98–111).
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Obwohl es vorhin eigentlich hieß, dass die Umwelt als Konsequenz der Systemdifferenzierung entsteht, heißt es jetzt, dass es die Umwelt doch unabhängig von dieser Konsequenz gibt. Sie ist komplex und in ihr gibt es Systeme (Luhmann, 1991, S. 48–49, 30). Wir können die oben besprochene Inkonsistenz nun genauer fassen. Diese Inkonsistenz ist eine Inkonsistenz zwi-schen dem ontologischen und konstruktivistischen Denken. Obwohl es eigentlich heißt, dass Systeme sich selbst definieren und, dass die Umwelt als Konsequenz dieser Selbstdefinition entsteht wird dennoch davon ausgegangen, dass es Systeme und dann auch die Umwelt gibt. Trotz allem Konstruktivismus bekommen sowohl die Umwelt als auch das System einen onto-logischen Charakter. Es wird über sie gesprochen, als ob es sie gibt. Dennoch haben System und Umwelt verschiedene ontologische Status. Das System steht alternativlos da und die Um-welt wird daraus als Konsequenz abgeleitet. Mit Spencer-Brown können wir also sagen: Die Umwelt ist das was wäre, wenn es Systeme gäbe.
5.1.2.3 Paradoxie der Systeme
Es gibt Systeme und sie haben die genannten Eigenschaften. Wir sahen, dass beide Eigenschaf-ten es voraussetzen, dass Systeme, wie Luhmann (2004a, S. 77–78) es sagt, sich selbst „in Gang“ halten können. Unsere Frage soll also sein. Wie werden Systeme definiert, sodass ihnen die Eigenschaft zugeschrieben wird, sich „in Gang“ halten zu können? Überraschenderweise ist die Beantwortung dieser Frage recht einfach. „Das System ist eine Form mit zwei Seiten“ (Luhmann, 2004a, S. 77). Das kommt einer Definition deutlich näher. Mit dem Begriff der Form bzw. der Zwei-Seiten-Form bezieht er sich auf seine Leseart von George Spencer-Brown. Was Luhmann damit meint, hatten wir oben schon besprochen, werden es aber nochmal kurz wiederholen.
„Eine ‚form‘ hat zwei Seiten. Sie ist nicht nur eine schöne Gestalt oder ein Objekt, das man sich kontextfrei vorstellen kann, sondern sie ist eine Sache mit zwei Seiten. Wenn man sich ein kontextfreies Objekt vorstellen will, dann hat man es mit einem Objekt in einem „unmarked space” zu tun: ein Zeichen, ein Kreis oder etwas anderes auf einem weißen Blatt oder etwas Bestimmbares in der Welt, in der auch anderes vorkommt, das aber im Moment nicht bestimmt wird. „Form” ist eine prinzipiell zweiseitige Sache, in unserem Fall System und Umwelt“ (Luhmann, 2004a, S. 75). Wie Luhmann es also liest, heißt Form das gleiche wie Unterschei-dung. Genauso definiert Luhmann das System als „Form“ indem er sagt, dass das System eine Undheit zwischen mehreren Bezeichnungen ist. Damit meint er, dass das System als Unter-scheidung, das Unterschiedene miteinander koppelt, sodass er dann von der Einheit der Diffe-renz spricht (Luhmann, 2004a, S. 77).
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Die Selbstreferenz kommt dadurch zustande, dass Luhmann mit dem entsprechenden Verweis auf Spencer-Brown meint, dass die Unterscheidung sich selbst voraussetzt. Das meint Luhmann an zwei Stellen bei Spencer-Brown gelesen zu haben. Erstens in der Unterscheidung zwischen der Unterscheidung und der Anzeige, die ganz am Anfang der Laws of Form eingeführt wird und zweitens in der Definition der Unterscheidung, und zwar in dem Satz: „Distinction is per-fect continentce“. So wie Luhmann es las, heißt das „perfect“, dass die Unterscheidung sich bereits selbst enthält. Genauso las er die Markierung der Seite der Unterscheidung, also das , ebenfalls als eine Unterscheidung (Luhmann, 1993a, S. 198, 2004a, S. 74). Das führte dazu, dass er dann meinte, dass „die ganze Überlegung mit Selbstreferenz beginnt“ (Luhmann, 2004a, S. 72). Die Unterschiede von dem, wie Luhmann Spencer-Brown gelesen hat und was er tat-sächlich geschrieben hat, haben wir bereits besprochen. Das liest uns nun endlich definieren, was ein System ist. Ein System ist eine sich-selbst reproduzierende Unterscheidung. „Call so-and-so such and such“ (Spencer-Brown, 2008, S. 66).
Doch wie reproduziert sich eine Unterscheidung selbst? Das Mittel dieser Reproduktion ist die Paradoxie. Davor wird aber die Kategorie der Beobachtung eingeführt. Luhmann übersetzt die Begriffe „distinction“ und „indication“ als Unterscheidung und Bezeichnung und benennt die-ses als Beobachtung (Luhmann, 1992, S. 523, 2004a, S. 74). Was er damit macht, ist, dass er die Unterscheidung damit asymmetriert. Er sagt, dass beim Beobachten eine der Seiten der Un-terscheidung ausgeblendet wird, was er mit dem Begriff des unmarked state von Spencer-Brown und gleichzeitig mit der biologischen Metapher des blinden Flecks von Heinz von Fo-erster vergleicht. Auf der einen Seite der Unterscheidung wird operiert und auf der anderen Seite nicht.
Unter Operation ist die (Wieder-)Herstellung ereignishafter Elemente gemeint. Ereignishaft heißt, dass die Elemente endlich sind und durch das Funktionieren des Systems, neu hergestellt werden müssen (Luhmann, 1991, S. 79). Der Operationstyp, welchen Luhmann (Luhmann, 2004a, S. 78–79) für soziale Systeme identifiziert, ist Kommunikation. „Das Interessante an dem Modell besteht darin, dass man mit einem einzigen Operationstyp auskommt. Dabei wäre jetzt viel dazu zu sagen, was unter ‚Kommunikation‘ zu verstehen ist, das heißt, welchen Be-griff von ‚Kommunikation‘ wir hier verwenden. Das will ich im Moment beiseite lassen. ‚Kom-munikation‘ ist die Äquivalenz zu biochemischen Aussagen über Proteine und so weiter. Wich-tig ist zunächst, dass die Aussicht besteht, einen Operator zu identifizieren, der alle Kommuni-kationssysteme ermöglicht, wie komplex auch immer Gesellschaften, Interaktionen oder Orga-nisationen im Laufe der Evolution werden. Alles, was es gibt, beruht von einem operationalen
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Theorieansatz her gesehen auf demselben Grundvorgang, demselben Typ von Ereignis, näm-lich auf Kommunikation“ (Luhmann, 2004a, S. 79). Elemente der Operation Kommunikation bezeichnet Luhmann als Themen der Kommunikation (Luhmann, 2004a, S. 272). Weil Luh-mann meint, dass nur auf der einen Seite der Unterscheidung operiert wird, bleibt die andere Seite davon ausgeschlossen, sodass Luhmann von operativer Geschlossenheit spricht (Luhmann, 2004a, S. 93–94).
Wir sehen, dass bei Luhmann auch die Kategorie der Kommunikation an die Selbstreproduktion des Systems gebunden ist. Die Kommunikation selbst hat keinen Drang weiter zu kommunizie-ren. Das System hat aber einen Drang sich selbst zu reproduzieren. Wo kommt dieser Drang aber her? Das erklärt Luhmann nicht, sondern lässt die Erklärungsarbeit gänzlich von Spencer-Brown übernehmen. So wie Luhmann Spencer-Brown liest, soll Spencer-Brown gemeint ha-ben, dass es schon in der Natur von Unterscheidungen liegt, diesen Drang zur Selbstreproduk-tion zu haben. Genauso wie bei Maturana autopoetische Maschinen durch ihre molekulare Struktur von vorneherein so gebaut sind, sodass sie sich reproduzieren müssen.
So wie er das liest, sind Unterscheidungen von vorneherein paradox. Damit ist gemeint, dass Unterscheidungen von vorneherein selbstreferent sind und einen Teil von sich unbeobachtbar machen müssen, um sich zu reproduzieren. “Diese Überlegungen schließen, wie schon ange-deutet, an die von George Spencer Brown entwickelte operative Logik an. Sie setzen nicht de-ren Kalkül voraus, wohl aber dessen operative Autonomie. Die Unterscheidung ist der Grund der Beobachtung (denn mit einer anderen Unterscheidung würde man etwas anderes beobach-ten). Die Unterscheidung kann aber nur selbstimplikativ eingeführt werden, und das wird zum Paradox, wenn man mit dem Unterscheiden beginnt. Denn die Unterscheidung ist eine Form, die ihrerseits eine Innenseite (das Unterschiedene) und eine Außenseite (das Sonstige) unter-scheidet. Also kann man mit dem Unterscheiden nicht anfangen, ohne schon unterschieden zu haben. Der Kalkül Spencer Browns schiebt dieses Problem vor sich her (er läßt sich dadurch nicht blockieren), bis er komplex genug ist, um es mit der Figur des »re-entry«, dem Eintritt der Unterscheidung in das Unterschiedene, zu behandeln” (Luhmann, 1992, S. 84). Dass bei Spencer-Brown mit Re-entry etwas ganz anderes gemeint ist, haben wir bereits besprochen.
Der Bedarf nach der Entparadoxierung kommt dann zustande, wenn ein paradoxer Beobachter beobachtet werden soll. „Ein Paradox ist die in sich selbst enthaltene Form ohne Hinweis auf einen externen Standpunkt, von dem aus es betrachtet weden könnte. Es ist daher Anfang und Ende in einem. Aber der Beobachter ist ein System. Er setzt seine Operationen fort. Er löst sich dabei vom Paradox, indem er zu einer anderen Unterscheidung übergeht. Nur, wenn es denn
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ein Paradox ist: wie läßt es sich auflösen? Wie läßt es sich entfalten, daß heißt: in stabile, un-terscheidbare Identitäten zurücktransformieren?“ (Luhmann, 1993a, S. 201). Diese Beobach-tung ist die Beobachtung zweiter Ordnung (Luhmann, 1992, S. 98). Denselben Gedanken konn-ten wir vorhin bei Heinz von Foerster nachverfolgen53. Genau wie dort gilt Sprache als das Medium der Entparadoxierung und daher auch als Medium der Kommunikation.
Den Konzept der Entparadoxierung durch Sprache hat Luhmann nochmal von einem ganz an-deren Logiker abgeleitet. Er verweist dabei auf den schwedischen Logiker Lars Löfgren, wel-cher ebenfalls ein Mitglied an der BCL war (Luhmann, 2004a, S. 87–89). Wir können uns aus Platzgründen nicht ausgiebig damit beschäftigen, erwähnen aber kurz, worum es da geht. Löf-gren geht darauf ein, dass in einer formalen Sprache Paradoxien dadurch entstehen, wenn es versucht wird, eine formale Sprache durch dieselbe formale Sprache zu beschreiben. Die Para-doxie wird dadurch gelöst oder entfaltet, dass eine Metasprache eingeführt wird. Die Entfaltung der Paradoxie geschieht in der Zeit und braucht Zeit. Daraus wird geschlossen, dass Zeit nicht beschreibbar ist, da die Beschreibung der Zeit selbst Zeit braucht. Das Konzept wird dann als Autologie bezeichnet (Löfgren, 1984, S. 9–13). Das kommt dem Begriff der Zeit von Luhmann ziemlich ähnlich und die Unterscheidung zwischen Sprache und Metasprache lässt sich gut mit der Beobachtung erster und zweiter Ordnung vergleichen.
5.1.3 Die Form der Systemtheorie
Unsere Rekonstruktion lässt nun zeigen, wie sehr die Theorie von dem Konzept der Autopoesis abhängt. Wir sahen es in jeder bisher besprochenen Kategorie, dass stets davon ausgegangen wurde, dass es Systeme gibt und dass es sie so gibt, sodass sie den Willen haben sich selbst fortzusetzen. Wir sehen auch, wie sehr die soziologische Systemtheorie der biologischen Sys-temtheorie von Maturana und Varela ähnelt. Luhmann hat die Begriffe zwar modifiziert, sodass sie seinen Zielen entsprachen, aber die dahinter stehende biologische Theorie bleibt dennoch erkennbar. Wir sehen die Unterscheidung zwischen Elementen und Relationen. Wir sehen die Unterscheidung zwischen autopoetischen Systemen erster und zweiter Ordnung. Wir sehen die Sprache als Mittel der Kommunikation zwischen den autopoetischen Systemen und vieles an-dere. Und genau so sehen wir die Autopoesis.
Die Kategorie, mit der Luhmann seine Systemtheorie von der Systemtheorie von Maturana und Varela trennte ist die Kategorie des Sinnes. Damit führt er neben Maschinen und Organismen das psychische und das soziale System ein und spricht dabei von sinnverarbeitenden Systemen
53 Siehe Kapitel 3.3 Konstruktivismus
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(Luhmann, 1991, S. 16, 102–107). Die Kategorie des Sinns entwickelt Luhmann dabei stets mit dem Verweis aus Spencer-Brown. Wie oben besprochen, meint Luhmann daraus gelesen zu haben, dass Spencer-Brown eine Theorie selbstreferentieller Zeichen entwickelt habe. Dabei entstehe ein sich-selbst-reproduzierende Verweisungsüberschuss, welchen er dann als Sinn be-zeichnet (Luhmann, 1991, S. 100, 1993b, S. 65).
Das lässt uns endlich sehen, wozu Luhmann Spencer-Brown verwendete und was er damit über-haupt wollte. Luhmann war kein Biologe und wollte auch keiner sein. Er nahm aber eine bio-logische Theorie und versuchte sie für die Soziologie zu plausibilisieren. Spencer-Brown und seine Laws of Form werden von Luhmann als ein Ersatz für die biologische Annahme verwen-det, dass Lebendes den Willen hat sich selbst zu reproduzieren. Bei Luhmann sind es Unter-scheidungen, die den Willen haben sich selbst zu reproduzieren. Durch diese Annahme befähigt sich Luhmann von Systemen zu sprechen. „Die Aussage ‚es gibt Systeme‘ besagt also nur, daß es Forschungsgegenstände gibt, die Merkmale aufweisen, die es rechtfertigen, den Systembe-griff anzuwenden; so wie umgekehrt dieser Begriff dazu dient, Sachverhalte herauszuabstra-hieren, die unter diesem Gesichtspunkt miteinander und mit andersartigen Sachverhalten auf gleich/ungleich hin vergleichbar sind“ (Luhmann, 1991, S. 16). Die Sinnkategorie hat er ge-braucht, sodass er von einer soziologischen Systemtheorie sprechen konnte (Leydesdorff, 2006, S. 2–12).
Wir sahen nun, dass Luhmann Spencer-Brown fundamental missverstanden hat. Wenn Dirk Baecker also recht hat, dass die Laws of Form die Rechtfertigung der Aussage sind, dass es Systeme gibt, so können wir jetzt sagen, dass Luhmann keine solche Rechtfertigung hat (Baecker, 1993c, S. 31–32). Anders gesagt: Es gibt keine Systeme. Die Systemtheorie ist un-begründet. Es hat keinen Grund, warum es Systeme gibt. Luhmann tat aber so als ob es Systeme gibt. Die Konsequenz dieser Annahme ist die Systemtheorie. Mit Spencer-Brown können wir es wie folgt ausdrücken. Die Systemtheorie ist das was wäre, wenn es so sein könnte, dass es Systeme gibt.
Was wir nun taten, ist, dass wir die Systemtheorie bis auf ihren Anfang zurückverfolgten. Wir haben die grundlose Annahme und daher den Befehl entdeckt, mit welchem die soziologische Systemtheorie beginnt. Es gibt keine Systeme, aber genauso gibt es keine Unterscheidungen. Beide kommen nur durch einen Befehl zustande so zu tun als ob. Spencer-Brown lässt uns die Systemtheorie aus einem ganz anderen Winkel betrachten, und zwar so, sodass wir die Befehls-struktur sehen können, die hinter diesem Wissensbestand steckt. Können wir das sehen, so ha-ben wir die Systemtheorie verlernt. Wir fragen uns an der Stelle, ob wir dieses Verfahren
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generalisieren und auf andere Theorien anwenden können. Wir wollen davor noch kurz die Rezeption von Dirk Baecker besprechen.
5.2 Dirk Baecker
Zu Dirk Baecker gibt es dabei nicht so viel zu sagen, außer dass er die Fehler Luhmann wie-derholt. Der Unterschied besteht darin, dass Dirk Baecker es versucht die Notation des Indika-tionskalküls für sich nutzbar zu machen.
„A sociological reading of George Spencer-Brown’s Laws of Form consists in reading it as a theory of the observer. The observer is a cognitive entity showing to another observer how knowledge comes about. Knowledge is the product of the second observer. It is their knowledge of how the first observer uses distinctions to indicate their whereabouts, thereby producing their form of differentiation within their space of construction.1 Knowledge is a product of repro-duction in time, of bias in society, of closure in states of affair, and of performance in techno-logy. It is inherently uncertain, creating its own indeterminacy to open a space of communica-tion“ (Baecker, 2021, S. 1).
Genauso wie Luhmann, missversteht Dirk Baecker, dass es bei Spencer-Brown nicht um Be-obachtung geht. Das führt dazu, dass er genau das ignoriert, was Spencer-Brown überhaupt interessant macht, und zwar seine Grammatik der Befehlssprache. Das führt dazu, dass Baecker es nicht versteht, was es bei Spencer-Brown heißt, mit dem Anfang anzufangen. „The calculus starts with the paradox of defining the two operations of indication and distinction as one, and it ends with the paradox of describing the observers as the one who becomes, by watching themselves, distinct from themselves (see also Luhmann, 1999).“ (Baecker, 2021, S. 3).
Was die Notation betrifft, missversteht Baecker, dass das Cross in der Notation nicht als eine Unterscheidung verwendet wird, sondern als ein Befehl die Grenze der Form der ersten Unter-scheidung zu überqueren (Spencer-Brown, 2008, S. 21). Was Dirk Baecker nun tut, ist, dass er versucht Arrangements aus Unterscheidungen zu zeichnen, die ihm wichtig erscheinen. Dass das gegen die Convention von Intention verstößt und daher nichts mit Spencer-Brown zu tun hat, haben wir bereits oben erklärt. Genauso scheint Dirk Baecker keine Methodologie dafür zu haben, welche Kategorien er in seinen Arrangements von Unterscheidungen einordnet und wie er sie dort einordnet (Baecker, 2021, S. 11). Genau das sind die Gründe, warum Dirk Baecker das Indikationskalküls für sich nicht nutzbar machen kann.
Hier ist nochmal zu sehen, dass er das Konzept der Anzeige falsch versteht. So wie Baecker das versteht, besteht die Anzeige darin, dass das cross dem Beobachter anzeigt, dass etwas
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unterschieden wurde. „A sociological reading of Laws of Form is about distinctions being con-catenated to construct forms arranging complementary, supplementary, and even competing indications to express complex norms, institutions, networks, or systems. I call ‚catjects‘ arran-gements of indications and distinctions which may be understood to express eigen-values of recursive and reflexive functions producing and re-producing social situations ranging from face-to-face contacts via organizations to societies and their systems and networks (Baecker, 2007/2008). I call them catjects because they categorically link subjects and objects in their play of mutual, respective, co-productive, and at any moment transcendental (reflective) con-stitution“ (Baecker, 2021, S. 13).
So stellt er zum Beispiel die Wertform der Ware von Marx als „Form“ dar54:
Wertform
Tauschwert
Gebrauchswert
Gesellschaft der Warenbesitzer
In Worten soll das heißen, dass die Gesellschaft der Warenbesitzer, der Beobachter ist, auf welchen die Unterscheidung zwischen dem Tauschwert und dem Gebrauchswert reflektiert. Der Re-entry Strich unten soll heißen, dass die Gesellschaft der Warenbesitzer selbst in dieser Unterscheidung vorkommt (Baecker, 2021, S. 11).
Wir glauben gerne, dass Dirk Baecker mit seiner Leseart etwas sehr Schlaues und Wichtiges meint. Wir sehen aber nichts, was davon auch nur das Geringste mit Spencer-Brown zu tun hat. Den Missverständnissen Luhmanns, fügt Baecker noch einige eigene hinzu. Das Problem be-steht aber vor allem darin, dass Baecker es in seiner Rezeption nicht schafft, genau die Dinge zu erfassen, die an Spencer-Brown interessant sind. Damit meinen wir vor allem die oben ent-wickelte Erkenntnislehre, welche auf der injunktiven Sprache beruht und den mathematischen Formalismus. Auf die Erkenntnislehre wird überhaupt nicht eingegangen und die Notation wird eigentlich nur dazu verwendet, um verkomplizierte Tabellen55 zu zeichnen, sodass jede Mög-lichkeit der Berechnung entfällt. Dass Dirk Baecker keine Antwort darauf hat, bestätigt er auch selbst in einem Call for Papers aus dem Jahr 2021. „Viele Fragen einer systemtheoretischen
54 Vgl. (Baecker, 2021, S. 11). Wir haben die Beschriftungen selbst ins Deutsche übersetzt.
55 Darauf sind wir im Kapitel: 2.5 Primäre Algebra eingegangen
99
und soziologischen Arbeit mit dem Formkalkül sind ungeklärt. Dazu gehören nicht zuletzt die Fragen, wie sich Formen in einem elektronisch gestützten Schreibprogramm wie etwa LaTeX schreiben lassen, und auch, wie sie sich in mündlicher Rede sprechen lassen. Außerdem ist methodologisch noch weitgehend unklar, welche Art von Variablen sich in einem Formaus-druck aufschreiben lassen: Woher nimmt man die Bezeichnungen, mit denen eine Form rech-net?“ (Baecker, 2020b, S. 3). Wir halten uns daher, nicht länger damit auf und versuchen die letzten drei Fragen selbst zu beantworten56.
Die Crosses in einem Schreibprogramm zu schreiben stellt tatsächlich ein Problem dar. Wir taten hier unser Bestes, in dem wir Tabellen und Makros verwendeten. Einen effizienteren Weg gibt es momentan leider nicht.
100
- Die soziologische Interpretation des Indikationskalküls
6.1 Der empirische Zugang
Der Inhalt dieses Kapitels soll darin bestehen, zu zeigen, dass das Indikationskalkül trotz aller Fehlrezeption soziologisch anwendbar ist. Damit beantworten wir gleich die Frage mit ob, da-mit überhaupt etwas angefangen werden kann. Damit in diesem Kapitel auch genau das steht, was der Name dieses Kapitels sagt, müssen wir uns kurz daran erinnern, was es überhaupt heißt, das Indikationskalkül zu interpretieren.
Wir wollen in unserer Rezeption nicht die gleichen Fehler begehen, wie Luhmann und Baecker es taten. Wir lesen in das Kalkül nichts rein, was dort nicht schon drin steht. Wir machen keine Ergänzungen gegenüber dem Kalkül, wie Varela es tat. Wir sagen es nochmal genau was wir tun. Wir interpretieren das Indikationskalkül so, sodass wir meinen, dass es in der Soziologie anwendbar ist. Wie oben entwickelt, besteht die Interpretation des Indikationskalküls in zwei Schritten. Im ersten wird die Form der ersten Unterscheidung entsprechend kodiert. Im zweiten Schritt müssen Formen, im Sinne forms of reference, gefunden werden, die unter den Bedin-gungen, die man setzt, auf die eine oder andere Seite der Form der ersten Unterscheidung zei-gen (Spencer-Brown, 2008, S. 90).
Für die logische Interpretation hieß das, dass die Seiten der Form der ersten Unterscheidung als wahr und falsch kodiert wurden. Danach wurden Formen gefunden, welche den logischen Funktionen entsprechen. Was eine Interpretation der Indikationskalküls nun ist, ist eine Über-setzung. Die Convention of Intention57 aus den Laws of Form lässt nur die Verwendung von Zeichen zu, welche für sie definiert wurde. Diese Verwendung ist die Anzeige auf die eine oder die andere Seite der Form der ersten Unterscheidung.
In der logischen Interpretation verlief die Übersetzung so. Der Satz: „a ist wahr“ wird übersetzt zu: „Die Verwendung des Zeichens a zeigt auf die markierte Seite der Form der ersten Unter-scheidung.“ „a ist falsch“ wird dementsprechend übersetzt zu: „Die Verwendung des Zeichens a zeigt auf die unmarkierte Seite der Form der ersten Unterscheidung.“. Schauen wir uns dazu eine logische Funktion an. Ein logisches Und, 𝑎∧𝑏, wird übersetzt zu: „Die Verwendung die-ses Ausdrucks, zeigt auf die markierte Seite, genau dann, wenn, die Verwendung von a auf die markierte Seite zeigt und die Verwendung von b auf die markierte Seite zeigt.“.
57 „Let the intent of a signal be limited to the use allowed to it. Call this the convention of intention. In general, what is not allowed is forbidden“ (Spencer-Brown, 2008, S. 3).
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Professionelle Übersetzer wissen, wie man Sätze einer Sprache in die andere übersetzt. Die Übersetzungsaufträge stellen sie aber nicht an sich selbst, sondern finden sie in der Welt vor. Genauso stellen Wörterbücher Regeln dar, mit welchen ein Wort einer Sprache in die andere übersetzt werden kann. Das Wörterbuch spricht aber nicht. Man findet die Worte einer fremden Sprache vor und übersetzt sie mithilfe des Wörterbuchs in die eigene Sprache. Genau darin liegt der empirische Zugang, welcher das Indikationskalkül und seine Interpretation möglich ma-chen.
Wir sehen schon hier, wie das Indikationskalkül in der Soziologie eingesetzt werden könnte, und zwar als eine Art der Inhaltanalyse. Wir sind darauf angewiesen, Sprache, ob mündlich oder schriftlich, in der Welt vorzufinden, um sie durch die gemachten Konventionen, in unsere Sprache zu übersetzen. Die Form wird an der Stelle zu einer Art Sensor, durch welchen wir den Inhalt überhaupt wahrnehmen. Genauso wie jemand, der eine andere Sprache spricht nur durch eine Übersetzung verständlich wird, wird die Empirie nur durch ihre Übersetzung in unsere Sprache fassbar.
Was wir hier wieder entdecken, ist die Form als Regel der Verwendung von Wörtern. Eine Übersetzung ist nichts anderes als die Regel, dass die Verwendung eines Wortes aus der einen Sprache auf ein anderes Wort einer anderen Sprache zeigt. Diese Regel lässt uns davon ausge-hen, dass wir die Sätze einer Sprache vorfinden und die andere bereits schon kennen. Wir voll-ziehen damit die Trennung von Bildern und Tatsachen und begründen damit die Unterschei-dung zwischen Theorie und Empirie. Mit anderen Worten: Wir erstellen ein Modell. Mit Spencer-Brown meinen wir hier, dass diese Trennung nur durch die oben gemachte Konvention entsteht, dass die Wörter der einen Sprache die Wörter der anderen Sprache repräsentieren58.
6.2 Notwendigkeit und Kontingenz als Zwischentheorie
Das Indikationskalkül ist aber nicht seine Interpretation (Spencer-Brown, 2008, S. 90–91). Was soll das zum Beispiel bedeuten, wenn es heißt, dass die Verwendung eines sprachlichen Aus-drucks auf die markierte Seite der Form der ersten Unterscheidung zeigt? An sich bedeutet das gar nichts. Wir merken also hier, dass das Indikationskalkül allein als eine soziologische The-orie nicht ausreicht. Genauso wäre die logische Interpretation des Indikationskalküls nicht mög-lich gewesen, wenn man davor nicht die Logik hätte. Damit meinen wir, dass man die logischen Funktionen erst in der Logik entwickeln musste, sodass man sie in das Indikationskalkül über-setzen konnte. Genauso musste die Unterscheidung von wahr und falsch erst außerhalb des
58 Vergleiche mit dem Kapitel: 1.1 Die Anfänge der Laws of Form
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Kalküls entwickelt werden. Wir brauchen also eine weitere Theorie oder besser gesagt eine Zwischentheorie, welche empirische Ereignisse als sprachliche Ereignisse fasst und in die Spra-che des Indikationskalküls übersetzt. Genauer brauchen wir zwei Sachen. Wir brauchen eine Unterscheidung und wir brauchen Regeln, mit welchen wir empirische Sachverhalte als An-zeige auf die Seiten der Form der ersten Unterscheidung lesen können59.
Wir machen dazu einen Vorschlag. Wir gehen an der Stelle über Spencer-Brown hinaus. Wir verändern an dem Indikationskalkül aber nichts, wie Luhmann es tat, wenn er meinte über Spencer-Brown hinausgegangen zu sein. Wir gehen nur eine zusätzliche Konvention ein, sodass wir damit arbeiten können. Wir schlagen dazu eine Unterscheidung vor und sagen dazu, dass sie ein besonderer Fall der Form der ersten Unterscheidung ist. Das heißt, dass wir, wie es Spencer-Brown mit der Logik tat, sagen, dass die Kategorien unserer Unterscheidung als An-zeigen auf die Seiten der Form der ersten Unterscheidung verwendet werden sollen. Das heißt, dass wir die Form der ersten Unterscheidung entsprechen kodieren.
Die Unterscheidung, die wir dazu vorschlagen ist die Unterscheidung von Notwendigkeit und Kontingenz. Diese Unterscheidung scheint uns dem erkenntnistheoretischen Teil der Laws of Form am besten zu entsprechen aus Gründen, die wir gleich erklären werden. Wir finden auch, dass sich die Unterscheidung aus einer kritischen Auseinandersetzung mit Luhmann ergibt. Der Leser muss bedenken, dass es sich dabei nur um unseren Vorschlag handelt. Wenn der Leser die Unterscheidung unpassend findet oder einen besseren Vorschlag hat, dann soll er es damit versuchen. Was wir damit sagen wollen, ist, dass sich durch unseren Vorschlag nichts daran ändert, wie das Indikationskalkül zu interpretieren ist. Alles war wir bis zu diesem Punkt gesagt haben, ergibt sich notwendig aus den Laws of Form. Die einzige Freiheit, die uns bleibt, ist die Wahl der Unterscheidung, mit welcher wir die Form der ersten Unterscheidung kodieren.
Was der Leser an der Stelle verstehen muss, ist, dass wir an der Stelle weder die Zeit noch den Platz haben, um eine große soziologische Theorie zu entwickeln. Was wir hier vorstellen wollen ist ein sogenanntes Proof of Concept. Wir wollen einen Theorieansatz formulieren, welcher uns plausibel erscheint und von welchem wir meinen, dass sich dieser als eine Zwischentheorie eignen könnte, um empirische Ereignisse in die Sprache des Indikationskalküls zu übersetzen. Das Ziel besteht also nicht so sehr darin den eigenen Theorieansatz zu plausibilisieren, sondern zu zeigen, wie eine solche Übersetzungsleistung funktionieren könnte. Aus denselben Gründen werden wir dazu keine Fallstudie machen. Es reicht uns diesen Theoretischen Ansatz als einen
59 Mit Luhmann könnten wir an der Stelle auch von einer Leitdifferenz sprechen: „Leitdifferenzen sind Unter-scheidungen, die die Informationsverarbeitungsmöglichkeiten der Theorie steuern“ (Luhmann, 1991, S. 19).
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Ausblick hinzustellen auf das, was sein könnte, wenn man weiter in diese Richtung forschen würde.
6.3 Qualitative Forschungsmöglichkeit
Das, was wir mit Hilfe der Erkenntnistheorie der Laws of Form erfassen wollen, ist der kon-ventionale Charakter aller Wissensbestände. Damit wollen wir analysieren, welchen Annahmen und das heißt welchen Befehlen man folgen musste, sodass ein Wissensbestand konstativ sein kann. Das heißt, dass dieser Wissensbestand jemandem etwas sagen kann. Damit ziehen wir eine Verbindung zur Sprechakttheorie: „There must exist an accepted conventional procedure having a certain conventional effect, the procedure to include the uttering of certain words by certain persons in certain circumstances“ (John L., 1962, S. 26).
Wir sind keine Philosophen und uns interessiert daher nicht, ob ein sprachlicher Ausdruck wahr ist oder nicht. Was uns interessiert, ist, ob ein sprachlicher Ausdruck überzeugungsfähig ist (Staffeldt, 2008, S. 37–39). John Austin stellt dazu den folgenden Ausdruck vor: „The cat is on the mat but I don’t believe it is“ (John L., 1956, S. 235). Dieser Satz erscheint unehrlich, obwohl er rein logisch wahrheitsfähig ist. Es kann wahr oder falsch sein, dass die Katze auf der Matte liegt und es kann wahr oder falsch sein, dass ich es nicht glaube. Damit wird gezeigt, dass ein konstativer Ausdruck, nur gelingt (happy ist), wenn man davon ausgeht, dass der Sprecher von dem überzeugt ist, was er mit dem Ausdruck behauptet (John L., 1956, S. 235, 1962, S. 132). Die Konstativität einer Sprachlichen Äußerung wird von ihrer performativen Leistung abhängig gemacht. „If the performative utterance ‘I apologize’ is happy, then the statement that I am apo-logizing is true“ (John L., 1962, S. 53).
Die Konstativität und damit die Überzeugung- und Aussagefähigkeit einer Aussage entsteht nur dann, wenn davon ausgegangen wird, dass der Sprecher der Aussage selbst von dem Inhalt der Aussage überzeugt ist. Die Gegensituation ist eine Relativierung der Aussage, welche durch die Relativierung des Sprechers entsteht. Der Satz ist konstativ nur unter der Annahme, dass der Sprecher überzeugt ist. Damit stellen wir die Verbindung zu Spencer-Brown wieder her. Worauf wir hier eingehen, ist die Unterscheidung zwischen Befehl und Kontext, in welchem sich die Verwendung dieses Befehls äußert60. Wir verstehen einen Befehl daher als eine abso-lute Sicherheit. Den Satz, die Sicherheit dessen, davon abhängt, ob man die dazugehörigen Be-fehle befolgt, sehen wir als kontingent zu der Befolgung dieses Befehls an. Er ist sicher genau dann, wenn, die in ihm vorhandenen Befehle befolgt werden.
60 Vergleiche mit Kapitel: 1.4.5 Injunktion als Sprachspiel
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Womit wir es also zu tun haben ist Sicherheit und Unsicherheit. Die Sicherheit, welche durch das Befolgen eines Befehls entsteht, führt dazu, dass der Satz, der von diesem Befehl abhängt, sicher ist. Sonst wäre er unsicher. Was wir damit aufzeigen wollen, ist die Umwandlung von Unsicherheit in Sicherheit (und andersherum). In der Logik werden dafür die Begriffe Notwen-digkeit und Kontingenz verwendet. Unter Notwendigkeit verstehen wir eine Setzung im Sinne „so und nicht anders“. Unter Kontingenz verstehen wir, dass es auch anders sein könnte.
An der Stelle ließe sich eine Verbindung zu Luhmann ziehen, und zwar zum Begriff der Re-duktion der Komplexität bzw. Kontingenz. Was wir dabei allerdings ignorieren ist die Unter-scheidung zwischen Relationen und Elementen. Wir sprechen auch nicht von Beobachtung. Was wir von Luhmann übernehmen, ist, dass eine Umwandlung von Unsicherheit zu Sicherheit eine Selektion erfordert. Das „könnte so oder so sein“ wird umgewandelt in „so, obwohl es auch anders hätte sein können“ (Luhmann, 1991, S. 46–48, 243). Dieses bezeichnen wir als die Reduktion der Kontingenz.
Wie auch Luhmann sagt, kann Kontingenz dabei nicht durch Kontingenz reduziert werden. Bei Luhmann heißt das, dass dadurch eine unbestimmbare Komplexität entsteht. Für Luhmann heißt das dann, dass die Unbestimmbarkeit durch systeminterne Zustände reduziert werden muss und zwar dadurch, dass Systeme sich selbst entparadoxieren (Luhmann, 1991, S. 50–51). So vermeidet das Rechtssystem zum Beispiel die Frage, ob das Rechtsystem selbst im Recht oder im Unrecht ist (Luhmann, 2004b, S. 124–149). So wie wir das lesen, entsteht das Problem der Unbestimmbarkeit dadurch, dass Kontingenzreduktionen anschlussfähig sein müssen. Auf eine muss eine andere folgen können. Es liegt aber schon in der Tatsache des Entscheidens, dass es nicht nur Kontingenzen geben kann. Wäre eine solche Entscheidung kontingent, so müsste man abwarten, bis diese Kontingenz reduziert wäre. Und dann müsste man abwarten, bis die nächste Entscheidung getroffen werden kann und so weiter bis ins Unendliche, sodass keine der Kontingenzen reduziert wird. Luhmann löst dieses Problem mit dem Verweis darauf, dass Systeme sich selbst entparadoxieren müssen. Wir gehen einen anderen Weg und fügen neben der Kontingenz eine zweite Referenzmöglichkeit auf die Unterscheidung hinzu, die Not-wendigkeit. Diese Verstehen wir als eine Annahme und somit als einen Befehl die Annahme anzunehmen. Dieser erfordert keine Kontingenzreduktion. Man folgt dem Befehl oder man folgt ihm nicht. „Wenn ich der Regel folge, wähle ich nicht. Ich folge der Regel blind“ (Wittgenstein, 1958, S. 85) (PU 219).
Wenn wir von der Reduktion der Kontingenz sprechen, sprechen wir daher von der Reduktion der Kontingenz durch Notwendigkeit. Weil das eine angenommen wurde, ist das zweite und
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nicht das dritte, obwohl es auch anders möglich wäre. Was sich damit also darstellen lässt, ist ein Erklärungszusammenhang. „Y ist das, was wäre, wenn X“. Das macht es uns möglich einen Wissensbestand als ein Arrangement von Erklärungszusammenhängen zu analysieren. In einem Erklärungszusammenhang finden wir zwei Kategorien vor. Eine dessen man sicher ist, das Ex-planans und eine, welche durch das Explanans sicher gemacht wird, das Explanandum. Wir sagen daher, dass damit der Wissensbestand notwendig ist, das Explanans notwendig sein muss und das Explanandum kontingent. Das macht es uns möglich, die in einem Wissensbestand vorhandenen Kategorien als Variablen im Indikationskalkül zu verstehen, welche den Wert notwendig oder kontingent haben können. Wir können den Wissensbestand somit als eine Funktion der darin enthaltenen Variablen darstellen (Spencer-Brown, 2008, S. 49).
Die Forschungsmethode, mit welchem sich Erklärungszusammenhänge aus einem Inhalt her-ausabstrahieren lassen, ist dabei recht einfach. Die Forschungsmethode beruht lediglich darauf im Wissensbestand eine These zu finden und solange die Frage „Warum?“ zu stellen, bis sich keine Antwort mehr findet. Was nicht erklärt werden kann, musste angenommen werden. Wir analysieren als einen Inhalt und suchen nach Annahmen und nach Erklärungen, die mit diesen Annahmen gemacht werden. Mit Spencer-Brown gesagt, suchen wir nach dem Anfang.
Wir kennen das auch von Kindern. Kinder beginnen in einem gewissen Alter Fragen zu stellen, wie „Warum ist der Himmel blau?“ und so weiter. Auf die Antwort folgt dann eine weitere Warum-Frage und so weiter, bis das Elternteil keine Antworten mehr hat und einfach sagt, „Weil es so ist“. Genau in dem Moment sehen wir den Befehl so zu tun als ob. Was wir damit sagen wollen, ist, dass die hier dargestellte Theorie auch als eine Sozialisationstheorie verwen-det werden kann. Wir werden aber im Rahmen dieser Arbeit nicht darauf eingehen können. Auch Spencer-Brown sprach über seine Laws of Form, wie von einer Resozialisierung61: „I unlearned what I learned, the kind of values that present-day civilization inculcates into us soon after we are born“ (Spencer-Brown, 1973a, Abschn. Mathematics and Logic).
Die Addition des Begriff der Notwendigkeit ist ein herausragender Vorteil gegenüber der Sys-temtheorie von Luhmann. Damit hat unsere Theorie gleich mehrere Vorzüge. Erstens ist unsere Theorie nicht davon abhängig, ob es Systeme gibt. Dadurch, dass wir die Kontingenz nicht an systeminterne Zustände binden, können wir den Begriff des Systems gänzlich weglassen. Damit verschwinden auch die Begriffe psychisches System, soziales System, Komplexität, Relationen, Elemente, Sinn, Paradoxie, Entparadoxierung und somit die gesamte Mystik der
61 Das hängt vermutlich nochmal damit zusammen, dass Spencer-Brown in den Jahren 1968-1969 zusammen mit Ronald D. Laing als Psychiater gearbeitet hat (Spencer-Brown, 2008, S. xix–xx; Whitaker, 2001).
106
Systemtheorie. Unsere Theorie ist daher wesentlich einfacher. Wir verlieren aber wenig an In-halt, denn wie sich gleich zeigen lässt, können wir über ein ähnliches Phänomen wie die Ent-paradoxierung sprechen, ohne je behauptet haben zu müssen, dass es Systeme gibt oder dass sie paradox gewesen sind. Der zweite Vorzug ist, dass die Addition der Kategorie der Notwen-digkeit die Theorie wesentlich empirisch-zugänglicher macht. Wenn wir Erklärungszusammen-hänge analysieren, so müssen wir dem Wissensbestand keine Systemreferenz hinzudenken. Wir suchen sowohl die Kontingenz als auch die Notwendigkeit im Inhalt selbst und analysieren die entsprechenden Erklärungszusammenhänge. Wir brauchen keine Systeme. Der dritte Vorzug ist die Möglichkeit der Formalisierung, die ihrerseits noch weitere Vorzüge mit sich bringt. Wie eine Formalisierung nun erfolgen kann, lässt sich auch gleich zeigen.
Wir weisen nochmal darauf hin, dass wir die Notwendigkeiten als Befehle lesen so zu tun als ob. An der Stelle lässt sich eine Verbindung zum Begriff des Diskurses von Michel Foucault ziehen. „Diskurse definieren den Bereich des Wahren und üben damit gesellschaftliche Macht aus“ (Hannelore, 1999, S. 25). Ein Diskurs ist eine bestimmte kommunikative Praxis, in der festgelegt wird, welches Wissen gilt und welches nicht gilt (Foucault 1987, S. 251-252). Diese Verbindung befähigt uns die Bezüge zu der Machtstruktur herzustellen, welche ein Befolgen eines Befehls so zu tun als ob begünstigen. Es lässt uns auch über eine soziale Wirksamkeit von Wissensbeständen sprechen. Diese Verbindung befähigt uns auch den Begriff Diskurs zu ver-wenden.
6.3.1 Formalisierung
Was wir also untersuchen wollen, sind sozial wirksame Wissensbestände. Als sozial wirksam, meinen wir konstativ. Das heißt, dass jemand davon überzeugt werden kann. Mit konstativ mei-nen wir notwendig, denn es ist erforderlich, dass der Wissensbestand nicht relativiert wird. Es lässt sich daher eine Regel aufstellen. Wir bezeichnen einen Diskurs als ein Arrangement von Erklärungszusammenhängen. Ein Erklärungszusammenhang ist notwendig, genau dann, wenn das Explanans notwendig ist und dass Explanandum kontingent ist.
Nun können wir das formalisieren. Wir haben nun eine Unterscheidung und einer Regel, mit welcher wir einen Inhalt als ein Arrangement von Befehlen lesen können, um auf die Seiten der Form der ersten Unterscheidung zu zeigen. Wir legen jetzt Folgendes fest. Alles, was wir als notwendig vorfinden, übersetzen wir als eine Anweisung auf, die markiere Seite der Form der ersten Unterscheidung zu zeigen. Alles was wir als kontingent vorfinden, soll auf die unmar-kierte Seite zeigen. Alles was weder notwendig oder kontingent ist, schließen wir aus unserer
107
Theorie durch die Convention of Intention aus. Wir kodieren Notwendigkeit und Kontingenz daher als:
notwendig:
kontingent:
Nun können wir für die genannte Regel eine Form finden. Wir wollen sagen: Ein Erklärungs-zusammenhang ist genau dann notwendig, wenn er aus zwei Kategorien besteht, wobei die eine Kategorie notwendig ist und die andere kontingent. Wir schreiben Das wie folgt. E soll für Erklärungszusammenhang stehen und a und b sollen für die beiden Kategorien stehen. Wir bezeichnen diese Form als Form eines Erklärungszusammenhangs.
E
a
b
Würde man für die Kategorien a und b Werte einsetzten, so würde sich daraus genau die ge-nannte Kondition ergeben. Wir können dies mit einer Wertetabelle darstellen. m soll markiert und n soll für unmarkiert stehen.
a
b
E
m
m
n
m
n
m
n
m
n
n
n
n
Wir können dies etwas konkreter machen, wenn wir unsere vorherige Ausarbeitung zur Sys-temtheorie zurückgreifen. In dieser Ausarbeitung haben wir einen Erklärungszusammenhang identifizieren können. Wir meinten, dass die Kategorie Umwelt aus der Kategorie des Systems erklärt wird. Nun lässt sich auch die Systemtheorie als eine Form schreiben.
Systemtheorie
System
Umwelt
108
Wir definierten Diskurs als einen Arrangement von Erklärungszusammenhängen. Ein Diskurs ist per Definition konstativ. Ein konstativer Ausdruck ist per Definition ein Erklärungszusam-menhang. Wir bestimmen daher, dass ein Diskurs ebenfalls die Form eines Erklärungszusam-menhangs hat. Nun lassen sich drei Formen differenzieren in welchen ein Erklärungszusam-menhang selbst als Teil einer Erklärung fungieren kann. D soll für Diskurs stehen. E soll für Erklärungszusammenhang stehen und a soll für eine beliebige Kategorie stehen.
D1
a
E
D2
E
a
D3
E1
E2
Im ersten Fall wird ein Erklärungszusammenhand durch eine beliebige Kategorie erklärt. Im zweiten Fall wir eine Kategorie durch einen Erklärungszusammenhang erklärt. Im dritten Fall wird ein Erklärungszusammenhand durch einen anderen erklärt. In allen Fällen ist die Form eines Diskurses auch eine Form des Erklärungszusammenhangs. Wir bestimmen daher die Form des Erklärungszusammenhangs als eine allgemeine Form des Diskurses, wobei a und b sowohl für Kategorien als auch für Erklärungszusammenhänge stehen können.
D
a
b
6.3.2 Berechenbarkeit
Da wir die Kategorien eines Diskurses als Variablen darstellen konnten, haben wir auch die Möglichkeit, damit Berechnungen durchzuführen. Dazu ermächtigt uns die Convention of Sub-stitution62 aus den Laws of Form. Nach diesem Canon lässt sich ein Ausdruck durch einen anderen ersetzen, solange der Wert des Ausdrucks derselbe bleibt (Spencer-Brown, 2008, S. 7). Wir haben in unserer Beschäftigung mit Luhmann vorgefunden, dass die Systemtheorie selbst
62 Siehe dazu Kapitel: 2.4 Das Indikationskalkül
109
von der Annahme abhängig ist, dass es Systeme gibt. Mit anderen Worten: In diesem Erklä-rungszusammenhang ist die Systemtheorie kontingent und System notwendig. Dass können wir wieder als Form schreiben. Bezeichnen wir dieser Erklärungszusammenhang als A, was für dieses Argument aus dieser Abschlussarbeit stehen soll.
A
System
Systemtheorie
Die Systemtheorie ist aber selbst ein Erklärungszusammenhang, welcher die Kategorie Umwelt aus der Kategorie System erklärt.
Systemtheorie
System
Umwelt
Nun setzten wir die eine Form in die andere ein, sodass:
A
System
System
Umwelt
C2
Durch den Rechenschritt C263 lässt sich dieser Ausdruck umformulieren zu:
A
System
Umwelt
Setzen wir nun Werte ein, ergibt sich, dass A nur dann notwendig und das heißt konstativ ist, wenn System und Umwelt beide notwendig sind. Das heißt, dass beide Kategorien durch einen Befehl angenommen werden mussten. Das deckt sich mit unserer Beobachtung, dass sowohl die Umwelt als auch das System in Luhmanns Systemtheorie einen ontologischen Charakter bekommen, sodass von beiden so getan wird, als ob es sie gibt.
63 Siehe dazu den Index of Forms im Anhang zu dieser Abschlussarbeit oder im Anhang der Laws of Form. Siehe auch (Spencer-Brown, 2008, S. 25–26).
110
Dieser Erklärungszusammenhang ist aber nicht die Systemtheorie. Was wir gerade taten, ist, dass wir einen Diskurs durch eine andere Kategorie erklärbar machten. In der Wissenssoziolo-gie von Mannheim finden wir diesen Vorgang unter den Begriffen Seinsgebundenheit des Den-kens und soziologische Kritik. Der Begriff Seinsgebundenheit bedeutet, dass einem Wissensbe-stand ein Grund in der realen Welt zugeschrieben wird. Der Vorgang der Erklärung eines Wis-sensbestands aus einem angenommenen Standpunkt wird als soziologische Kritik bezeichnet (Mannheim, 1929, S. 31,65,87). Nun ließe sich auch das als Form schreiben. D soll für Diskurs stehen und x soll für eine beliebige Kategorie stehen, aus welcher dieser Diskurs erklärt wird. Bezeichnen wir den Gesamtausdruck als S, was für soziologische Kritik stehen soll.
S
x
D
Statt D ließe sich die obenstehende allgemeine Form des Diskurses einsetzten, sodass:
S
x
a
b
Dazu lässt sich dann eine Wertetabelle aufstellen. m soll wieder für markiert stehen und n für unmarkiert. Wie schon gesagt steht markiert für notwendig und unmarkiert für kontingent:
x
a
b
S
m
m
m
m
m
m
n
n
m
n
m
m
m
n
n
m
n
m
m
n
n
m
n
n
n
n
m
n
n
n
n
n
Daraus lassen sich nun alle Fälle ablesen, in welchen eine soziologische Kritik konstativ ist. In jedem dieser Fälle, wird vermieden, dass der kritisierte Diskurs konstativ ist und in jedem dieser Fälle wird der Grund, aus welchem ein Diskurs erklärt wird als eine Annahme vorausgesetzt.
111
6.3.3 Beweisbarkeit
Wir gehen jetzt einen Schritt weiter. Wir wollen nun nicht selbst einen Diskurs auf einen Grund zurückführen. Wir wollen stattdessen aufzeigen, wie ein Diskurs aus einem anderen Diskurs erklärt wird. D1 soll für den ersten Diskurs stehen und D2 soll für einen anderen Diskurs stehen. T soll für eine Theorie stehen, die dieses behauptet. Wir formalisieren das wie folgt:
T
D1
D2
Nun ließen sich wieder für D1 und D2 konkrete Kategorien einsetzen, sodass anhand der Wer-teverteilung gesehen werden kann, in welchen Fällen die folgende Theorie konstativ ist. Wir werden das aus Platzgründen nicht vormachen. Wir wollen aber auf eine andere Sache hinaus. Wir fragen uns, ob ein Diskurs sich selbst erklären kann. Mannheim behauptete mit seinem totalen Ideologiebegriff, dass in einer Ideologie der eigene Denkstandort als absolut gesetzt wird (Mannheim, 1929, S. 31–32). Das hieße für uns, dass ein Diskurs sich selbst nicht erklären kann. Prüfen wir das. Wir erfinden dazu eine Theorie T, welche sagt, dass ein Diskurs D durch sich selbst erklärt wird. Wir formalisieren das als:
T
D
D
Die erste algebraische Initialgleichung J164 besagt, dass:
J1
p
p
Das heißt, dass unabhängig davon, ob der besprochene Diskurs notwendig oder kontingent ist, die Theorie, die dieses behauptet, stehts kontingent sein wird und daher in keinem Fall konstativ sein kann.
T
D
D
64 Siehe dazu T8 in den Index of Forms im Anhang zu dieser Abschlussarbeit oder im Anhang der Laws of Form. Siehe auch (Spencer-Brown, 2008, S. 18,23). Wir machen hier auch von der Hypothesis of Simplification gebrauch.
112
Was wir damit bewiesen haben, ist, dass Diskurse sich nicht erklären können, da jede Theorie, die Das behaupten würde, nicht konstativ wäre. Das ist ein authentischer mathematischer Be-weis einer soziologischen These.
6.4 Quantitative Forschungsmöglichkeit
Wir wollen nun darstellen, wie ein Diskurs sich selbst gegenüber verhält. Wir kommen daher am Thema der Selbstreferenz an. Wir nehmen unsere allgemeine Form des Diskurses und füh-ren dazu dieselben Rechenschritte durch, wie Spencer-Brown sie im Kapitel 11 der Laws of Form zeigt.
Wir nehmen die Form
D
a
b
und erweitern sie bis ins Unendliche, sodass
D
…a
b
a
b
Wir schreiben diesen Ausdruck dann als:
D
a
b
Nun ist der Diskurs selbstreferent. Wir konnten nachweisen, dass der Diskurs als ein Ausdruck in sich selbst wiedereintreten kann. Es handelt sich um das Re-entry. Wir sehen genauer, dass dieser Ausdruck dieselbe Form hat, wie eine Gedächtnisfunktion65. Der Wert des Diskurses wird somit unbestimmt. Er lässt sich aber berechnen, wenn für a und b konkrete Werte einge-setzt werden. Wie in der Gedächtnisfunktion wird der Wert von D auf notwendig gesetzt, wenn
65 Vergleiche dazu das Kapitel: 2.6 Re-entry.
113
a auf notwendig gesetzt wird. Der Wert von D wird auf kontingent rückgesetzt, wenn b auf notwendig gesetzt wird. Stellen wir das für ein besseres Verständnis graphisch dar66.
Was wir damit sagen können, ist, dass ein Diskurs, sobald wir diesen als eine Funktion betrach-ten bestimmte Sicherheits- und Unsicherheitsperioden durchläuft. Die Zustandsänderung kommt zustande, sobald wir in unserem Forschungsmaterial entdecken können, dass die Kate-gorie a oder b als eine Annahme vorausgesetzt wird. Das Beste ist aber, dass wir diese Perioden messen können. Der Diskurs oszilliert nicht selbst, sondern nur, wenn sich der Wert von a oder b ändert. Diese Änderung finden wir empirisch vor in dem wir einen Wissensbestand analysie-ren. Diese Änderung ist zeitlich versetzt und wir können messen, wie lange es braucht. Der Diskurs als eine Funktion bekommt damit eine Geschwindigkeit, welche langsamer oder schneller werden kann (Spencer-Brown, 2008, S. 48–53).
Wir könnten uns vorstellen, dass damit Wissensbestände in der digitalen Welt analysiert, wer-den können. Wir gehen damit zum Beispiel auf Reddit oder ein anderes Forum und schauen, wie es sich dort verhält. Wir schauen uns einzelne Posts an und sehen dort nach, welche Kate-gorien dort angenommen und welche erklärt werden. Die Änderung dieser Zustände lässt sich
66 Vergleiche mit (Spencer-Brown, 2008, S. 50–53).
notwendig
notwendig
kontingent
kontingent
a
a wirdwird auf notwendig gesetztauf notwendig gesetzt
b
b wird auf notwendig gesetztwird auf notwendig gesetzt
Der Wert von
Der Wert von DD
Zeit
Zeit
Abbildung 17: Diskursfunktion Quelle: Eigene Darstellung
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dann als eine solche Funktion abbilden. Wir können es uns vorstellen, dass auch von einem Computerprogramm machen lassen zu können. Wir brauchen lediglich einen Algorithmus, der auf die Verwendung bestimmter Wörter schaut und den Zeitpunkt der Verwendung sich notiert. Nichts, was nicht schon lange verfügbar ist. Daraus ließe sich die Sicherheits- und Unsicher-heitsperioden eines Diskurses ablesen. Wir könnten zum Beispiel vermuten, dass wenn die Si-cherheitsperioden länger sind als die Unsicherheitsperioden, der Diskurs an Gefolgschaft zu-nimmt oder abnimmt.
„This book is not endless, so we have to break it off somewhere. We now do so here with the words and so on“ (Spencer-Brown, 2008, S. 56). Auch wir brechen die Auseinandersetzung hiermit ab und sagen: Und so weiter. Wie hoffentlich zu erkennen ist, bietet die Möglichkeit der Übersetzung von soziologischen Inhalten in die Sprache des Indikationskalküls die Sache noch viel weiter zu treiben. So viel weiter, dass der Rahmen dieser Abschlussarbeit dafür nicht mehr ausreicht. Wir wollten dem Leser lediglich einige Belege dafür zeigen, dass eine solche Übersetzung funktionieren kann und wie diese aussehen könnte. Damit bejahen wir die These ausdrücklich, dass das Indikationskalkül, trotz aller Fehlrezeption, für die Soziologie sehr nütz-lich sein kann und plädieren dafür Spencer-Brown und seinen Laws of Form ein größeres Inte-resse zu schenken, als bisher gemacht wurde.
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Fazit
Wir sind hiermit mit der Auseinandersetzung durch, haben verlernt, was wir gelernt haben und können das ganze nun rekapitulieren. Es ging uns vor allem darum die Fragen zu beantworten. 1. Was steht in den Laws of Form? 2. Was wollte die Systemtheorie mit Spencer-Brown? 3. Was hat Luhmann in den Laws of Form missverstanden? 4. Was wollte Luhmann überhaupt mit den Laws of Form? 5. Lässt sich überhaupt etwas mit den Laws of Form anstellen? Nun haben wir sie alle beantwortet und fassen das Ganze zusammen.
Wir fingen damit an, dass wir behaupteten, dass Spencer-Brown der Pathos der Mathematik genommen werden musste, um ihn zu verstehen. Wir gingen damit auf die Anfänge der Laws of Form zurück und entdeckten, dass die Laws of Form hauptsächlich Sprachphilosophie sind. Als solches sind sie von Anfang bis Ende an Wittgenstein angelehnt. Die Laws of Form sind strukturell der Logisch-Philosophischen Abhandlung von Wittgenstein sehr ähnlich. Inhaltlich entsprechen die Laws of Form Wittgensteins philosophischen Untersuchungen. Wir merkten, dass der Begriff der Form sehr ähnlich zu dem Begriff des Sprachspiels steht. Die Form ist einer Regel der Sprachverwendung, welche es setzt, dass das Bezeichnende auf das Bezeichnete zeigt. Der signifikante Unterschied zu Wittgenstein besteht darin, dass bei Wittgenstein Gegen-stände vor ihrer Bezeichnung existieren. Bei Spencer-Brown entstehen Gegenstände erst durch die Form.
Die Unterscheidung zwischen dem Bezeichnendem und dem Bezeichnetem ist die semiotische Komponente der Laws of Form. Konkret wird an das semiotische Dreieck von Peirce angelehnt. Wir entdeckten die Kategorien Gegenstand, Representamen und Interpretant unter den Be-zeichnungen Knowledge, Name und Convention of Intention in den Laws of Form. Aus dieser Semiotik wurde dann der mathematische Formalismus abgeleitet.
Die Form als Regel der Bezeichnung setzt einen Befehl voraus diese Regel zu setzen. Daraus entsteht dann als Konsequenz, dass Gegenstände als solches Resultate von Befehlen sind. In den Laws of Form wird daher die Wichtigkeit der Befehlssprache gegenüber der Deskriptiv-sprache behauptet. Genauso wird in den Laws of Form eine Grammatik der Befehlssprache aufgebaut, welche aus sogenannten Commands, Instructions und Canons besteht. Aus dieser Semiotik werden dann ein mathematischer Formalismus und eine Kalkül abgeleitet. Die Kal-kulation besteht darin ein Arrangement von Befehlen auf die eine oder die andre Seite der Un-terscheidung zu zeigen zu einem einzigen Befehl zusammenzufassen. Die daraus entstehende Mathematik ist somit eine Konsequenz der dahinterstehenden Sprachphilosophie. Daraus wird
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auch eine entsprechende Erkenntnislehre abgeleitet, mit welcher Phänomene auf die dahinter-stehenden Befehlsstrukturen zurückgeführt werden.
Die Unterscheidung selbst wird ebenfalls als Konsequenz eines Befehls gedacht. Unterschei-dungen haben demnach keinen ontologischen Status, sondern entstehen durch den Befehl so zu tun, als ob sich etwas von etwas anderem unterscheidet. Die Form als Regel der Bezeichnung entsteht dabei simultan mit der Unterscheidung.
Wir haben auch den Begriff des Re-entry endgültig geklärt. Beim Re-entry wird ein Ausdruck in sich selbst wiedereingeführt. Als Ausdruck wurde ein Arrangement von Befehlen definiert auf die eine oder andere Seite der Unterscheidung zu zeigen. Was beim Re-entry also geschieht, ist, dass eine Kette von Befehlen in sich selbst als Teilbefehl wiedervorkommt, sodass dabei eine unendliche Befehlskette entsteht. Paradoxien seien dabei ein Fall solcher unendlicher Be-fehlsketten. Die sogenannte Gedächtnisfunktion ist ein anderer Fall.
Wir zeigten auch, was es heißt das Indikationskalkül zu interpretieren. Spencer-Brown machte es vor in dem er zeigte, dass die Logik sich als ein besonderer Fall der Laws of Form darstellen lässt. Was er dabei machte, ist, dass er die Seiten der Form der ersten Unterscheidung als wahr und falsch kodierte und Formen aufstellte, die unter bestimmten Bedingungen auf die Seiten der ersten Unterscheidung zeigten.
Aus der logischen Interpretation des Indikationskalküls werden dann bestimmte philosophi-schen Konsequenzen gezogen. Dazu gehört, dass weil die Wahrheit aus der Form ableitbar ist, so auch die Existenz aus der Form ableitbar ist. Daraus wird dann gefolgert, dass dadurch die Trennung zwischen dem Bezeichnetem und dem Bezeichnendem wieder aufgehoben wird, so-dass die Form sich selbst aufhebt. Die Form ist daher das Fehlen der Unterscheidung zwischen dem Bezeichnetem und dem Bezeichnendem. Wie schon erläutert, ist das Argument nur plau-sibel, wenn man es gegen Wittgenstein liest. Genauso wie in der Logisch-Philosophischen Ab-handlung wird dann behauptet, dass deswegen die ganze Auseinandersetzung unnötig gewesen ist, aber dennoch entsteht, sobald eine Unterscheidung gezogen wird.
Wir haben uns anschließend mit der systemtheoretischen Rezeption der Laws of Form beschäf-tigt, und zwar zunächst mit der Rezeption von Heinz von Foerster, Humberto Maturana und Francisco Varela. Bei Heinz von Foerster entdeckten wir, dass Spencer-Brown und seine Laws of Form nicht mehr als ein Beleg erwähnt werden, dass auch nun endlich auch in der Mathe-matik Selbstreferenz gefunden wurde. Sonst wurde kaum etwas übernommen. Viel mehr wird auf Francisco Varela und sein Calculus for Self-Reference eingegangen, welches die Probleme
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der Logik der Selbstreferenz lösen sollte. Die Unterschiede des Kalküls von Varela gegenüber des Indikationskalküls von Spencer-Brown haben wir ebenfalls gezeigt. Noch weniger hatte Spencer-Brown mit dem Konzept der Autopoesis zu tun. Dieses Konzept wurde nochmal ganz unabhängig davon von Humberto Maturana entwickelt. Und das einige Jahre bevor Spencer-Brown die Laws of Form überhaupt veröffentlichte. Wir kamen also zu dem Schluss, dass Spencer-Brown weder inhaltlich noch geschichtlich kaum etwas mit der Systemtheorie zu tun hatte.
Was Luhmann angeht, sahen wird, dass dieser Spencer-Brown gänzlich missverstanden hat. Dieses Missverständnis entdeckten wir an mehreren Stellen. Das Wichtigste ist aber, dass Luh-mann die Wichtigkeit und die Verwendung der injunktiven Sprache nicht sah. Das hatte zur Folge, dass er es so las, dass die Unterscheidung sich bereits selbst voraussetzt, was er dann als das Re-entry verstand und dem Begriff der Autopoesis verband. Genau dieses Missverständnis verbirgt sich hinter dem Begriff des Systems in der soziologischen Systemtheorie.
Viel interessanter war allerdings die Frage, was Luhmann damit überhaupt wollte. In unserer Beschäftigung mit der biologischen Systemtheorie von Maturana und Varela entdeckten wir, dass doch recht Vieles aus dieser übernahm. Wir sahen das an der Unterscheidung zwischen Elementen und Relationen, an dem Drang zur Selbstdifferenzierung, am Verhältnis zwischen System und Umwelt, an der operativen Geschlossenheit und der Differenz zwischen autopoe-tischen Systemen erster und zweiter Ordnung, welche synonym zu Luhmanns Unterscheidung zwischen psychischen und sozialen Systemen steht. Bei Varela und Maturana wurde stets die biologische Wille des Organismus vorausgesetzt als Lebendes weiterzuleben.
Der Unterschied, den Luhmann zu dieser biologischen Theorie machte, ist, dass er von sinn-verarbeitenden anstatt von biologischen Systemen spricht. Genau diese Trennung begründet er mit Spencer-Brown von welchem er seinen Sinnbegriff abzuleiten meinte. Dem liegt die schon dargestellte Leseart zu Grunde, dass es bei Spencer-Brown um sich selbst reproduzierende Un-terscheidungen handele, sodass auch Zeichen einen sich-selbst-generierenden Verweisungs-überschuss bekommen. Dass Luhmann dabei über Spencer-Brown hinausgeht, verschweigt er nicht. Spencer-Brown bleibt aber die einzige Referenz und die einzige Rechtfertigung dieses Verfahrens. Das was durch Spencer-Brown letztendlich begründet wird, ist der Satz, dass es Systeme gibt. Da wie beschrieben Luhmann keine solche Begründung hat und nicht davon aus-zugehen ist, dass sich in seinem Zettelkasten noch eine finden lässt, sagen wir an der Stelle, dass es keine Systeme gibt.
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Es gibt keine Systeme, aber genauso gibt es keine Unterscheidungen. Die in den Laws of Form aufgebaute Erkenntnislehre lässt zu, die Systemtheorie aus einem anderen Winkel zu betrach-ten. Da Luhmann keine Rechtfertigung dafür hat, dass es Systeme gibt, lesen wir dies als eine grundlose Annahme und somit als einen Befehl die Annahme anzunehmen. Damit lässt sich der Satz „Es gibt Systeme“ übersetzen zu „Tu so als ob es Systeme gibt“. Folgt man diesem Befehl, so entsteht die Systemtheorie als Kontext, in welchem sich dieser Befehl äußert.
Wir fragten uns an der Stelle, ob es möglich sei, dieses Verfahren auch auf andere Wissensbe-stände zu generalisieren und machten dafür einen Vorschlag. Mit diesem Vorschlag wollten wir dem Leser zeigen, wie eine soziologische Interpretation des Indikationskalküls aussehen könnte. Woran Luhmann, und das gilt ebenfalls für Dirk Baecker, letzten Endes scheiterte, ist genau das einzufangen, was Spencer-Brown überhaupt an erster Stelle interessant macht. Damit meinen wir die Grammatik der Befehlssprache zusammen mit der dazugehörigen Erkenntnis-lehre, sowie den mathematischen Formalismus. Genau dieses wollten wir für uns nutzbar ma-chen und zeigen, dass eine soziologische Interpretation des Indikationskalküls möglich sei. Die Frage, die wir damit beantworten wollten, ist, dass Spencer-Brown für die Soziologie und somit generell nutzbar gemacht werden kann.
Was wir dabei taten, ist, dass wir die Interpretation des Indikationskalküls als eine Überset-zungsleistung darstellten. Daraus begründeten wir, dass ein empirischer Zugang durchaus mög-lich ist. Wie Spencer-Brown in seiner logischen Interpretation zeigte, besteht eine Interpretation des Kalküls aus zwei Schritten. Man braucht eine Unterscheidung, mit welcher man die Form der ersten Unterscheidung kodiert und man braucht Regeln, mit welchen man einen Inhalt zu einem Befehl auf die eine oder andere Seite der Form der ersten Unterscheidung zu zeigen. Daraus ist abzuleiten, dass das Indikationskalkül an sich für eine Forschung nicht ausreicht. Was er benötigt, ist eine Zwischentheorie, welche die benannte Übersetzungsleistung vollzieht. Genauso benötigte die logische Interpretation die Logik, um die Unterscheidung als wahr und falsch zu kodieren und logische Funktionen zu formulieren.
Den Vorschlag, den wir dafür machten, ist die Unterscheidung zwischen Notwendigkeit und Kontingenz. Als Regel schlugen wir vor, Befehle als Notwendigkeiten zu lesen und Kontingenz als den Kontext lesen, in welchem sich dieser Befehl äußert. Wir synonymisierten Notwendig-keit und Kontingenz mit Sicherheit und Unsicherheit und zogen dazu die Verbindung zu Luh-manns Begriff der Reduktion der Komplexität, sodass wir behaupteten, dass Kontingenz durch eine bestimmte Operation in Notwendigkeit umgewandelt werden kann. Diese Operation haben wir als eine Erklärung identifiziert, bei welcher ein Etwas durch etwas Anderes erklärt wird.
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Das erlaubte uns einen Erklärungszusammenhang als ein Arrangement von Anweisungen auf die Seiten der Form der ersten Unterscheidung zu lesen.
Wir zeigten anschließend, wie ein Wissensbestand als ein Arrangement von Erklärungszusam-menhängen dargestellt werden kann. Wir zeigten auch, wie ein solches Arrangement mit dem Indikationskalkül formalisiert werden kann. Die Formalisierung hatte neben der offensichtli-chen Klarheit der Aussage noch einige weitere Vorteile, die wir ebenfalls zeigten. Wir zeigten, dass durch die Formalisierung ins Indikationskalkül die gesamten Konventionen der Laws of Form genutzt werden können. Das macht es möglich einen Wissensbestand nicht nur als Form darzustellen, sondern auch diesen als Ausdruck in einen anderen umzuwandeln, was eine Be-rechnung möglich macht. Genauso machte diese Übersetzung es möglich eine soziologische These mathematisch zu beweisen. Mit einem Verweis auf Mannheim meinten wir, dass ein Wissensbestand sich selbst nicht erklären kann. Wie stellten dazu eine entsprechende Form auf und endeckten, dass unabhängig von der Wertverteilung eine Theorie, die dieses behauptet nicht konstativ sein kann.
Wir zeigten anschließend auch eine quantitative Forschungsmöglichkeit. Wir zeigten, dass ein Wissensbestand durch entsprechende Berechnungen als selbstreferentiell dargestellt werden kann. Daraus sahen wir, dass ein solcher Wissensbestand sich wie eine Gedächtnisfunktion ver-hält, sodass er durch entsprechende Setzungen auf notwendig gesetzt und auf kontingent zu-rückgesetzt wird. Das heißt, dass ein solcher Wissensbestand Sicherheits- und Unsicherheits-perioden durchläuft, welche messbar wären.
Wir meinten anschließend, dass wir es ausdrücklich bejahen, dass das Indikationskalkül in der Soziologie nutzbar gemacht werden könnte. Wir plädieren daher dafür, dass vor allem Sozio-logen sich damit mehr beschäftigen. Wie schon gesagt, besteht unserer Meinung nach, der größte mathematische Beitrag von Spencer-Brown darin zu zeigen, wie eine Mathematik durch sprachliche Konventionen entstehen kann. Damit schafft er, unserer Meinung nach, Mathema-tik gerade für uns Sozialwissenschaftler zu plausibilisieren und vielleicht sogar für uns nutzbar zu machen. Die hier gezeigte Möglichkeit der Formalisierung von sozialen Phänomenen ist für die Soziologie ein gewaltiger Schritt nach vorn. So gewaltig, dass die Systemtheorie damit nicht mithalten kann. Wie dargestellt, sind die Laws of Form und die Systemtheorie zueinander we-niger als kompatibel. Es muss sich also entschieden werden, ob man mit der Systemtheorie weitermachen will oder ob man es mit den Laws of Form versucht. Wir entscheiden uns für die Laws of Form.
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Natürliche Zahlen Quelle: Eigene Darstellung ………………………………………….. 10
Abbildung 2: Reele Zahlen Quelle: Eigene Darstellung …………………………………………………. 11
Abbildung 3: Komplexe Zahlen Quelle: Eigene Darstellung ………………………………………….. 12
Abbildung 4: Form als Sprachspiel Quelle: Eigene Darstellung ……………………………………… 20
Abbildung 5: Kaninchen und Ente Quelle: Die Abbildung entstammt (Hengeler, 1892) und ist lizenziert gemäß CC BY-SA ………………………………………………………………………………………. 21
Abbildung 6: Unterscheidung für sich genommen Quelle: Eigene Darstellung …………………. 22
Abbildung 7: Form der Unterscheidung Quelle: Eigene Darstellung ……………………………….. 23
Abbildung 8: Unendliches Kochrezept Quelle: Eigene Darstellung …………………………………. 28
Abbildung 9: Form als Definition. X wird als Y definiert Quelle: Eigene Darstellung ………. 43
Abbildung 10: Construction und Content Quelle: Eigene Darstellung ……………………………… 48
Abbildung 11: Form of the first distinction Quelle: Eigene Darstellung …………………………… 51
Abbildung 12: Name Quelle: Eigene Darstellung ………………………………………………………….. 52
Abbildung 13: Instruction Quelle: Eigene Darstellung …………………………………………………… 57
Abbildung 14: Form nach Luhmann Quelle: Eigene Darstellung …………………………………….. 64
Abbildung 15: Der imaginäre Zustand Quelle: Eigene Darstellung …………………………………. 69
Abbildung 16: Calculus interpreted for logic Quelle: Eigene Darstellung ………………………… 71
Abbildung 17: Diskursfunktion Quelle: Eigene Darstellung …………………………………………. 113
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Anhänge
Anhang 1. Index of Forms